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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 53
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#1995/313#5447* | |
Dossier title | Nummerierte Berichte von Hrn. Otto Bornhauser (1980–1982) | |
File reference archive | B.73.0.1(33) • Additional component: Corée |
dodis.ch/66413Der Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Bornhauser, an die Politische Direktion des EDA1
Eindrücke einer Nordkorea-Reise
Generalmajor Han Ju Kyong, Leiter der Delegation der koreanischen Volksarmee in der Waffenstillstandskommission in Panmunjom, lud die schweizerischen und schwedischen Delegationschefs2 mit Gattinnen zu einer Reise nach Nordkorea (Pyongyang) ein. Der Besuch fand vom 23.–27. Oktober 1980 statt und umfasste folgendes Programm:
– Autofahrt Panmunjom-Pyongyang (250 Km)
– Pyongyang: Massenspiele im Stadion, Revolutionsoper, Geburtsstätte Kim Il Sung’s, Kim Il Sung-Museum, Naturhistorisches Museum, Kinderheim, Gesundheitszentrum, Zirkus, Kriegs- und Revolutionsmuseum, Jugendzentrum, Turbinen- und Generatoren-Fabrik, Untergrundbahn, Jugendtheater, Eispalast (in Konstruktion).
– Nampo (50 Km von Pyongyang): DEAN-Maschinenfabrik und im Hafen ein im Aufbau befindliches Ferienzentrum.
Obschon die Einladung kurzfristig (3 Tage vorher) erfolgte, nahm ich die Gelegenheit sofort wahr. Es bedingte zwar Umstellungen in meinem Wochenkalender. In NNSC-Kreisen war man erstaunt, dass die Süd-Delegationschefs schon so kurz nach ihrer Ankunft in den Norden eingeladen wurden. Es lag der DPRK-Führung offenbar daran, den südkoreanischen Stellen zuvorzukommen, da diese zu einem Südkorea-Besuch vom 29. Oktober–2. November 1980 eingeladen hatten. Während der 5-tägigen Reise standen jedem Delegationschef ein Wagen (Mercedes 230) mit Chauffeur und einem Begleiter (Armee-Oberst) zur Verfügung, welcher Englisch, wenn auch beschränkt, sprach. In Pyongyang hatten wir Unterkunft in dem für Auslandgäste reservierten «Pyongyang-Hotel».
Auf der ganzen Strecke (250 Km) nur Militärfahrzeuge (meist Lastwagen), Traktoren, Jeeps und einige wenige Personenwagen – auch diese für offizielle Zwecke. (Angeblich 2000 Mercedes, 1200 Volvo u. eine unbestimmte Anzahl älterer Moskovitchs.) Überraschend als asiatisches Land, praktisch keine Fahrräder – offenbar um die Mobilität der Bewohner einzuschränken, die entweder in Gruppen, Marschkolonnen oder in offenen Lastwagen zur Arbeit in Fabrik oder Feld gefahren werden. Auf der Strecke fünf Strassensperren, wo alle Fahrzeuge und Passanten kontrolliert werden. Unsere beiden Wagen fuhren jeweils mit 100 Km durch diese Sperren, da unsere Durchfahrt vorher gemeldet wurde. Ich erfuhr, dass sich die Bewohner nicht frei bewegen können. Sie müssen eine Bewilligung haben. Man kann nicht einfach auf ein Fahrrad sitzen oder einen Zug besteigen. Das Einverständnis der zuständigen Parteibehörde ist einzuholen. Eine Bewegungsfreiheit besteht lediglich im Stadt- oder Dorfgebiet. Auf der ganzen Strecke (Autostrasse teilweise in schlechtem Zustand) meist landwirtschaftliches Gebiet. Mit Stolz wies mein Begleiter darauf hin, dass im Norden die ganze Reisernte unter Dach sei, was der Süden nicht fertig gebracht habe. Im gleichen Atemzug wurde dieser Erfolg dem «grossen Führer» zugeschanzt, der die entsprechenden Direktiven erteilt habe. Viele neue ländliche Siedlungen, die einen saubern Eindruck vermitteln, sind entstanden. Im Gegensatz zum Süden in einem angenehmen koreanischen Stil. Auf den Feldern meist Traktoren aber auch noch Ochsengespanne. Hauptanbau von Reis, auch viel Kraut- und Rübenäcker für das «Kimchi-Gemüse» – ferner Mais- und Obstanbau, vereinzelt Rebkulturen. Auf der ganzen Strecke praktisch keine Verkehrszeichen und Geschwindigkeitstafeln – diese sind offenbar nicht nötig, da nur Militärfahrzeuge und offizielle Wagen verkehren, diese ständig mit 100–130 Km Geschwindigkeit. Auch unser Wagen, so dass meine Frau fast «Zustände» bekam und erleichtert war, dass nach 3 Stunden die Rennfahrt zu Ende war.
