Classement thématique série 1848–1945:
VI. AFFAIRES DE PRESSE, CENSURE, PROPAGANDE ET OPINION PUBLIQUE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 341
volume linkBern 1991
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1552#3516* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 133 | |
Dossier title | Zeitungspolemik Italien - Schweiz 1939-1940 (1940–1941) | |
File reference archive | B.51.13.70 • Additional component: Italien |
dodis.ch/47098
Im Anschluss an meine telegraphische Mitteilung von gestern Abend2 beehre ich mich, Ihnen über meine Unterredung vom 15. Juli abends mit dem italienischen Aussenminister, Graf Ciano, folgendes mitzuteilen.
Der Aussenminister hatte mich, wie er gleich zu Anfang unserer Besprechung sagte, aus Anlass des letzten Presse-Zwischenfalls zu sich gebeten. Er erklärte indessen sofort, dass angesichts der raschen und wirksamen Intervention der Bundesbehörden seinen Eröffnungen nicht der Charakter einer Demarche, sondern einer freundschaftlichen Empfehlung zukomme.
Die von der italienischen Gesandtschaft in Bern berichtete Stellungnahme einiger Tessiner Blätter zu den Kampfhandlungen zur See im Jonischen Meer hatte, wie er sagte, den italienischen Regierungschef «ausser sich gebracht». (Es ist nicht das erste Mal, dass mir Graf Ciano in ähnlicher Weise von den Reaktionen seines Schwiegervaters berichtet.) Andererseits gab der Aussenminister sofort zu, dass die Bundesbehörden im Rahmen der ihnen gegebenen Möglichkeiten gehandelt hätten, indem sie die Zeitungen, welche die Haltung der italienischen Flotte lächerlich machten oder bloss die Communiqués der englischen Admiralität veröffentlichten, suspendierten und weitere Massnahmen der Eidg. Pressekommission in Aussicht stellten. Graf Ciano hob hervor, dass er es besonders begrüsse, dass die Bundesbehörden von sich aus spontan und in rascher Weise zugegriffen hätten. Dadurch werde, sagte er, ein Zwischenfall beigelegt, der schwere Konsequenzen hätte haben können.
Im Sinne Ihrer Instruktionen bestätigte ich die von den Bundesbehörden getroffenen Massnahmen, wobei ich nicht unterliess, darauf hinzuweisen, dass die Schwierigkeiten derartiger Schritte bei uns ganz ausserordentliche seien und als solche gewürdigt werden müssten. Gleichzeitig deutete ich auch an - im Sinne meines Schreibens an die Abteilung für Auswärtiges vom 15. Juli vormittags3 - dass die Haltung gewisser italienischer Revuen und deren fortgesetzten Propaganda auch zu Bemerkungen von unserer Seite Anlass gebe.
Der Aussenminister bestritt das Letztere nicht, wollte indessen in unserer gestrigen Besprechung im einzelnen auf die letztere Bemerkung nicht eingehen, die Gegenstand weiterer Schritte der Gesandtschaft bei den zuständigen Abteilungen bilden kann. Er betonte, der wesentliche Unterschied liege eben darin, dass die Schweiz eben nicht im Kriege stünde, währenddem Italien sich mit seinem Achsenpartner in einem äusserst harten Kampfe befinde. Im Gegensatz zu dem, was die Zeitungspropaganda tagtäglich publiziert, betonte der Aussenminister, dass der Gegner Italiens und Deutschlands ausserordentlich stark sei, über enorme Hülfsmittel mehrerer Kontinente verfüge, und dass dessen Leistungen alle Anerkennung verdienen. In diesen Äusserungen erkannte ich, dass den heutigen Verhältnissen zum Trotz die Einschätzung des englischen Gegners, wenigstens persönlich seitens des Grafen Ciano, dieselbe ist als zur Zeit, da er sich der italienischen Intervention, mit Zustimmung seiner sämtlichen Mitarbeiter des Ministeriums, widersetzte. Er sagte zwar, dass schlussendlich Italien, nach seiner Meinung, siegreich aus dem Krieg hervorgehen werde, aber nach einem sehr harten Kampf. Diese Situation begründe, dass mit jedem Kriegsmonat Italien in steigendem Masse auch gewisse Vorgänge jenseits der Grenze beobachten und wachsam verfolgen müsse.
