dodis.ch/47744 Le Chef de la Division des Intérêts étrangers de la Légation de Suisse à
Berlin,
P.A. Feldscher, au Chef de la Division des Intérêts étrangers du Département politique, A. de
Pury1
Ich beehre mich, Ihnen unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben2 vom 14. April d.J. betreffend die Anfrage der Schweizerischen Gesandtschaft in Budapest nach der Anwendung der deutschen Judengesetzgebung, u.a. der sogenannten Nürnberger Gesetze, auf unsere nichtarischen Schutzbefohlenen folgendes mitzuteilen.
Die deutschen Judengesetze gelten grundsätzlich, sofern sie keine entsprechende Ausnahme vorsehen (was allerdings bei den Verordnungen allgemeiner Art öfters der Fall ist), auch für Ausländer und somit unsere nichtarischen Schützlinge. Es ist aber gleichzeitig darauf hinzu weisen, dass das bestehende deutsche Judenrecht vielfach lückenhaft ist, sodass die Entscheidung, welche Anwendung eine Einzelmassnahme finden soll und namentlich, ob ihr auch die ausländischen Nichtarier unterstellt sind, mangels genereller Rechtsnormen häufig in mehr oder weniger grossem Umfang den zuständigen Ortsbehörden überlassen sein dürfte oder von internen VerwältungsvorSchriften abhängt, welche der Öffentlichkeit entzogen bleiben. Deshalb ist die behördliche Praxis in der Handhabung der einzelnen Judenmassnahmen uneinheitlich und weist von Ort zu Ort häufig nicht geringe Unterschiede auf. Meine Abteilung hat es sich dabei von Anfang an besonders angelegen sein lassen, eine gleichmässige Behandlung unserer sämtlichen Schutzbefohlenen ohne Rücksicht auf deren Rassezugehörigkeit zu erwirken und hat, wie Ihnen bekannt ist, gegen diskriminierende Massnahmen der deutschen Behörden gegenüber nichtarischen Angehörigen der von uns vertretenen Staaten mehrfach, namentlich unter Hinweis auf die grundsätzliche Stellungnahme der betreffenden Regierungen, Einspruch erhoben. Zusammenfassend darf gesagt werden, dass unsere Schutzbefohlenen in Bezug auf Leib und Gut von den schwersten Eingriffen rechtlicher und verwaltungsmässiger Art (gelegentlich nur nach nachdrücklicher Intervention der Schutzmacht) verschont geblieben, sie aber hinsichtlich der Gegebenheiten des Alltagslebens manchen, übrigens örtlich verschiedenen Beschränkungen oder Benachteiligungen unterworfen sind. Ich möchte auch gleichzeitig hinzufügen, dass die Judenfrage, sofern sie unsere Schutzbefohlenen anbelangt, unterdessen viel an unmittelbarer praktischer Bedeutung eingebüsst hat, da die deutschen Behörden seit längerer Zeit mehr und mehr dazu übergegangen sind, unsere nichtarischen Schutzbefohlenen, die ohnehin auf dem Austauschwege zum Teil bereits heimgeschafft worden sind, zu internieren. Durch Internierung werden aber unsere jüdischen Schützlinge den meisten Schwierigkeiten, denen sie sonst ausgesetzt werden, entzogen. Zur Zeit dürften sich nur noch wenige, zumeist ältere nichtarische Angehörige der von uns vertretenen Staaten auf freiem Fuss befinden, wovon ein Teil auch für die Heimschaffung vorgesehen ist.
Hinsichtlich der Anwendung der hauptsächlichsten Judengesetze und -massnahmen auf unsere Schutzbefohlenen ist nunmehr folgendes zu bemerken.
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