Sprache: Deutsch
5.10.1939 (Donnerstag)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 6.10.1939
Bundesratsprotokoll (PVCF)
Ouverture de négociations avec la Grande-Bretagne sur le trafic de transit, les relations commerciales et les fournitures de matériel de guerre.

Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
B. AVEC LES ÉTATS EUROPÉENS NON LIMITROPHES
6. Grande-Bretagne
6.2. Affaires économiques
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Jean-François Bergier et al. (Hg.)

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 13, Dok. 178

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Bern 1991

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dodis.ch/46935
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 6 octobre 19391

1910. Wirtschaftsverhandlungen mit dem Ausland, Verhandlungen mit Grossbritannien

Das Volkswirtschaftsdepartement berichtet folgendes:

« I. Schon vor Eintritt des Kriegszustandes hat Grossbritannien Ausfuhrverbote für eine Reihe von lebenswichtigen Waren erlassen u. diese am 1. September 1939 verschärft. Am 2. September 1939 erging im weiteren ein britisches Einfuhrverbot, von dem insbesondere eine Anzahl der wichtigsten schweizerischen Exportwaren (Uhren, Stickereien, Schuhe usw.) betroffen wurden. Diese kriegswirtschaftlichen Massnahmen haben - zusammen mit den Transportschwierigkeiten - den schweizerisch-englischen Handel seit einem Monat nahezu zum Stillstand gebracht. Die schweizerische Wirtschaft leidet unter diesem Zustand sowohl in ihrer Versorgung wie auch in ihren lebensnotwendigen Ausfuhr- u. Arbeitsmöglichkeiten. Die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements hat deshalb am 25. September 19392 unsere Gesandtschaft in London beauftragt, der englischen Regierung den Wunsch zur Kenntnis zu bringen, sofort Verhandlungen über eine Regelung der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen unter den gegenwärtigen aussergewöhnlichen Zuständen aufzunehmen.

II. Wir sind uns klar, dass es sich bei den ständig verändernden Bedingungen zunächst nur um eine Vereinbarung handeln kann, in welcher die dringendsten Fragen eine vorläufige Regelung erfahren. Als solche müssen zur Behandlung gestellt werden:

1. Die Regelung der Auslieferung der vor dem 2. Sept. 1939

gegenseitig bestellten oder zur Spedition auf gegebenen Waren.

Durch die britischen Ausfuhrverbote vom 24. August und vom 1. Sept. 1939 sind Sendungen, welche bereits auf dem Wege zum schweizerischen Besteller waren, in England zurückgehalten und teilweise bis heute nicht freigegeben worden. Im ähnlicher Weise mögen auch durch die schweizerischen Ausfuhrverbote für England bestimmte Sendungen in der Schweiz zurückgehalten sein. Es wird das erste Ziel der Verhandlungen sein müssen, diese aufgehaltenen Waren freizubekommen. Dabei soll versucht werden, in diese Liquidation der Vorkriegsbeziehungen nicht nur die Güter einzubeziehen, welche vor dem 2. September bereits nach der Schweiz unterwegs waren, sondern auch die Ausführung jener Bestellungen sicherzustellen, die vor diesem Zeitpunkt gegenseitig fest im Auftrag gegeben waren. Die Schweiz wird ohne grosse Bedenken in beiden Hinsichten Gegenrecht Zusagen können, mit Ausnahme der englischen Bestellungen von Kriegsmaterial, die unter Ziffer 6 gesondert behandelt sind.

2. Die Regelung des Transitverkehrs.

In ähnlicher Weise wie dies in den Verhandlungen mit Frankreich3 vorläufig gelungen ist, muss auch von Grossbritannien der freie Transit für die nach der Schweiz bestimmten Sendungen verlangt werden.

Die weitere Behandlung der gegenwärtig akuten Frage der Transportwege für solche Waren - Durchfuhr durch Belgien, Holland und insbesondere durch Deutschland - wird in Zusammenarbeit mit dem Kriegs-Transport-Amt geschehen müssen.

3. Die Regelung der gegenseitigen Einfuhr.

Das englische Einfuhrverbot vom 3. September 1939 sperrt die Einfuhr einer langen Liste von Waren in das Vereinigte Königreich, sofern ihre Hereinnahme nicht durch eine ausdrückliche Bewilligung des Board of Trade im Einzelfall zugestanden wird. Eine im «Board of Trade Journal» vom 14. September 1939 veröffentlichte «Notice to Importers» verschärft das genannte Einfuhrverbot dadurch, dass sie für eine Reihe von Waren die Erteilung von Einfuhrbewilligungen «bis auf weiteres» verbietet. Unter diesen von der Einfuhr nach Grossbritannien zur Zeit völlig ausgeschlossenen Waren befinden sich wichtigste schweizerische Exportprodukte wir Uhren, Schuhe, Leinengewebe, Stickereien, Seifen, Motorlastwagen usw.