Eine Stadt heute von 700 000 Einwohnern – 1953 praktisch zerstört. Grosszügig aufgebaut mit breiten Chausseen und monumentalen Gebäuden – im Stile der europäischen Ostländer. Überall ragen Krane für Neubauten in die Höhe. (Verwaltungsgebäude, Wohnblöcke und supermodernes Eisstadion ganz in der Struktur des gedeckten Olympia-Stadions in Montreal.) Kein grosser Verkehr, aber trotzdem überall Verkehrspolizisten und Verkehrsampeln, die nicht eingeschaltet sind. Die Leute, ernst dareinblickend, recht gekleidet. Unsere Begleiter baten uns vor Abreise neben der Militäruniform auch die «Ziviluniform» mitzunehmen. In der Tat ist im Norden jede Art der Bekleidung ein offizielles Tenü – eben eine Uniform! Die Stadt tiptop sauber – Jugendliche und Frauen säubern die Strassen von Blättern und Abfall. Ein grosser dominierender Fernsehturm – 3 Fernsehprogramme, wobei eines farbig, von hervorragender Qualität. Darauf ist man besonders stolz, da der Süden noch keine Farbenprogramme hat. (Ausnahme: US Forces Network). Im Hotelzimmer ein Farb-TV (Hitachi), ein Air-Conditioner (National) und ein Kühlschrank (Sanyo) alles japanische Apparate. Welche Inkonsequenz, da Japan immer noch Hauptfeind des koreanischen Volkes ist. Wie viele Farbgeräte in Betrieb sind, war nicht zu erfahren. Im Land werden nur schwarz-weiss TV’s hergestellt. Das Hotel antiquiert – kalt – aber sauber. Den Zimmerschlüssel legt man beim Weggang einfach auf einen Tisch in der Halle und nimmt ihn bei Rückkehr wieder weg – ein Zeichen der Ehrlichkeit des Systems! In jedem Raum, wo man auch sei, das Bild des grossen Führers, der je nachdem «great, glorious, beloved, generous, affectionate, far seeing, genius determined, victorious» etc. und «Leader, President, Marshall u. Comrade» genannt wird. Alle Leute – ausser ihm – tragen sein Bild in einem Knopf auf der linken Brusthälfte. Nuancen des Portraits gibt es nach Rang und Stellung des Trägers. In den Zeitungen jeden Tag ein Bild Kim Il Sung’s, das so in die Zeitung eingesetzt ist, dass nie ein Falt der Zeitung durch den grossen Führer geht. Wenn die Führerinnen in den Museen den Namen des Präsidenten erwähnen, und dies fast in jedem zweiten Satz, so tun sie es mit bebender, gedämpfter Stimme, wie wenn ein guter Christ den Namen des Herrgottes mit geziemender Zurückhaltung in den Mund nimmt. Auf meine Frage, wo denn der grosse Führer amte und wohne und ob er Familie habe, bekam ich keine Antwort. Der Oberst sagte, er wisse es nicht und die Fremdenführerin schaute mich erstarrt an, wie wenn man einen Christen fragen würde, wo Gott wohne! Ich gab dann auf – offenbar war meine Frage schon profan. – Im Hotel und bei den Führungen viele ostdeutsche Delegationen und Besucher. Auch überraschend viele Publikationen in deutscher Sprache. Auch andere Symptome deuten auf eine starke DDR-Präsenz hin. – Im Ausländerkiosk des Hotels als einziges «Schweizerprodukt», «Nestlé-Fruitchocolate» aus Croydon/England.