[...]4Ohne im weitern den Achsenpartner besonders blosstellen zu wollen, machte Graf Ciano, wie er sagte «da buon amico», die folgenden Feststellungen, die offenbar auf seinen letzten Besprechungen in Berlin und München beruhen: «Die einzige Gefahr, die die Schweiz heute noch läuft, liegt auf dem Gebiet der Presse. Auf diesem Gebiet aber marschiert Ihr auf des Messers Schneide («camminate sulla lama del rasoio»). Ist es der Mühe wert, wegen einiger Quadratmeter gedruckten Papiers, Euer Land direkt zu gefährden? Gewiss nicht. Man mag über die Berechtigung streiten. Darum handelt es sich heute nicht. Wir befinden uns im Krieg. Natürlich kann ich nicht im Namen von Berlin reden, aber, wie gesagt, die einzige Gefahr für Euch liegt heute auf dem Gebiet der Presse. Darum sind einschneidende Massnahmen, wie sie im vorliegenden Fall getroffen wurden, zu begrüssen und notwendig. Auch für die Zukunft bin ich vom Duce beauftragt, Ihnen zu sagen, dass wir den schweizerischen Behörden eine besondere Vorsicht in ihrer Pressepolitik ans Herz legen.» Indem ich selbstverständlich Ihre Instruktionen zum Ausdruck brachte, habe ich natürlich gleichzeitig unterstrichen, dass man sich vor Übertreibungen hüten müsse und ebenso, dass unserer besondern Situation Rechnung zu tragen sei. Gleichzeitig wollte ich von Graf Ciano auch endlich eine Äusserung darüber - nach den vielen Äusserungen aus italienischen offiziellen und offiziösen Kreisen, inklusiv Regierungsmitglieder und seine engsten Mitarbeiter - ob tatsächlich Italien, in für die Schweiz gefährlichen Momenten, zu Gunsten unseres Landes gegenüber dem Achsenpartner interveniert sei. Anlässlich dieser offiziellen Besprechung, der indessen ein mehr privater Meinungsaustausch folgen kann, wollte sich Graf Ciano nur in sehr vorsichtiger Weise äussern. Er erklärte bloss, dass Rom in Berlin stets wirkliches Verständnis für unsere Situation und Mission gefunden habe. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Graf Ciano nicht eine Äusserung tun wollte, die hätte zitiert werden können; darum füge ich bei, dass der fragliche Punkt noch abzuklären sein wird. Indessen wiederholte er, dass seitens Italiens aller gute Wille bestehe, mit der Schweiz in freundschaftlichen Beziehungen zu bleiben, die in so vieler Hinsicht durch die Verhältnisse direkt bedingt seien. - Es ist in der Tat klar, dass Italien eine Ausdehnung der Einflussphäre Deutschlands an seinen eigenen Grenzen nur mit grösster Besorgnis sehen könnte.
Im Hinblick auf den Zwischenfall, der sich zu Ende der letzten Woche ereignete, sind die Erklärungen des italienischen Aussenministers an sich befriedigend. Freilich wird dahin zu wirken sein, dass nicht steigernde Forderungen seitens der Achsenmächte gestellt werden. Immerhin möchte ich unterstreichen, dass Graf Ciano den freundschaftlichen Charakter der schweizerischitalienischen Beziehungen ebensosehr hervorhob, wie die Verbundenheit der Achsenmächte. Dies ist ein Anzeichen, das als solches gewertet werden muss.
Es darf natürlich nicht meine Sache sein, im Anschluss an die vorstehend wiedergegebene Besprechung, Anregungen über Fragen zu formulieren, die bereits Gegenstand einlässlichster Prüfung unserer zuständigen Behörden waren und sind. Immerhin sei es mir vielleicht gestattet, an folgende Punkte zu erinnern.
1°) Die Gesandtschaft hat seit vielen Jahren auf die ganz wesentliche Bedeutung hingewiesen, welche Pressefragen in unserm Verhältnis zu unsern totalitären Nachbarn, speziell Italien, zukommt. Ich brauche in dieser Beziehung nicht nur auf unsere unzähligen Berichte hinzu weisen, sondern beispielsweise auf das, was wir zusammenfassend in unserm Geschäftsbericht 1938 auseinander setzten5.
