Die Amerikaner raten der Schweiz, mit dem Beitritt noch zuzuwarten, bis eine Klausel zur Beibehaltung der Neutralität geschaffen wird. Gegensätzliche Meinungsäusserungen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 99
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001-04#1000/122#25* | |
Dossier title | Généralités (1946–1948) | |
File reference archive | F.22.0 |
dodis.ch/55 Der schweizerische Minister in Washington, K. Bruggmann, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Vor meiner Abreise2 in die Schweiz war ich im State Department darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei meiner Rückkehr mit mir über die Frage des Beitrittes der Schweiz zu den Vereinigten Nationen diskutiert werden solle. Ich hatte ja dann Gelegenheit, mit Ihnen über dieses Problem zu sprechen.
Bei meinen Besuchen, die ich seit meiner Rückkehr im State Department machte, konnte ich gleich feststellen, dass dieses Problem gerade jetzt für weniger aktuell angesehen wird als vor den Ferien. Die Debatten in Paris3 haben im State Department die Auffassung gezeitigt, dass es recht verständlich sei, wenn die Schweiz vorderhand keine Eile zeige, in dieser Frage zu verhandeln. Der Chef der Abteilung für Europa meinte, die Schweiz solle ruhig ein halbes Jahr zuwarten; sein Stellvertreter sprach von einem ganzen Jahr. Die persönliche Meinung dieser Herren geht dahin, dass es möglich sein sollte, eine für die Schweiz genügende Klausel zur Beibehaltung der Neutralität durchzusetzen, wenn die Angelegenheit einmal spruchreif sei. In der Sektion des State Department, welche sich speziell mit den Beziehungen zu den Vereinigten Nationen befasst, äusserte man sich in ähnlicher Weise, nur sprach deren Chef die Meinung aus, die Schweiz müsse schliesslich gewisse Verpflichtungen zur Unterstützung von Polizeiaktionen der Vereinigten Nationen wohl auch übernehmen. Ich hielt es nicht für angezeigt, mich in eine ausgiebige Diskussion darüber einzulassen, sondern begnügte mich zu betonen, dass die Schweiz an dem Grundsatz ihrer Neutralität, so wie sie sich zur Aufrechterhaltung ihrer Unabhängigkeit als nötig erwiesen habe, festhalten müsse.
Ein Glied des Obersten Gerichtes, mit dem ich über die Angelegenheit sprach, hatte hingegen wieder die Auffassung, dass der Beitritt der Schweiz unter Wahrung der Neutralität möglich sein sollte.
Aus diesen und andern Besprechungen ist zu schliessen, dass die amerikanische Haltung in dieser Angelegenheit noch nicht eindeutig ist und dass jedenfalls das State Department noch keine Richtlinien hierüber gegeben hat. Da es zur Zeit in der amerikanischen Regierung in jeder Hinsicht an Richtlinien fehlt, ist zu vermuten, dass diese im gegebenen Moment jene Haltung einnehmen wird, die mit ihren momentanen Interessen am besten übereinstimmt. Sichere Hilfe kann die Schweiz deshalb von Amerika nicht erwarten, welches sich, wenn ernstliche Widerstände von dritter Seite auftauchen sollten, sicher nicht aus grundsätzlichen Erwägungen für uns einsetzen würde. Wenn aber massgebende europäische Staaten das genügende Verständnis aufbringen und für die schweizerische Neutralität eintreten, so würde sich Amerika, wenn nicht alles täuscht, nicht widersetzen.
Vorderhand wird es das Richtige sein, mit allen Anregungen schweizerischerseits zuzuwarten und die Vorgänge im Schosse der Vereinigten Nationen möglichst genau zu verfolgen.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001 (E) 5/3.↩
- 2
- K. Bruggmann begab sich zwischen Mitte Juli und Anfang August in die Schweiz und kehrte zwischen dem 9. und 15. Oktober wieder nach Washington zurück.↩
Relations to other documents
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Allies (World War II) Neutrality policy United States of America (USA) (Politics) League of Nations