Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.10. GRANDE BRETAGNE
2.10.1. NÉGOCIATIONS ÉCONOMIQUES ET FINANCIÈRES À LONDRES
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 14, Dok. 243
volume linkBern 1997
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001D#1000/1552#7350* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 231 | |
Dossiertitel | H.A. von BR. Pilet-Golaz, Blockadeverhandlungen mit England (1940–1942) | |
Aktenzeichen Archiv | C.21.21.1 • Zusatzkomponente: Grossbritannien |
dodis.ch/47429
Blockade.
1. Der Telegrammwechsel der Berichtsperiode spricht eine beredte Sprache. Wir scheinen an einem Wendepunkt angelangt zu sein, wo wir uns offenbar nicht mehr verstehen. Jedenfalls herrscht diese Stimmung bei uns. Ihre Einstellung beunruhigt uns je länger je mehr.
2. Zunächst in formeller Hinsicht. Wir stehen seit sechs Monaten im Zeichen des Wartens. In der ersten Phase unserer Verhandlungen war es ein Warten auf Washington, seit zwei Monaten ist es ein solches auf Bern. Wäre dieses Warten, in dessen Beweggründe uns die Einsicht fehlt, lediglich eine Tortur für die Delegation, so müsste es von ihr in Gottes Namen in Kauf genommen werden. Wir sind gewiss gerne bereit, dem grossen Geschäftsandrang in Bern gebührend Rechnung zu tragen. Aber es ist mehr als das, viel mehr. Jeder Tag weiterer Verzögerung kann das heute Erreichte in Frage stellen und für unsere Landesversorgung schwerwiegendste Folgen haben. Wir haben Ihnen diese unsere Überzeugung mit unserem Telegramm No. 1099 vom 18. September2 mit allem Nachdruck zur Kenntnis gebracht. Wir haben Sie um rascheste Beantwortung der längst, zum Teil seit zwei Monaten, pendenten Fragen zwecks endlicher Abklärung der noch bestehenden Differenzpunkte gebeten, und Ihnen anheimgestellt, den Unterzeichneten zu mündlicher Aussprache vorübergehend zurückzuberufen, falls Sie unseren Vorschlag, die Verhandlungen hier so rasch als möglich zu Ende zu führen, ablehnen. Seither sind bereits wieder zehn Tage verflossen, ohne dass wir auch nur formell eine Antwort erhalten hätten. Und so fliessen die Tage dahin und das Erreichte droht unseren Händen zu entgleiten. In ein paar Tagen beginnt das letzte Quartal 1942 und wir verstehen nicht, wie man da noch davon reden kann, dass nichts überstürzt werden dürfe. Angesichts der täglich sich verändernden Lage, angesichts der weitern Hinauszögerung von für unsere Landesversorgung wichtigsten Einfuhren können wir nicht dringend genug auf die grossen Gefahren aufmerksam machen, die dieses Warten in sich schliesst. Es kann auch seine politischen Auswirkungen haben. Unsere Lage fängt an peinlich zu werden. Man frägt nach dem Warum. Man sucht nach Gründen und stellt Betrachtungen an, die richtig oder nicht richtig, jedenfalls aber gefährlich sein können.
3. Und nun zur materiellen Seite. Auch hier ist es uns leider unmöglich, Ihre Auffassungen zu teilen, die unseres Erachtens auf einer Verkennung der hiesigen Lage beruhen. Lassen wir die Ereignisse seit unserer Abreise kurz an uns vorüberziehen.
England erklärte sich in der Note seines Gesandten vom 9. September 19413 bereit, seine als Reaktion auf das deutsch-schweizerische Wirtschaftsabkommen verschärfte Blockadepolitik der Schweiz gegenüber wieder entgegenkommender zu gestalten auf Grund der zukünftigen Entwicklung unserer Ausfuhr nach beiden Kriegführenden. Schon damals erwog man in Bern den Gedanken an eine Mission nach London, liess ihn aber wieder fallen in der Meinung vorerst die Kompensationsmöglichkeit abzuklären. Von der Lockerung der Gegenblockade auf dem Gebiet der Geleitscheinpraxis versprach man sich besondere Erfolge. Diese Abklärung war dann im März soweit gediehen, dass die Delegation mit gewissen positiven Vorschlägen nach London reisen konnte.