Wir waren die ersten Delegationen der Überwachungskommission – nicht einmal die Polen und Tschechen – welche diese Fabrik besuchen durften. In dem 50 Km von Pyongyang entfernten Unternehmen werden Turbinen, Generatoren, Bohranlagen und Spritzgussteile hergestellt. Die Fabrik wurde in den Jahren 1976–79 erstellt und ist seit einem Jahr in Betrieb. Zurzeit sind 5000 Personen beschäftigt – bei voller Kapazität, d. h. Endausbau, 8000 Arbeiter. Dieses Jahr wurden 3 Turbinen zu 15 000 Kw und eine zu 50 000 Kw hergestellt. Nächstes Jahr soll eine zu 100 000 Kw folgen. Der Grossteil der Maschinen – voll elektronisch gesteuert – kommt aus der DDR (Matra), dann auch Maschinen von Siemens, zahlreiche Berthiez und Graffenstaden. Aber auch 5 MAAG-Zahnradschleif-Automaten markierten die schweizerische Präsenz. Wie allen Institutionen in der DPRK besuchte Kim Il Sung auch diese Fabrik im Planungsstadium und erteilte alle guten Ratschläge. Das Unternehmen ist autonom. Es hat ca. 30 Wohnblöcke, wovon ca. 15 in Konstruktion sind. Auch verfügt der Betrieb über eine eigene Landwirtschaft, wo die Landesprodukte für die Arbeiterschaft angebaut werden. Wohnung, Nahrungsmittel und Kleider sind für die Arbeiter kostenlos. Als Durchschnittslohn pro Monat wurde mir 90 Won (SFr. 90.–) genannt, wobei es aber Nuancen je nach der Qualifikation des Arbeiters gebe. An geschultem Nachwuchs fehle es nicht, da der Betrieb eine eigene Lehrwerkstätte habe und das Kader vom Polytechnikum in Pyongyang (Ingenieursschule), wo 10 000 Studenten studieren, zur Verfügung gestellt erhalte.
Mein Kollege, Admiral Gote Blom, mit dem ich mich gut verstehe, nahm mich zu einem Besuch auf die schwedische Botschaft mit. In Vertretung des in den Ferien weilenden Geschäftsträgers, empfing uns Botschaftssekretär Bringéus. Die Schweden sind, wie alle übrigen Vertretungen, in zwei von der Regierung zur Verfügung gestellten Häusern im Diplomatenviertel einquartiert. Die Miete soll «reasonable» sein. Die Botschaft hat einen Bestand zu 4 Personen. (Geschäftsträger, Botschaftssekretär, Kanzlist und Sekretärin). Der Kontakt mit Stockholm wird durch eine Radiostation aufrechterhalten. Die täglichen Verbindungen seien gut. Kopfweh bereiten den Schweden die koreanischen Schulden, die sich auf 700 Mio Kronen belaufen. Die 1200 Volvos seien jedoch bezahlt, da es sich um einen «Cash-Deal» gehandelt habe. Auch bei andern Ländern, auch Oststaaten, werde die gleiche Litanei betr. den koreanischen Schulden dargeboten. In Pyongyang sind zur Zeit 23 diplomatische Vertretungen etabliert. Dazu kommen noch Kampuchea und eine Delegation der PLO.
Ich war gefasst, dass man mir, nach der Akkreditierung von Botschafter Jagmetti in Seoul, im Norden die Frage nach der Eröffnung einer Botschaft in Pyongyang stellen würde. Dies war aber zum Glück nicht der Fall. Schweizer habe ich in Pyongyang nicht angetroffen – im allgemeinen machen sie sich sofort bemerkbar, wenn sie mich in Uniform und den Switzerland-Streifen am Arm sehen. Immer wieder wurde der Wille zur Wiedervereinigung mit dem Süden zum Ausdruck gebracht. Das Hindernis bilde leider die amerikanische Präsenz und die jetzige Regierung, mit der man nicht verhandeln könne, da sie ja jegliche Meinungsfreiheit unterdrücke. Präsident Kim Il Sung habe jedoch einen neuen Vorschlag zur Wiedervereinigung gemacht für eine Föderative koreanische Republik, in der beide Staaten die Unabhängigkeit und das System behalten könnten. Der Wille zur Wiedervereinigung scheint echt zu sein. Alles soll aus der DPRK-Optik geschehen, womit der Süden kaum einverstanden sein wird. In der Revolutionsoper, die wir uns ansahen, wurde neben dem japanischen Militarismus auch die USA mit einem Song mit dem Refrain «Smash the Bourgeoisie – destroy the Citadel of Capitalism» angeprangert. Die Furcht vor Japan ist immer noch gross und wird stetig wieder neu entfacht. Ein hoher Offizier meinte, dass die Japaner in Südkorea so starken wirtschaftlichen Einfluss nähmen, dass sie bereits 1985 wieder unter dem Vorwand des Schutzes dieser Interessen mit der Armee den Süden besetzen könnten! Als man uns den Ferienkomplex in Nampo (20 Wohnblöcke und 2 Hotels) zeigte, meinte der koreanische Begleiter, wenn, wie es der Süden kolportiere, sein Land den Krieg vorbereite, man wohl kaum solche Siedlungen bauen würde, da jedermann wisse – gewinne wer wolle – all dies zerstört würde. Von der Schweiz, überhaupt vom Ausland, wissen die Nordkoreaner wenig. Ich hatte aber den Eindruck, dass unser Land in der DPRK nicht in einem Zwielicht steht.
