Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.12 FRANCE
II.12.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 449
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#777* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 91 (1938–1938) |
dodis.ch/46709
Der verbrecherisch-stupide Anschlag, dem ein junger Sekretär der hiesigen deutschen Botschaft zum Opfer gefallen ist, hat hier überall berechtigte und grosse Entrüstung und Teilnahme hervorgerufen. Diese kam sehr deutlich zum Ausdruck anlässlich der Trauerfeier, die letzten Samstag von der Deutschen Botschaft in der deutschen Kirche veranstaltet worden ist und an der das ganze offizielle Frankreich teilnahm. Obschon ich dem Deutschen Boschafter bereits vorher einen Beileidsbesuch gemacht hatte und an diesem Tage nachmittags 2 Uhr nach Dijon verreisen musste, hielt ich doch darauf, an der Trauerfeier persönlich teilzunehmen. Es war dies um so angezeigter, als Herr Staatssekretär von Weizsäcker neben dem Botschafter die deutsche Regierung offiziell vertrat. Ich hatte anlässlich der übrigens sehr eindrucksvollen und schönen Trauerfeier nur kurz Gelegenheit, mit Herrn von Weizsäcker zu sprechen, und verreiste unmittelbar nachher nach Dijon. Gestern, nach meiner Rückkehr, telephonierte mir Herr von Weizsäcker, der in Paris geblieben war, um mir seinen freundschaftlichen Besuch anzukündigen. Ich bat ihn auf heute im engsten Familienkreise zum Mittagessen. Er hat mich soeben verlassen, nachdem wir sehr offen und freundschaftlich verschiedene wichtige Fragen eingehend diskutiert haben.
Ich erlaube mir, über die von ihm geäusserten Meinungen Folgendes zu berichten:
Er betont mit allem Nachdruck, dass nach Auffassung der deutschen Regierung gegenüber Frankreich kein Konfliktsstoff mehr bestehe und man deutscherseits um so lieber zu einer Entspannung und Verständigung bereit sei, als sich der französische Ministerpräsident beim Führer und beim deutschen Volk grosse persönliche Sympathien erworben habe. Ohne es ausdrücklich zu sagen, liess er durchblicken, dass der Abschluss eines deutsch-französischen Nichtangriffpaktes möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich sei. Was insbesondere die deutschen Kolonialforderungen anbelangt, so würden sie selbstverständlich von Deutschland energisch weitervertreten, einen Krieg werde Deutschland deshalb aber nicht führen.
Herr von W. beurteilt meines Erachtens die innere Situation in Frankreich durchaus richtig, wenn er sagt, dass man sich nicht durch die ständigen Parteikämpfe darüber täuschen lassen dürfe, dass Frankreich sich sofort einigen und geschlossen jedem Feinde entgegenstellen würde, falls wirklich ernste französische Lebensinteressen im Spiele stehen. Ich stimme ihm auch darin bei, dass dies eben während der letzten Krise nach Ansicht der französischen Öffentlichkeit nicht der Fall gewesen ist und dass deshalb im September ein Krieg in Frankreich recht unpopulär gewesen wäre.
Mit Bezug auf die französisch-italienischen Beziehungen, äusserte Herr von W. folgende Meinung: Der Duce verachtet die französische Politik und die französischen Politiker. Gewisse seiner Mitarbeiter, insbesondere der Aussenminister, beurteilen Frankreich vollkommen falsch, indem sie meinen, die Korruption, die innere Zersetzung, seien soweit fortgeschritten, dass Frankreich im Kriegsfälle überhaupt kein ernst zu nehmender Gegner mehr wäre. In Berlin, fügt er bei, denke man ganz anders und habe insbesondere vor der französischen Landarmee den grössten Respekt. Wenn trotz der Ernennung eines französischen Botschafters in Rom die italienische Stimmung gegen Frankreich immer noch schlecht sei, so liege der Grund in der oben angedeuteten ausgeprochenen Antipathie des italienischen Regierungschefes gegen die französischen Politiker. Seines Erachtens handelt es sich aber keineswegs darum, irgend eine Angriffshandlung stimmungsgemäss vorzubereiten. In Berlin sei man vollständig davon überzeugt, dass Italien gegenwärtig noch genügend zu «verdauen» habe und keineswegs beabsichtige, in näherer Zukunft irgendwie agressiv im Mittelmeergebiet vorzugehen.
Resümierend betrachtet Herr von W. die Lage also so: Zwischen Deutschland und Frankreich Kriegsgefahr auf absehbare Zeit hinaus beseitigt, zwischen Italien und Frankreich für die nächste Zukunft äusserst unwahrscheinlich.