Inzwischen hatte sich aber ein neues Ereignis von weittragender Bedeutung vollzogen, die Vereinigten Staaten waren in den Krieg eingetreten. Unsere Vorschläge mussten nun auch den Amerikanern als Mitbeteiligten und hauptsächlichsten Lieferanten des Kompensationsmaterials zur Genehmigung unterbreitet werden. Sie liessen uns monatelang auf ihre Antwort warten, bis man uns endlich mitteilte, dass man sich zunächst auf das kleine Programm No. 34 zu beschränken wünsche. Aus zwei Gründen: einmal, weil der Bezug der betreffenden Maschinen nicht mehr so dringlich sei, da man sich inzwischen aus eigenen Kräften beholfen habe; sodann, weil die Lieferung des Kompensationsmaterials in dem früher geplanten grösseren Umfang angesichts des dringlichen Eigenbedarfs nicht mehr zugesichert werden könne. Mit umso grösserer Schärfe wurde unter dem Einfluss Amerikas das Verlangen nach einer gewissen Reduktion unserer Ausfuhr nach den Achsenmächten auf dem Gebiet des Kriegsmaterials und gewisser Maschinenkategorien in den Vordergrund gestellt. Wir haben Ihnen von dieser Veränderung der Lage, von dem Desinteressement an der Kompensation einerseits, der Verschiebung des Schwergewichtes der Blockadepolitik auf dieses Abbauverlangen andererseits in unserer Berichten mit aller Klarheit wiederholt Kenntnis gegeben. Wir verweisen hier insbesondere auf den Bericht No. 7 vom 23. Juni5.
Unter dem irrtümlichen Eindruck, dass die Milderung der deutsch-italienischen Geleitscheinpolitik immer noch der grosse Trumpf für die Lockerung der Blockadepolitik der Alliierten sei, ist dann Ihre Delegation nach Berlin gezogen und hat dort auf diesem Gebiet - allerdings auf Grund recht schwerer Gegenkonzessionen - ansehnliche Konzessionen erreicht, die bei den Alliierten nun leider nicht die erwartete Resonanz gefunden haben. Warum hat man nicht versucht, in Berlin in Verbindung damit die Frage nach einem gewissen Abbau unserer Kriegsmateriallieferungen als natürliche Folge des scharfen Rückganges der deutschen Kohlen- und Eisenlieferungen wenigstens zu streifen? Wir haben es tief empfunden, dass man uns nie mit einem Wort über die Berliner Verhandlungen auf dem laufenden hielt. Wir hätten vielleicht doch noch einmal einige nützliche Winke geben können. Und nun ist man von Berlin zurückgekehrt und hat in einem offiziellen Communiqué6 der Öffentlichkeit günstige Auswirkungen aus diesen Verhandlungen in Aussicht gestellt, die sich in dem zwischen den Zeilen lesbaren Ausmass nicht verwirklichen werden. Die Gegenkonzessionen aber bleiben bestehen. Dabei ist ja die Zustimmung Italiens heute, nach einem Monat, immer noch nicht eingetroffen. Wie kann man da von den Alliierten erwarten, dass sie die Geste der Achsenmächte mit neuen Konzessionen beantworten, bevor einmal wirklich die Erfahrung zeigt, wie viel sie wert ist. Wir verstehen, dass diese Wendung bei Ihnen Bestürzung hervorgerufen hat, wie Sie sich in Ihrem Telegramm No. 11127 ausdrücken. Dieser unglückliche Ausgang hätte wohl vermieden werden können, wenn Sie unseren Berichten und unserer Beurteilung der Lage etwas mehr Beachtung geschenkt hätten.
4. Lassen Sie uns die Gründe, die unseres Erachtens für raschesten Abschluss des neuen Abkommens auf Grund des heute Erreichten sprechen, rekapitulieren:
a. Wir haben gleich zu Beginn der Verhandlungen die Verschärfung der Politik des « enemy content» abzuwenden vermocht. Wir erinnern aber daran, dass diese Konzession zunächst nur provisorisch, unter der Voraussetzung zugestanden wurde, dass der Abschluss eines neuen Abkommens nicht zu lange auf sich warten lasse. Sie kann jederzeit zurückgezogen werden und die Gefahr, dass dies geschieht, nimmt von Tag zu Tag zu.
b. Sodann ist es uns endlich nach gewiss nicht leichten Verhandlungen gelungen, auf dem Gebiet der Blockade Bedingungen zu erreichen, die nach unserer Beurteilung der Lage für unser Land annehmbar sein sollten.
