Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 13, Dok. 86
volume linkBern 1991
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001D#1000/1552#3207* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 114 | |
Dossiertitel | Wiedereinführung des Visums für deutsche und österreichische Pässe nach dem Anschluss, Allgemeines (1938–1940) | |
Aktenzeichen Archiv | B.44.31.1 • Zusatzkomponente: Deutschland |
dodis.ch/46843
Ich nehme hiermit Bezug auf Ihr an Herrn Dr. Weinert, Leiter der Schweizerischen Handelsagentur in hier, gerichtetes Schreiben vom 4. Mai d. J.2 betreffend die Stellungnahme gewisser hiesiger Kreise gegenüber der Handhabung der Flüchtlingsfrage seitens der Schweizerbehör den. Dazu möchte ich folgendes bemerken.
Veranlassung zu den Protesten gab hier vor allem die Bestimmung der Eidg. Fremdenpolizei, eine unterschiedliche Behandlung in den Einreisebestimmungen für jüdische und nichtjüdische deutsche Passinhaber einzuführen. Die Schritte der Fremdenpolizei, die deutschen Behörden zu veranlassen, sämtliche jüdischen Pässe mit dem roten Buchstaben «J» zu versehen, hat hier starkes Befremden hervorgerufen, indem dies in jüdischen Kreisen als Brandmarkung und daher als Beleidigung empfunden wird. Ein Teil der Presse wollte die freie Schweiz bereits im Lager der antisemitischen Staaten wissen. Dass diese Massnahmen besonders unter der Bevölkerung der 100% jüdischen Stadt Tel-Aviv Missfallen erregt haben, darf in Anbetracht des Flüchtlingselendes, von dem fast jeder jüdische Einwohner Palästinas direkt oder indirekt betroffen ist, nicht überraschen.
Ich versuchte zwar durch eine Erklärung in der Presse verschiedene ungenaue Berichte richtig zu stellen, indem ich auf das akute Flüchtlingsproblem in der Schweiz aufmerksam machte, welches Spezialmassnahmen seitens der schweizerischen Kontrollorgane erforderte. Immerhin blieb die Tatsache bestehen, dass auch für Nicht-Flüchtlinge jüdischer Konfession der Visazwang für die Schweiz eingeführt wurde und dass andere Länder, z[um]B [eispiel Holland, Belgien und Frankreich die Scheidung zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen ohne die Bezeichnung «J» im Passe bewerkstelligten.
Die Nachricht über die von den schweizerischen Behörden getroffene Anordnung hatte nun allerdings ihre Auswirkungen auch in hiesigen Importkreisen, doch gelang es den Vertretern, mit Unterstützung des Konsulates und der Handelsagentur, die Importeure davon zu überzeugen, dass die Stellungnahme der Schweizerbehörde nach wie vor nur von dem Motiv diktiert ist, die bestmögliche Lösung für das Flüchtlingsproblem zu finden. Es liegt daher kein Grund zur Annahme vor, die Schrumpfung der Ausfuhr nach Palästina in 1938 etwa als Folge einer boykottartigen Bewegung zu deuten, sondern der Rückgang ist vielmehr als eine vorübergehende Erscheinung zu betrachten, die mit der unsicheren politischen Lage in Europa und Palästina im besonderen, im Zusammenhang steht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch darauf hinweisen, dass sich für den schweizerischen Export nach hier bereits die Folgen des Ausscheidens verschiedener Lieferländer für den hiesigen Markt auszuwirken beginnen, indem der Import an Schweizerwaren von Fr. 145 000.– im Januar erfreulicherweise auf Fr. 418 000.– im März angewachsen ist. Es darf angenommen werden, dass der schweizerische Export nach Palästina sich auch in der nahen Zukunft wieder auf ansteigender Linie bewegen wird.
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Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1939)