Während unser Export in Grossbritannien eine verschlossene Tür findet, ist die Einfuhrordnung der Schweiz seit Beginn des Kriegszustandes nicht geändert worden; die Einfuhr englischer Erzeugnisse steht somit unter den gleichen Bedingungen wie früher. Dieser auffallende Unterschied in der Behandlung der gegenseitigen Einfuhren wird in den Verhandlungen Anlass zur Forderung an England geben müssen, die schweizerischen Erzeugnisse entweder vom Einfuhrverbot auszunehmen oder zum mindesten Pauschaleinfuhrlizenzen für deren Einfuhr in einem zu vereinbarenden und den schweizerischen Exportbedürfnissen gerecht werdenden Umfang zu erteilen.

In diesem Zusammenhang stellt sich als Sonderfrage die seit Kriegsbeginn von britischer Seite erlassenen Vorschriften über die Ursprungszeugnisse.

Hier ist eine Lösung anzustreben, welche sich auf die Regelung der Ursprungszeugnisse durch die schweizerische Gesetzgebung stützt und die Einmischung ausländischer Amtsstellen (Konsulate) auf das unumgänglich Notwendige begrenzt.

4. Die Regelung der gegenseitigen Ausfuhren.

Sowohl Grossbritannien wie die Schweiz haben ihre Ausfuhren von Bewilligungen abhängig gemacht. Durch die Handhabung ihrer Ausfuhrverbote beabsichtigt die Schweiz keineswegs die normalen Handelsbeziehungen mit dem Ausland zu unterbinden; insbesondere muss dies gegenüber Grossbritannien, mit dem unsere Handelsbilanz bisher in sehr erfreulicher Weise aktiv war, der Fall sein. Auch Grossbritannien hat zu mehreren Malen offiziell erklärt, dass die neutralen Länder trotz des Krieges mit allen notwendigen Gütern versorgt werden sollen. Es wird Sache der Verhandlungen sein, dieses Versprechen mit Bezug auf die Zufuhrbedürfnisse der schweizerischen Wirtschaft näher zu präzisieren und zu konkretisieren. Dies muss auf eine Weise geschehen, dass nicht bloss der Eigenbedarf der schweizerischen Bevölkerung, sondern auch der Rohstoffbedarf unserer Exportindustrie gedeckt werden kann. Man wird in diesem Punkte ein weitgehendes Verständnis für die besondere Lage und die Existenzbedürfnisse der schweizerischen Wirtschaft von den Engländern fordern müssen.

Als gewichtige Gegenleistung von schweizerischer Seite kommt vor allem die Lieferung gewisser kriegswichtiger Erzeugnisse unserer Industrien [an Grossbritannien in Frage, von denen unter Ziff. 6 dieses Antrags die Rede ist.

5. Überwachung der Ein- und Ausfuhr.

Die gesamte Ausfuhr von Waren aus Grossbritannien, auch diejenige von Transitwaren, unterliegt den strengen Blockadevorschriften, deren Sinn von britischer Seite dahin umschrieben worden ist, «Deutschland alle jene Güter vorzuenthalten, welche ihm eine Verlängerung der Kriegsführung gestatten würden».

Grossbritannien ist in diesen Zufuhrfragen bisher noch nicht offiziell an die Schweiz herangetreten, hat aber bereits von Schweiz. Firmen, welche englische Waren beziehen wollen, eine formelle Erklärung des Inhalts verlangt, dass die bezogenen Waren nur für den schweizerischen Verbrauch bestimmt seien. Hingegen hat Grossbritannien gegenüber einzelnen Staaten der sog. «Oslo-Gruppe», insbesondere gegenüber Belgien Abkommensvorschläge gemacht, die einen deutlichen Begriff von den geplanten weitgehenden Eingriffen in den Handel der neutralen Länder vermitteln.

Es wird eines der Hauptziele der Verhandlungen sein müssen, den britischen Blockadeforderungen gegenüber die Rechte der neutralen schweizerischen Wirtschaft zu verteidigen und zu wahren. Dabei wird die elastische Formulierung der Verwendungsvorschriften für eingeführte Waren, wie sie im «Accord provisoire» mit Frankreich vom 22. September 19394 vereinbart werden konnte, voraussichtlich als wertvolles Präjudiz dienen können.

Die angeführte Bestimmung lautet:

«Les marchandises importées de France en Suisse ne pourront en aucun cas être réexportées en l’état. Elles seront destinées à la consommation du pays ou à la fabrication de produits manufacturés. La Suisse s’engage à veiller à ce que les produits manufacturés avec des marchandises importées de France ne soient exportés sans limitation que dans les pays expéditeurs de ces marchandises ou dans les pays qui auront été désignés d’un commun accord. Dans tous les autres cas, les courants normaux devront être maintenus.»