2°) Heute, wo den Bundes- und Militärbehörden besondere Vollmachten zur Verfügung stehen, ist die Möglichkeit gegeben, den sich in Kriegszeiten mehrenden Schwierigkeiten von Anfang an zu begegnen. Dies ist natürlich sehr zu begrüssen, ja eine absolut politische Notwendigkeit. Immerhin darf nicht der Eindruck aufkommen, dass die von uns getroffenen Massnahmen, wie bereits von verschiedenen Seiten und manchmal hämisch bemerkt wurde, unter dem «Eindruck einer Angst» erfolgen.
3°) Es ist daran zu erinnern, dass unter allen Umständen ein auch in der Presse geäussertes, ständiges Bekenntnis zu unsern althergebrachten Institutionen nicht nur verständlich, sondern politisch notwendig ist. Man achtet uns nur so lange, als wir bleiben was wir sind und an unserm politischen Bekenntnis intern festhalten. Mussolini selbst, der, wie ich wiederholt feststellen konnte, die Traditionen der Schweiz kennt und achtet, hat öffentlich erklärt, dass die schweizerische Demokratie etwas eigenes sei, das von der antidemokratischen Propaganda nicht berührt werden müsse. Je und je haben wir hervorgehoben, welche enorme Vorteile die schweizerische Demokratie durch die Tatsache ihrer Regierungsstabilität besitze. Darum ist es wenig würdevoll und auch nicht vorteilhaft, wenn einige grosse schweizerische Blätter zurzeit sich anscheinend gleichsam scheuen, das Wort von der «Schweizerischen Demokratie» auszusprechen. (Dies geschieht, nebenbei gesagt, gerade von denjenigen Seiten, die den Bundesbehörden und auch meiner Gesandtschaft alle Schwierigkeiten in den Weg legten, als es sich darum handelte, den leidigen Konflikt unserer Kolonie in Italien, der durch die temporäre Gründung schweizerischer «fasci» in Rom, Mailand, Genua, usw. entstanden war, beizulegen und diese heute zweifellos gefährlichen Fremdkörper in unserer Kolonie rechtzeitig, d.h. vor Kriegsbeginn, zu entfernen.)
4°) Auch handelt es sich keineswegs darum, häufig Komplimente über italienische Persönlichkeiten u.s.w. zu veröffentlichen, wie dies ebenfalls geschieht. Für derartige Komplimente in zwölfter Stunde ist man hier begreiflicherweise hellhörig. Es handelt sich darum, würdevoll zu unsern Traditionen zu stehen, die direkte Demokratie, auch im kleinen Gemeinwesen, und andererseits Regierungsstabilität, bedeuten. Ebenso besteht hier für unsere föderalistische Struktur heute alles Verständnis. Darin liegt die Möglichkeit einer Gewähr der moralischen Abwehr gegen die «Einfügung eines kleinen Einheitstaates» in eine von der Achse - wie man hier vermeint - geformte europäische Planwirtschaft.
5°) Dagegen kann m.E., im Rahmen unseres geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungsrechts und unserer Tradition, sehr wohl den politischen Notwendigkeiten Rechnung getragen werden, die Graf Ciano in der Formel zitierte, die entweder von seinem Schwiegervater stammt, oder die Gegenstand von Besprechungen mit dem Achsenpartner bildete: der Formel nämlich dass, wie die Verhältnisse eben in der Periode eines schweren Krieges liegen, die Achsenmächte nicht wünschen, dass Einflüsse von «Zentren von Defaitismus» von der Schweiz aus ausserhalb unserer Landesgrenzen, d.h. in die dafür doch tatsächlich empfänglichen Länder der Achse, getragen werden. Ist es beispielsweise notwendig, dass jedes Ereignis oder «fait divers» des Krieges, unter ganzseitigen Fettdrucktiteln, im Sinne der Propaganda der einen oder ändern Kriegspartei, tatsächlich nach aussen getragen wird? Die kommerziellen Erwägungen des ZeitungsVerkaufs müssen heute in Gottes Namen hinter ändern Erwägungen zurückstehen. Das blosse, nüchterne Gegenüberstellen der amtlichen Mitteilungen beider Kriegsparteien und objektiv und vorsichtig abgefasste Kommentare genügen in der Tat, um dem denkenden Publikum zu erlauben, sich selbst ein Urteil zu bilden. Ein solches Vorgehen kann nicht Anstoss erregen und festigt im Gegenteil unsern Widerstand gegen Zumutungen, die sonst, im Verlauf der Krieges, unangenehme Formen annehmen könnten.