Man hat den Eindruck, dass in Nordkorea «Mobilisierung» herrsche, denn die Uniformen beherrschen das Strassenbild und zum Teil auch die Felder. Die Soldaten machen einen disziplinierten Eindruck. In kompetenten US-Kreisen ist bekannt, dass die DPRK-Armee in den letzten Jahren waffentechnisch und logistisch eine Modernisierung erfahren hat, wobei vor allem die Luftwaffe und die Seestreitkräfte verstärkt wurden. Bis jetzt konnte Niemand der Überwachungskommission militärische Lager oder Installationen besuchen. Bei den Massenspielen im Stadion von Pyongyang, an denen 35 000 Jugendliche und Soldaten teilnahmen, bekam ich jedoch den Eindruck von einem hohen Grad an Disziplin, Einsatzbereitschaft und Präzision der paramilitärischen und militärischen Einheiten. Die Orchestrierung rief mir Berlin 1936 in Erinnerung, wo alles auch so gut klappte und dann 3 Jahre später ebenso planmässig auf dem Feld abrollte. Ohne «grünes Licht» von Moskau oder Peking dürfte der Norden kaum eine Invasion des Südens unternehmen. Das Stopsignal der Republik liegt hingegen beim kommandierenden General der Combined Forces, General Wickham, bezw. bei den US-Behörden in Washington.
Nordkorea stellt für unsere Begriffe ein beängstigendes uniformiertes Land dar. Bei einer Führung meinte der Direktor des Zoologischen Gartens in Ostberlin,3 dass es auf der ganzen Welt kein solches Land mehr gebe und sie (die Deutschen), seien sich von der Nazizeit her doch an einiges gewöhnt! – Der Kult um Kim Il Sung ist unvorstellbar – und er wird weiter gehen und mit dieser Tatsache oder Phänomen hat sich die ganze Welt abzufinden. Es sind hier immense Kräfte am Werk – eine ganze Generation ist unter diesem System aufgewachsen und die Doktrin ist Religion! Die Leute sind stolz auf das Erreichte und immer wieder hörten wir «we have to catch up, and under the leadership of the great Kim Il Sung – we will!». Die Verhältnisse zeigen auch, über wie wenig Spielraum das Parteigremium, die Regierung oder die militärischen Kommandostellen verfügen. Selbst Kim Il Sung ist der Gefangene seiner selbst auf aussenpolitischem Gebiet, indem er sich mit seinen Thesen, die überall eingehämmert und eingraviert sind, selbst gefesselt hat. Zu seinen Lebzeiten wird sich kaum viel ändern.
- 1
- CH-BAR#E2010A#1995/313#5447* (B.73.0.1(33)). Dieser an die Politische Direktion des EDA gerichtete Bericht 3/80 wurde vom Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Otto Bornhauser, verfasst und unterzeichnet. Der Bericht wurde in der Politischen Abteilung II vom Abteilungschef, Botschafter Arnold Hugentobler, dessen Stellvertreter, Alfred Rüegg, sowie von Dominique Dreyer und Serge Salvi visiert.↩
- 2
- Botschaftsrat Otto Bornhauser und Konteradmiral Göte Blom.↩
- 3
- Heinrich Dathe.↩
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Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)