Der schweizerische Minister in Beirut berichtet über die Unterzeichnung des irakisch-türkischen Paktes und über die internationale Reaktion.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 148
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#47* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 27 | |
Dossier title | Bagdad, Politische Berichte und Briefe, Band 2 (1950–1955) |
dodis.ch/9456 Der schweizerische Gesandte in Bagdad, F. Kappeler, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1 DER IRAKO-TÜRKISCHE PAKT VON BAGDAD GESEHEN
Hier sind alle Stellen davon überzeugt, mit dem Abschluss des irakotürkischen Paktes den richtigen Weg gegangen zu sein. Nuri Said hat in diesem Punkt die volle Unterstützung des Königs, seiner Minister-Kollegen, der früheren Ministerpräsidenten aus allen Lagern, wie Jamali, Omari, Ayoubi, Suwaidi, Jabr, Madfai und auch des Aussenministeriums, wo man hofft, dass sich die andern arabischen Staaten mit der Zeit doch anschliessen werden. Der König sagte mir spontan, er sei sehr befriedigt vom Besuch des türkischen Staatspräsidenten Bayar, der eine gute Atmosphäre für die von beiden Seiten gewünschte und unter den heutigen Umständen nötige Zusammenarbeit geschaffen habe. Dies ist um so nötiger, als der Türkenpakt alles andere als populär ist bei der Bevölkerung.
Nuri Said drängt aber auch auf den raschen Beitritt Englands. Die Hoffnung Iraks, dass der Besuch Edens erlauben werde, diesen Beitritt sofort zu erreichen, hat sich nicht erfüllt, wie von vornherein zu erwarten war. Immerhin hat der britische Aussenminister die grundsätzliche Bereitschaft hierzu angekündigt. Beabsichtigt ist gleichzeitig die Unterzeichnung des Paktes sowie des technischen Zusatzabkommens, das den anglo-irakischen Vertrag ersetzen soll und die Aufhebung des letzteren verkünden. Soviel ich vernehmen konnte, müssen aber diese technischen Abmachungen erst noch verhandelt und formuliert werden. Es dürfte daher noch einige Zeit dauern bis man soweit ist.
Die Eile Nuri Saids ist in diesem Fall verständlicher als bei der Ankündigung und Unterzeichnung des Paktes selbst, die ohne die Zustimmung der übrigen arabischen Staaten erfolgten. Die Ablösung des längst revisionsbedürftigen anglo-irakischen Vertrages durch eine zeitgemässe Lösung ist ein altes Anliegen Nuris. Sie dürfte, wenn sie gelingt, dem irakischen Staatsmann nicht nur die Sympathien mancher jetzt abseits stehenden Kreise bringen, sondern wird geradezu den Pakt mit der Türkei überhaupt erst rechtfertigen. Man scheint zwar hier gewisse Äusserungen eines etwas überspannten türkischen Selbstbewusstseins nicht tragisch zu nehmen, weil unter den heutigen Umständen ein neuer türkischer Expansionsversuch keine Aussichten hätte, die Türkei überdies mit ihren eigenen Problemen genug zu tun hat und von ausländischer Hilfe abhängig ist. Immerhin möchte man nicht gern allein auf die Türkei als einzigen Partner angewiesen sein und das Ziel einer bessern Sicherung gegen eine von Norden kommende Gefahr kann nur im Rahmen eines grösseren Verbandes, der ausser Iran und Pakistan auch England und Amerika umfassen sollte, wirklich erreicht werden. Art. 6 des Paktes lässt dieses Ziel deutlich erkennen. Irak suchte nicht nur Anschluss an die Türkei, sondern über diese hinweg an die NATO. Auch erwartet man von dem neuen Pakt vor allem eine vermehrte militärische und wirtschaftliche Hilfe, insbesondere von Amerika. Die amerikanische Seite äussert sich allerdings einstweilen zur Frage eines Beitritts sehr zurückhaltend.
Während der Beitritt Pakistans als sicher gilt, gehen, was Iran betrifft, die Meinungen auseinander. Der hiesige iranische Botschafter ist äusserst optimistisch, aber wohl etwas durch seine eigenen und die Wünsche der irakischen Regierung beeinflusst. Es dürfte sich jedenfalls erst nach der Rückkehr des Schahs zeigen, wohin die Tendenz geht.
Eine Neuregelung der Beziehungen zu England ist aber auch für die weiteren Auseinandersetzungen mit den andern arabischen Staaten wichtig.
