Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 15, doc. 40
volume linkBern 1992
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#782* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 348 | |
Titolo dossier | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 96 (1943–1943) |
dodis.ch/47644
Über die letzten Ereignisse, die sich hier abgespielt haben und über die ich bereits kurz berichtete2, möchte ich Ihnen zusammenhängend folgendes mitteilen:
Die im ganzen Lande stark gestiegene innere Spannung, die sich immer mehr in täglichen Attentaten, Sabotageakten und Verbrechen aller Art äusserte und äussert, hat den Staatschef schon seit längerer Zeit mit grosser Sorge erfüllt. Gewiss zutreffend ist ihm von vielen Seiten gesagt worden, Frankreich würde, falls er, der Marschall, verschwinden sollte, unweigerlich in Anarchie und Chaos stürzen, da weder der jetzige Regierungschef noch das Ministerium als ganzes in einem solchen Falle fähig wären, die Ordnung auch nur einigermassen aufrecht zu erhalten. Dazu kommt, dass sich immer mehr zeigt, wie stark das ganze französische Volk immer noch republikanisch denkt und wie sehr ihm die neue autoritäre Ordnung fremd, ja verhasst ist. Dass die sogenannte «révolution nationale» gründlich gescheitert ist, kann wirklich niemandem verborgen bleiben.
Aus diesen Gedankengängen heraus hat sich der Staatschef langsam zum Entschluss durchgerungen, für den Fall seines Ablebens eine andere rechtliche Ordnung vorzusehen, als dies bisher der Fall war, eine Ordnung der man jedenfalls nicht den Vorwurf der Illegalität machen könnte. Er hat über diese wichtige Frage verschiedene Persönlichkeiten zu Rate gezogen, insbesondere seinen ständigen Vertrauensmann Lucien Romier, sowie den früheren Minister Moisset, nicht aber seinen Regierungschef, Pierre Laval3.
Das ist die gegenwärtige Situation, die mir in ihren wesentlichen Zügen heute Mittag von Marschall Pétain persönlich bestätigt worden ist. Ich hatte nämlich den Wunsch ausgedrückt, ihm durch einen Besuch für die Teilnahme danken zu können, die er mir anlässlich des Hinschiedes meines Sohnes durch den französischen Botschafter in Bern und durch seinen Kabinettschef hatte ausdrücken lassen. Er hat mich daraufhin heute «à titre amical» empfangen, war ausserordentlich teilnehmend und warmherzig und in seinem ganzen langen Gespräch frischer und lebhafter als je. Er wiederholte zwei Mal: «Je n’accepte pas que l’on m’empêche à faire mon testament politique». Er sei auf das tiefste besorgt über die innerpolitische Entwicklung und über die Zukunft seines Landes. In seinem Alter könne jederzeit ein Unglück eintreten und er wolle und müsse dafür sorgen, dass in diesem Falle in Frankreich eine legale Macht sich der Anarchie entgegenstellen könne. Er sehe keine andere, als die letzte vom Volk gewählte Autorität, wohlwissend dass diese schwere Sünden begangen habe und dass er sich mit diesem Schritte in einen Gegensatz zu seinen eigenen früheren Erklärungen stelle. Er glaube aber nicht, dass es einen ändern Weg gebe, der immer stärkeren Bolschewisierung Frankreichs entgegenzutreten und dem immer mehr rein kommunistisch werdenden Befreiungskomitee in Algier ein Gegengewicht gegenüber zu stellen. Andernfalls, fügte er bei «les Français deviendraient de très mauvais voisins pour la Suisse».
[...]4
Der Eintritt von Kommunisten in das Befreiungskomitee in Algier, die Beseitigung von Girod5 als Präsident und von einigen angesehenen Mitgliedern, wie Couve de Murville, haben jedenfalls den weitesten Kreisen der französischen Bourgeoisie die Augen geöffnet. Auch die Unruhen in Syrien und das Abrücken Englands von de Gaulle werden von der französischen Regierung propagandistisch ausgeschlachtet, und führen sichtlich zu einer Abkehr bürgerlicher Kreise von de Gaulle und zu einer Verminderung von dessen Prestige bei ändern als ausgesprochnen Linkskreisen. Da diese aber in Frankreich selber schon sehr stark sind und immer stärker werden, so verfolgt man eben doch in weitesten Kreisen des Landes mit starker Genugtuung, dass de Gaulle immer mehr unter dem Einfluss der Sowietunion steht. Das alles verstärkt den innern Zwiespalt und die innere Spannung und damit auch die Besorgnisse aller guten Franzosen.
Ich nehme an, dass Sie durch unser Konsulat in Paris Kenntnis erhalten haben von dem niederträchtigen Angriff, den ein gewisser Martel am 6. November im «Paris-Soir» gegen die Schweiz gerichtet hat. Ich habe hiegegen sofort nach meiner Ankunft in schärfster Weise protestiert und diesen Protest heute erneut. Ich hoffe, dass die Regierung in der genannten Zeitung eine Berichtigung veröffentlichen wird. Allerdings ist der Moment sehr ungünstig, da die geschilderten ändern Sorgen diesen an sich kleinen Zwischenfall als unwichtig erscheinen lassen.
Zu Ihrer Orientierung füge ich in je zwei Exemplaren die mehrfach erwähnten Texte eines «acte constitutionnel» und der beabsichtigten Radioansprache des Staatschefs bei. [...]6
- 1
- E 2300 Paris/96. Pilet-Golaz a mis ce rapport en circulation parmi ses collaborateurs le 19 septembre 1943.↩
- 2
- Le 15 novembre à 21h30, W. Stucki avait adressé un télégramme au Département politique (non reproduit). Ce document a été lu par Pilet-Golaz au Conseil fédéral lors de sa séance du 19 novembre.↩
- 6
- Non reproduits.↩
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Francia (Politica)
Governo di Vichy