Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.21. SUÈDE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 96
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1020* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 443 | |
Dossier title | Stockholm, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 11 (1941–1941) |
dodis.ch/47282
Am Montag den 25. August abends hier angekommen, habe ich am darauffolgenden Tage sogleich mit dem Ministerium des Äussern Fühlung genommen und bin auch schon am Mittwoch vom Aussenminister in längerer Audienz empfangen worden. Diese nahm einen ganz anregenden Verlauf. Denn Herr Eric Scavenius gilt, offenbar mit Recht, als betont deutschfreundlich eingestellt und macht sich bereitwillig zum Fürsprech und Verteidiger der sein Land besetzenden Macht. Es ist deshalb nicht schwer, ihn zu lebhaftem Zwiegespräch herauszulocken, wenn man auf einen empfindlichen Knopf drückt.
Ich möchte mir Vorbehalten, Ihnen einiges erst von Stockholm aus zu schreiben, wenn ich in acht bis zehn Tagen dort zurückgekehrt sein werde, und beschränke mich von hier aus auf eine gedrängte, zusammenfassende Berichterstattung.
Ich habe den Minister, mit Anspielung auf das besondere Verhältnis Dänemarks zu Deutschland und die, wie er selbst betonte, verständnisvolle Zusammenarbeit der beiden Regierungen, gefragt, ob er mich über den zu erwartenden Gang der Kriegshandlungen und deren mutmassliche Dauer besser aufzuklären in der Lage wäre, als ich es mit den mir zu Gebote stehenden Eindrücken sein könne.
Herr von Scavenius antwortete, dass er mir eigentlich darüber nicht viel zu sagen habe, da man auch in Kopenhagen die Gesamtlage als äusserst verwickelt und unübersehbar betrachte. Diese an sich wenig aufschlussreiche Äusserung ist immerhin insofern von Interesse, als dieser Minister bei seinem Amtsantritte im Juli vergangenen Jahres und noch einige Monate später hiesigen ausländischen Vertretern mit Überzeugung erklärte, er halte den Krieg bereits als für Deutschland entschieden. Als ich dann bemerkte, es sei für uns, kleinere Staaten, sehr unerfreulich namentlich von angelsächsischer Seite von Kriegsvorbereitungen für 1943 und sogar 1944 sprechen zu hören, erwiderte der Minister prompt, auch Deutschland werde nötigenfalls im Stande sein, den Krieg ebenso lange zu führen.
Bei den hohen Beamten des Ministeriums, die z. B. von der Schweiz offen als von dem noch einzig freien Lande sprechen, ist eine ausgesprochen gedrückte Stimmung festzustellen, die deren Chef in keiner Weise kundgibt, wenn er sie überhaupt empfinden sollte. Er betont jedenfalls mit Nachdruck, Dänemark habe wiederholt das Versprechen erhalten, dass es nach Kriegsende seine vollständige Unabhängigkeit wieder erlangen werde, woran also nicht zu zweifeln
Der Minister sowohl als seine ersten Mitarbeiter kamen rasch auf die Angriffe zu sprechen, denen die Schweiz wie auch Schweden von Seiten der deutschen und italienischen Presse ausgesetzt sind. Sie taten es, vorob Herr Scavenius, mit einer nicht misszuverstehenden Schadenfreude, dass uns, den beiden letzten Neutralen Europas, auch etwas nicht sonderlich Angenehmes von der Achsenseite widerfahre. Da ich durchaus keine Lust empfand, diese Freude etwa zu steigern, erklärte ich mit grösster Bestimmtheit, dass, wenn wir auch jene Presseausfälle bedauerten und es gewiss vorzögen, wenn sie sich nicht ereigneten, sie bei uns doch von niemandem tragisch und nur von wenigen ernst genommen würden. Sie seien auch oft gar zu unhaltbar und unlogisch, so z. B. die Vorwürfe