Dadurch, dass Irak trotz den Einwänden Ägyptens und Saudi-Arabiens nach Scheitern der verschiedenen Verständigungs- und Vermittlungsversuchen den Pakt unterschrieb, geriet es zunächst in eine gewisse Isolierung.
Indessen sieht es heute so aus, als ob der Versuch Salah Salems zum Scheitern verurteilt sei, diese Lage zum Abschluss eines neuen arabischen Paktes aller Gegner des Türkenpaktes auszunützen, der Irak zwingen sollte, entweder den Türkenpakt preiszugeben oder von der neuen Kombination ausgeschlossen zu sein. Es ist klar, dass Irak nicht zurück kann. Noch können sich Jordanien und Libanon an einer Verfehmung Iraks beteiligen.
Zunächst wurde aus Damaskus gemeldet, dass mit Syrien eine Einigung über diesen Plan zustandegekommen sei. Jedoch zeigte es sich, dass weder Jordanien noch Libanon mitmachen wollten, weshalb auch Syrien zögerte. Seit Tagen wartet man hier auf eine amtliche Mitteilung über den angeblich geplanten Besuch einer syrischen Delegation, der sich eventuell auch Vertreter Jordaniens und Libanons anschliessen wollten und die zum Zwecke haben würde, erneut eine Einigung der arabischen Staaten zu versuchen. Jedenfalls sind die Dinge noch im Fluss. In beiden Lagern wird die Überzeugung ausgesprochen, dass unter allen Umständen die arabische Einheit das Endziel bleiben müsse und dass die Auseinandersetzungen dazu dienen, die Ansichten zu klären und schliesslich den Weg zu einer Verständigung zu öffnen.
Mein hiesiger libanesischer Kollege ist der Meinung, dass Ägypten nur scheinbar führend ist in der Bekämpfung des Türkenpaktes und dass in Wirklichkeit die treibende Kraft in Saudi-Arabien und in der alten Rivalität zwischen Sauditen und Haschemiten zu suchen sei. Die Saudi-Araber haben die Unerfahrenheit der ägyptischen Regierung missbraucht, um sie für ihre Zwecke einzuspannen. In Wirklichkeit bestehe in Ägypten eine starke Bereitschaft, Hand zur Verständigung mit den nordarabischen Staaten zu bieten. Das arabische Volk werde allmählich dieses Familienstreits müde und werde sich gegen diejenigen wenden, die aus egoistischen Gründen die arabische Einheit verunmöglichen. Die Anhänglichkeit an die Haschemiten in Hedschas bestehe fort und der Nedsch aber sei keine Basis für einen Staat. Man müsse sich auch fragen, wie lange die eigennützige Beanspruchung des Erdölreichtums durch die Mitglieder des Königshauses mit seiner Vielweiberei noch ertragen werde. Es sei bemerkenswert, dass im Gegensatz dazu das irakische Königshaus äusserst bescheiden lebe und keine Ansprüche an die Erdöleinnahmen stelle, sodass diese ganz dem Staat und vor allem der wirtschaftlichen Erschliessung des Landes zugute kommen.
Der britische Botschafter2 bestätigte mir soeben, dass die Frage des Beitritts von England mit Eden hier diskutiert wurde. Die Iraker hatten gewisse Vorschläge für die Ablösung des anglo-irakischen Vertrages, die aber nicht den englischen Bedürfnissen entsprechen. Eden versprach hier, die Frage nach seiner Rückkehr im Kabinett sofort zur Sprache zu bringen und hat inzwischen die grundsätzliche Bereitwilligkeit bekanntgegeben. Bis zum Vollzug des Beitritts dürften aber noch mehrere Monate verstreichen, da die neuen Abmachungen, die einige heikle Punkte zu regeln haben (z. B. die Flugbasen) erst noch zu treffen sind.
Mit Bezug auf die übrigen arabischen Staaten hofft der Botschafter, dass mit der Zeit eine Lösung gefunden werden könne. Der erste Anstoss habe einmal gewagt werden müssen, sonst wäre man nie zu einem Ergebnis gekommen. Die Bestimmung des Artikel 6 betreffend den ständigen Rat sei in letzter Stunde auf Antrag von Menderes beigefügt worden, nachdem Engländer und Amerikaner zustimmten. Vermutlich sei aber Menderes von Nuri gebeten worden, an seiner Stelle den Vorschlag zu machen, damit es nicht so aussehe, als ob Nuri dafür verantwortlich sei.
- 1
- Politischer Bericht: E 2300(-)-/9001/27.↩
- 2
- Sir Michael Wright.↩
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