Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 73
volume linkBern 1991
more… |▼▶Repository
Archival classification | Vgl. Edition |
Dossier title |
dodis.ch/46830
Wenn ich mir erlaube, Ihnen in dieser Angelegenheit direkt und persönlich zu schreiben, so liegt der Grund darin, dass mir dieses Problem sehr ernsthafte Sorgen macht. Trotzdem schon die letzte schweizerische Ministerkonferenz am 2. September 19382 die grosse Dringlichkeit dieser Frage und insbesondere der Aufnahme von Verhandlungen mit den in Betracht kommenden Regierungen nachdrücklich betont hat, konnten erst dieser Tage die eigentlichen technischen Besprechungen mit der französischen Regierung begonnen werden, wobei Herr Matter und der Handelsattache der Gesandtschaft sich einer grossen französischen Delegation gegenüber sahen. Diese hat sich nicht mit Unrecht darüber beklagt, dass es Monate gedauert hat, bis die Schweiz die von der französischen Regierung geforderten statistischen Angaben lieferte. Ein gütiges Geschick hat uns davor bewahrt, dass der Krieg im letzten September sowohl wie in den letzten Wochen bis jetzt vermieden werden konnte. Im ändern Falle wäre es mit der Sicherung unserer Landesversorgung schlimm, sehr schlimm gestanden. Die hiesigen Besprechungen konnten selbstverständlich noch nicht zum Abschluss gebracht werden, nicht zum wenigstens deshalb, weil von schweizerischer Seite niemand da gewesen ist, um auf Fragen zu antworten und um Vorschläge zu machen mit Bezug auf Probleme, die sich nicht nur auf das eigentliche technische Transportwesen beschränken.
Eines der wichtigsten dieser Probleme, das selbstverständlich von französischer Seite sofort aufgeworfen worden ist, betrifft die Frage der Kontrolle der aus und durch England und Frankreich in die Schweiz eingeführten Waren hinsichtlich der Garantie, dass sie nicht über die Schweiz in Feindesland gelangen. Dieses Problem, das während des letzten Krieges in bekannt unbefriedigender Weise durch die SSS3 gelöst worden war, bedarf auch heute dringend einer raschen Lösung. Dabei wird man bedenken müssen, dass heute Italien auf der ändern Seite steht. Wenn ich mich daran erinnere, welche ungeheuren Schwierigkeiten diese Fragen während des letzten Krieges bereitet haben und wie sehr wir mangels eigener Vorbereitung und eigener Vorschläge dem ausländischen Druck ausgesetzt waren, so komme ich zur Entscheidung, dass es höchste, allerhöchste Zeit ist, dass die Schweiz selber die Initiative ergreift und den interessierten Regierungen klare und möglichst günstige Vorschläge macht. Dabei werden nur aussenpolitische Gesichtspunkte, sondern auch innerpolitische Fragen von Bedeutung sein, wie diejenige ob wiederum eine an sich privatwirtschaftlich aufgezogene Organisation zu schaffen sei (SSS), die in den verschiedenen Hauptstädten neben den Gesandtschaften ihre eigenen autonomen Vertretungen hat und die in der Hauptsache mit Konventionalstrafen arbeitet, oder ob nicht diesmal von vornherein der ganze Apparat staatlichen Charakter haben soll. Die Frage ist so schwerwiegend, dass es meines Erachtens nicht nur keinen Sinn hat, sondern sogar sehr gefährlich wäre, wenn zu ihrer Diskussion Beamte in die verschiedenen Hauptstädte geschickt werden, die die Tragweite des ganzen Fragenkomplexes unmöglich übersehen können. Meines Erachtens sollte diese Frage so rasch als möglich vom Bundesrat als Gesamtbehörde einlässlich geprüft und dann entschieden werden4. Gestützt darauf wären entweder Spezialdelegierten oder den Gesandtschaften bestimmte Instruktionen zu erteilen. Was aber meiner Auffassung nach unbedingt vermieden werden muss ist, dass ohne klare Richtlinien des Bundesrates von verschiedenen Gesandtschaften oder von mehr oder weniger kompetenten Delegierten an diesem Problem «herumgeknappert» wird.
Was die Verhandlungen mit Frankreich speziell anbelangt, so wird Ihnen Herr Matter über das eigentliche Transportproblem Bericht erstatten5. Aus diesem Bericht wird hervorgehen, dass durch die verschiedenen Departemente und dann durch den Bundesrat noch folgende Fragen möglichst umgehend abzuklären sind:
1. Spezieller völkerrechtlicher Schutz für neutrale Schiffe, die ausschliesslich mit Schweizerwaren beladen sind.
2. Allfälliger völkerrechtlicher Schutz für Meer- und Flusshäfen, die ausschliesslich schweizerischen Verkehr besorgen.
3. Transport überseeischer Waren aus belgischen Häfen (falls Belgien in einem Krieg neutral bleibt), über deutsches Gebiet nach der Schweiz, und schliesslich die oben eingehender behandelte Frage betreffend schweizerische Kontrollorganisation.
Ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn ich Ihre persönliche Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit und die Dringlichkeit dieser Frage hinlenke. Sie wissen, dass hiefür ausschliesslich sachliche Gründe massgebend sind.
- 1
- Lettre (Copie): E 2200 Paris 12/38. Wirtschaftliche Versorgung der Schweiz im Kriegsfälle.↩
- 2
- Un procès-verbal de cette conférence n’a pas été retrouvé.↩
- 3
- Sur la Société Suisse de Surveillance économique, cf. DDS, vol. 6, Table méthodique, II. Les négociations économiques et financières avec les Alliés.↩
- 4
- Lors de la séance du Conseil fédéral du 12 mai 1939 (E 1004.1 1/385, No1011), le Département de l’Economie publique demande l’autorisation de préparer, pour le cas de guerre, une organisation de contrôle des importations et des exportations qui soit placée, en principe, entre les mains de l’Etat. Le Conseil fédéral renvoie la proposition au Département politique pour avis. Ce n’est que le 12 juin 1939 que le Conseil fédéral prendra sa décision: cf. No 101.↩
- 5
- Cf. No 77.↩
Tags
Outbreak of World War II (1939)