gegen die Schweiz wegen ihres jetzigen Verhaltens gegenüber Sowjetrussland. In doppelter Hinsicht, sagte ich, seien diese Anrempelungen unangebracht und absurd. Einmal seien wir von den Achsenmächten für unsere unbeirrbare Neutralitätspolitik, nicht zuletzt im Verein mit den Nordischen dem Völkerbunde gegenüber, gelobt worden und nun wünschten sie, dass wir diese klare Richtlinie gegenüber dem kriegführenden Russland und seinen Verbündeten verlassen. Vom ideologischen Standpunkte aus anderseits habe die Schweiz durch zwanzig Jahre hindurch, wie kein anderer Staat, gezeigt, was sie vom Bolchevismus halte. Währenddem die beiden Achsenmächte mit Moskau regelmässige Beziehungen unterhalten und Deutschland schliesslich noch vor zwei Jahren mit Moskau einen Freundschaftspakt abgeschlossen hätten, der den Krieg ermöglichte, habe sich die Schweiz stets geweigert, die Sowjetregierung anzuerkennen. Das Unlogische der nunmehrigen Stellungnahme der deutschen und der italienischen Presse sei so sehr in die Augen springend, dass wir uns deswegen nicht aufzuregen hätten.
Dazu meinte Herr Scavenius, heute würden weder die Neutralität noch die Logik kaum noch als berechtigt anerkannt; es handle sich nur mehr um Realitäten und die dadurch bedingten Notwendigkeiten. Dem konnte ich von unserem Standpunkte aus natürlich nur entschieden widersprechen. Gleichzeitig unterstrich ich, dass dank der klaren, unmissverständlichen Haltung der Schweiz, die sich eben auf Neutralität, Logik, Unabhängigkeit und Verteidigungswillen stützt, die absolute Einmütigkeit des gesamten Schweizervolkes erreicht worden sei und zweifelsohne erhalten bleiben werde.
Ich füge gleich bei, dass auch der hiesige italienische Gesandte auf die Pressepolemik zu sprechen gekommen ist. Ich habe ihm gegenüber mit den angegebenen Gedankengängen namentlich den vor kurzem erschienenen unvernünftigen Artikel von Ansaldo3 widerlegt. Der Gesandte bemerkte hierzu, dass der Inhalt dieser Veröffentlichung nicht als der Ausdruck der Regierungsmeinung angesehen zu werden brauche, dass er aber aus Erfahrung wisse, dass seine Regierung derartige kritische Auslassungen billige, wenn sie in irgendeiner Beziehung mit dem aufs Korn genommenen Lande nicht zufrieden sei.
Im Verlaufe unseres Gespräches stellte der Minister des Äussern noch Vergleiche an zwischen dem jetzigen russischen Kriege und dem Feldzuge Napoleons. Wenn es diesem gelungen wäre, Russland zu besiegen, so dürfte es auch England nicht unterlegen sein. Möglicherweise würden sich diesmal die Dinge in einer solchen Richtung entwickeln. Ich erwähnte hierzu nur, dass die vollkommene Verschiedenheit der heutigen mechanischen Mittel vielleicht nicht derartige Schlüsse zu ziehen erlaubten, was der Minister auch ohne weiteres zugab.
Als ich mich zu verabschieden anschickte, sagte der Minister noch, England hätte es in der Hand gehabt zu verhindern, was alles den kleinen Staaten, wie Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland widerfahren sei. Als ich frug, wie sich der Minister denn das vorstelle, antwortete er mit scheinbarer Selbstverständlichkeit, England hätte Deutschland im Osten eben freie Hand gewähren sollen!
Trotz oder vielleicht wegen dieser offenen Aussprache hinterliess sie mir den Eindruck, dass wir uns Beide eigentlich ganz gut verstanden haben. Jedenfalls war der Ton durchaus freundschaftlich und Herr Scavenius sprach den Wunsch aus, dass ich ihn während meines jetzigen Aufenthaltes erneut aufsuche, was ich auch tun werde.
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