Auf der Einfuhrseite ist uns die Wiedereröffnung einer Reihe wichtiger landwirtschaftlicher und industrieller Warenkontingente zugestanden worden verbunden mit der Erklärung der Alliierten, uns bei der Beschaffung dieser Waren nach besten Kräften behilflich zu sein. Da wo frühere Kontingente nicht mehr oder nicht mehr im früheren Ausmass konzediert wurden, handelt es sich um für die Kriegführung der Alliierten besonders essentielle Materialien, welche - allerdings nur in verhältnissmässig kleinen Quantitäten - auf dem Weg der Kompensation erhältlich sein dürften. Ein Schicksal, dem unser Land trotz der eingegangenen langfristigen Verpflichtungen auch von der ändern Seite nicht entgangen ist. Verbesserungen dieses Zustandes werden hier nur von Fall zu Fall auf Grund laufender intensiver Demarchen bei den alliierten Behörden zu erreichen sein.
Auf der Ausfuhrseite sind die minimalen Limiten, die Bern als tragbar hält, bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen eingehalten worden. Auf dem Gebiet der Chemie haben besonders qualifizierte Experten die verlangten Reduktionen für ihre Industrie als tragbar erklärt. Nachdem seit vollen zwei Monaten von Bern keine Einwendungen dagegen erhoben worden sind, dürfte es schwer halten, auf diese mühsam erzielte Vereinbarung zurückzukommen. Das hätte gegebenenfalls sofort geschehen müssen. Kann man nicht mit voller Überzeugung die Auffassung vertreten, dass die gesamten auf der Ausfuhrseite zugestandenen Einschränkungen sich mit der internen Versorgungslage der Schweiz plausibel begründen lassen?
Im Handelsverkehr mit den Neutralen wurden nicht unerhebliche Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Zustand erzielt.
c. Diese Verbesserungen der Blockadesituation werden allerdings dauernd nur unter zwei Bedingungen erreichbar sein:
1. unter der Bedingung, dass unsere Ausfuhr von Kriegsmaterial und gewisser Maschinenkategorien einen gewissen dauernden Abbau erfährt. Um die Frage, welches Ausmass dieser Abbau haben solle, ist hier heftig gekämpft worden. Wir haben uns gegen jede schematische Formulierung mit allem Nachdruck zur Wehr gesetzt. In den Entwürfen der Abschlussdokumente (siehe Bericht No. 13)8 ist dann die Nennung eines bestimmten Prozentsatzes vermieden worden. Dagegen wurde uns mündlich die Erwartung eines Abbaus von 5% im vierten Quartel 1942 gegenüber dem zweiten Quartal 1942 und von einem gewissen weitern Abbau in den folgenden zwei Quartalen bestätigt. Man kann hier nach Formeln suchen so lange man will, man wird nie eine befriedigende Formel finden. Hier kann nur ein eingehender Vergleich der Ziffern auf Grund grösserer Zeitspannen und unter Würdigung der einzelnen Positionen eine praktische Lösung bringen. Wir sind deshalb der Meinung, dass auf der Fortsetzung der Diskussion über diesen Punkt jetzt nicht weiter insistiert werden sollte in der Überzeugung, dass man, wenn einmal die Zahlen vorliegen, von uns nicht das Unmögliche verlangen wird, wenn die Statistik nur endlich tatsächlich die Tendenz eines Abbaus zeigt.
Dieser Abbau ist und bleibt das Pivot der ganzen Blockadepolitik. Von seiner Erfüllung hängt auch weiterhin das Entgegenkommen der Blockademächte in allen ändern Punkten entscheidend ab. Wir können deshalb nur wiederholen, dass auf diesem Gebiet etwas Positives getan werden muss. Wenn der Abbau sich nicht als natürliche Folge der deutschen Lieferschwierigkeiten auf dem Gebiet von Kohle und Eisen einstellt, so bleibt unseres Erachtens nichts anderes übrig, als darüber mit den Achsenmächten so rasch als möglich in Verhandlungen einzutreten.