Ich habe das Gespräch dann auch auf die gegenwärtig akute Judenfrage gebracht. Herr von W. hat nicht den geringsten Versuch unternommen, das zu verteidigen, was in letzter Zeit, illegal und legal, gegen die Juden in Deutschland unternommen wurde. Ohne sich irgend etwas zu vergeben, gab er mit mir seinem grossen Bedauern darüber Ausdruck, dass nun wiederum in der ganzen Welt eine sehr schlechte Stimmung gegen Deutschland geschaffen wurde. Seiner Ansicht nach ist die nationalsozialistische Partei derart im Kampf gegen das Judentum engagiert, dass sie nicht mehr zurück, ja nicht einmal mehr stillehalten kann. Die noch in Deutschland verbliebenen circa 500000 Juden sollten unbedingt irgendwie abgeschoben werden, denn sie könnten in Deutschland nicht bleiben. Wenn, wie bisher, jedoch kein Land bereit sei, sie aufzunehmen, so gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen.
Über die schweizerisch-deutschen Beziehungen haben wir uns nicht näher unterhalten. Herr von W. bezeichnete sie als «ordentlich» und erklärte, in Deutschland teile jedermann die offiziell ausgesprochene Ansicht, die deutsche Schweiz wäre für Deutschland ein «unverdauerlicher Bissen».
Herr von W. wird heute abend oder morgen Paris verlassen, in Düsseldorf an den Beerdigungsfeierlichkeiten von Herrn vom Rath teilnehmen und sich unmittelbar hierauf mit seiner Frau auf eine Mittelmeerfahrt begeben.
Das lange Gespräch hat sich in genau der gleichen freundschaftlichen Atmosphäre abgewickelt, wie wir uns von Bern und Berlin gewohnt waren.
Schon im Frühling dieses Jahres war ich durch unseren Konsul in Dijon eingeladen worden, im Herbst nach Burgund zu kommen und die «Trois Glorieuses de Bourgogne» zu präsidieren. Da dies vor mir schon die Botschafter der Vereinigten Staaten und Belgiens sowie einige hier akkreditierte Minister getan hatten, glaubte ich nicht ablehnen zu sollen. Ich war deshalb von Samstag abend bis Montag morgen, begleitet von den Herren de Torrenté und Naville, in Dijon, Nuits-St-Georges, Clos-Vougeot und Beaune. Ich brauche nicht zu betonen, dass die ganze Unternehmung recht anstrengend war. Ich habe als Vertreter der Schweiz überall von Seiten der Behörden, Organisationen und der Bevölkerung einen ganz ausserordentlich freundschaftlichen Empfang gefunden. Mit verschiedenen anderen Schweizern (Direktor Rietmann von der N.Z.Z., Bittel vom Office du Tourisme, etc.) wurde ich nach feierlichem altem Brauch in die «Confrérie des Tastevins» aufgenommen, wobei der «Grand Maître» in einem äusserst komischen Küchenlatein das Lob der Schweiz und der Schweizer verkündete. Unmittelbar vorher hatte mich der in der Mairie versammelte Gemeinderat von Nuits-St-Georges in einer, in seiner Schlichtheit ergreifenden Zeremonie zum Ehrenbürger dieser kleinen burgundischen Stadt ernannt. Es hat dies weiter keine ändern Konsequenzen, als dass ich für die Armen dieser Gemeinde einen erheblichen Betrag spendieren und eine grössere Bestellung von Wein machen musste. Am nächsten Tage eröffnete ich offiziell die recht interessante Versteigerung der Weine des Jahrganges 1938 von Beaune, bei welcher auch viele Schweizerkäufer zugegen waren. Am Abend war ein zweites grosses Bankett, das zu einer eindrucksvollen Demonstration der burgundischen Freundschaft für die Schweiz Anlass gab. In den verschiedenen Ansprachen, die ich bei diesem Anlasse zu halten hatte, enthielt ich mich jeder politischen Ausführung, benutzte vielmehr die Gelegenheit, um für den Absatz von Schweizerkäse und für den Besuch unserer Landesausstellung 1939 Propaganda zu machen.
Die Zwischenzeit benutzte ich zu einem Besuch des Schweizerischen Konsulates und des schweizerischen Standes an der gegenwärtigen Herbstmesse von Dijon. Mit kleinen Mitteln ist hier eine recht gute und nützliche Arbeit geleistet worden.
Da nächsten Dienstag mein Sohn in Bern sein erstes grösseres Konzert gibt, so beabsichtige ich, mit meiner Frau auf zwei Tage nach Bern zu kommen. Ich werde mir erlauben, Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesrat, meinen Besuch zu machen und hoffe, Ihnen bei dieser Gelegenheit ein einigermassen sicheres Urteil über die Aussichten der neuen «décrets-lois» bekanntgegeben zu können. Zur Stunde ist die Situation in dieser Hinsicht noch recht unübersichtlich.
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