Nach den uns bekannt gewordenen Absichten soll für eine Übergangszeit die Versorgung Deutschlands durch den neutralen Handel zunächst im Umfange der letzten Jahre weiterhin gestattet sein, dies wenigstens für so lange, bis in definitiven Vereinbarungen Verwendungsvorschriften für jede einzelne Warenkategorie getroffen werden können.

Grossbritannien ist bisher das einzige Land, das seine Einfuhr auf den Gehalt an «feindlichen Erzeugnissen» untersucht. Diese Tatsache, von welcher bei der Behandlung der Ursprungszeugnisse bereits die Rede war, muss für eine VeredlungsWirtschaft - wie es die schweizerische Wirtschaft ist - deren Werteschaffung nicht in den verwendeten Rohstoffen, sondern in der aufgewandten Arbeit liegt, besonders hinderlich sein. Auch über diese Seite des Überwachungsproblems muss in den Verhandlungen eine für uns tragbare Lösung gefunden werden.

Es muss sich schon aus diesen Darlegungen ergeben, dass die mit Grossbritannien zu vereinbarenden Verwendungsbestimmungen für britische Produkte in der Schweiz wohl die bedeutsamste und zugleich schwierigste Aufgabe der schweizerischen Unterhändler sein wird.

6. Kriegsmaterial-Lieferungen.

Grossbritannien hat ein sehr lebhaftes Interesse an der Ausführung grosser Kriegsmaterialbestellungen, die es an schweizerischen Firmen vergeben hat. Frankreich sind für die Ausführung ähnlicher Bestellungen zeitlich und inhaltlich begrenzte Zugeständnisse gemacht worden, wie sie im Antrag an den Bundesrat vom 11. September 19395 formuliert worden sind. Ein schweizerisches Entgegenkommen gleicher Art gegenüber Grossbritannien müsste angesichts des Ausmasses der britischen Kriegsmaterialbestellungen in der Schweiz und der dafür im Aussicht genommenen Liefertermine von britischer Seite mit Sicherheit als ungenügend bezeichnet werden. Es ist wünschbar, den schweizerischen Unterhändlern hier die Möglichkeit weitergehender Zusagen an die Hand zu geben. Leider stehen zur Zeit die Bedürfnisse der schweizerischen Armee in Konkurrenz mit der Erzeugung des für Grossbritannien bestimmten Kriegsmaterials. Es wäre im Interesse einer befriedigenden Regelung der vielen hängenden und für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes schicksalsschweren Fragen sehr zu begrüssen, wenn eine Lösung dieses Interessenkonflikts gefunden werden könnte, die den dringenden britischen Bedürfnissen entgegenkommt.

7. Die Bezahlung schweizerischer Waren durch Grossbritannien.

Die bei Ausbruch des Kriegs in England erlassenen Devisenvorschriften haben eine Lage geschaffen, die vorläufig noch völlig undurchsichtig ist. Es wird sich in den Verhandlungen Gelegenheit geben, hier abzuklären, und auf eine Handhabung der Devisenvorschriften zu dringen, welche die Bezahlung schweizerischer Leistungen sicherstellt und am wenigsten hindert. Die Schweiz kann dies umso berechtigter tun, als sie selbst den freien Zahlungsverkehr aufrecht hält.»

Gestützt auf diese Darlegungen wird antragsgemäss

beschlossen:

1. Der vorstehende Bericht wird im Sinne von Instruktionen an die Verhandlungsdelegation genehmigt;

2. a) die Führung der Verhandlungen wird der durch Bundesratsbeschluss vom 12. September 1939 bestellten Verhandlungsdelegation bestehend aus den Herren Direktor Hotz, Prof. Keller, Direktor Hornberger, Prof. Laur und R. Kohli übertragen;

b) für den Fall, dass die Besprechungen in London stattfinden, sind als weitere Delegierte zu ernennen die Herren Dr. A. Koch, Adjunkt der Handelsabteilung und Dr. Girardet von der schweizer. Gesandtschaft in London;

c) sollten es die Verhältnisse als angezeigt erscheinen lassen, so ist als weiterer Delegierter Minister Dr. Hans Sulzer in Aussicht zu nehmen, der bekanntlich über äusserst wertvolle internationale Beziehungen verfügt;

3. das Militärdepartement wird beauftragt, die Möglichkeiten und Bedingungen der Belieferung Grossbritanniens mit Kriegsmaterial zu Händen der Verhandlungsdelegation festzulegen.

1
E 1004.1 1/390. Etait absent: G. Motta.
2
Cf. E 7110 1967/32/821Grossbritannien.
3
Cf. Nos 160 et 175.
4
Cf. No 169.
5
Cf. No 160.