2. Unter der Bedingung, dass der aktive Veredlungs- und Umarbeitungsverkehr mit den Achsenmächten eine befriedigende Regelung erfährt. Die Entdeckung, dass sich in dieser Form ein verhältnissmässig umfangreicher, aus der Handelsstatistik nicht ersichtlicher Verkehr ab wickelt, hat hier grosses Misstrauen in die Zuverlässigkeit unserer handelsstatistischen Zahlen wachgerufen. Der Abschluss eines neuen Abkommens kann deshalb nur dann befriedigen, wenn dieses Misstrauen beseitigt wird durch offene Darlegung der Verhältnisse. Nachdem Sie uns trotz mehrfacher Bitte über Umfang und Anwendungsgebiete dieses Verkehrs keine erschöpfende Auskunft und über die grundsätzliche Regelung dieser wichtigen Frage im neuen Abkommen keinen konstruktiven Vorschlag gegeben haben, blieb uns nicht anderes übrig, als aus eigener Initiative nach einer Formulierung zu suchen. Wir bedauern, dass Sie nun in dieser späten Stunde unseren Vorschlag glauben ablehnen zu müssen. Unseres Erachtens ist unsere Formulierung durchaus geeignet, unsern legitimen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und den Einwendungen der Blockademächte gegen diesen Verkehr die Spitze zu brechen. Wir verweisen auf unsere Ausführungen in Bericht No. 12. Wir geben zu, dass die gewählte Formulierung theoretisch Anlass zu Interpretationsschwierigkeiten geben kann. Ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse zeigt aber unseres Erachtens, dass diese Schwierigkeiten praktisch kaum eintreten werden. Immerhin haben wir mit unserem Telegramm No. 11009 Ihnen eine andere Variante vorgeschlagen und erwarten Ihre Reaktion darauf. Wir müssen auch hier möglichst rasch zu einem tragbaren Kompromiss kommen.
Aus vorstehenden Überlegungen ziehen wir nach wie vor den Schluss: raschmöglichster Abschluss des neuen Abkommens mit all seinen Fehlern und Mängeln. Beim Bundesrat liegt die Entscheidung ob das Erreichte in Ansehung unserer Lage gegenüber den Achsenmächten für unser Land tragbar ist. Wenn nicht, so muss die Hoffnung auf eine Verständigung mit den Alliierten über eine Verbesserung der Blockadesituation aufgegeben werden mit all den politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die dieser Misserfolg nach sich ziehen wird.
Wir möchten nicht verfehlen in diesem Zusammenhang darauf hinzu weisen, dass damit auch unsere Bemühungen um die Verbesserung unserer Transportlage mit grösster Wahrscheinlichkeit als gescheitert zu betrachten sein werden. Wir haben auf diesem Gebiet kürzlich mit dem Verzicht der Alliierten auf die Kompensation der Vergrösserung unseres Schiffsparks10 durch Ankauf italienischer Schiffe gegen Abgabe von Griechenschiffen einen ersten Erfolg erzielt und hoffen auch die ändern mit diesem Kauf verknüpften Bedingungen durchzubringen. Das wird aber nur möglich sein im Zusammenhang mit dem Abschluss des neuen Abkommens. Finanzielles.
Die Verhandlungen ziehen sich leider auch hier infolge Abwesenheit der massgebenden Persönlichkeit in der Treasury, Mr. Waley, in die Länge. Ihr gegenwärtiger Stand berechtigt uns aber zu der zuversichtlichen Hoffnung auf eine für beide Teile befriedigende Lösung. Dabei möchten wir Sie nicht im Zweifel darüber lassen, dass unseres Erachtens dieses Kreditabkommen einen integrierenden Bestandteil der Gesamtverständigung bilden muss, ohne dass wir damit weitere wesentliche Blockadelockerungsforderungen daran knüpfen können. Es liegt im wohlverstandenen Interesse des schweizerischen Exportes und der schweizerischen Finanzgläubiger und ist an sich eine politisch unerlässliche Geste als bescheidenes Gegenstück zu dem, was auf diesem Gebiet nach der ändern Seite geschehen ist. Wir werden nach besten Kräften versuchen, noch den von der Nationalbank dringend gewünschten Transfer von schweizerischem Gold von London nach Lissabon dagegen einzuhandeln.
- 1
- (Copie): E 2001 (D) 2/231.↩
- 2
- Non reproduit (E 7800, 1/22).↩
- 3
- Cf. No 100, note 1.↩
- 4
- Cf. No 206, note 4.↩
- 5
- Non reproduit (E 7800, 1/22).↩
- 6
- Cf. No 232.↩
- 7
- Non reproduit (El WO, 1967/32/821 Grossbritannien).↩
- 8
- Non reproduit (E 7800, 1/22).↩
- 9
- Non reproduit (E 7110, 1967/32/821 Grossbritannien).↩
- 10
- Cf. No 22.↩
Tags
Vereinigtes Königreich (Wirtschaft)