Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 441
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1551#2308* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 75 | |
Dossier title | Boykott der schweizer Exportindustrie und schweizer Geschäfte durch deutsche Grenzgänger (1938–1938) | |
File reference archive | B.34.09.02.1 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/46701
Mit Ihrem Schreiben vom 3. d. M2 geben Sie uns Kenntnis von einer Mitteilung der Schweizerischen Leinenindustrie A.-G. vom 1. November 1938, die Ihnen bekanntgibt, dass gute Kunden in Süddeutschland infolge der Haltung der schweizerischen Öffentlichkeit gegenüber Deutschland keine Schweizerwaren mehr kaufen wollen.
Solche Wahrnehmungen sind durchaus nicht vereinzelt, sondern haben leider allgemeinen Charakter angenommen. Wie uns das Volkswirtschaftsdepartement vor einigen Tagen berichtete, sind weite Kreise der schweizerischen Wirtschaft über die Gestaltung unserer Beziehungen zu Deutschland ernstlich besorgt, was in Vorstellungen einer Delegation von Industriellen beim Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartement3 und in einer Eingabe an den Schweizerischen Gesandten in Berlin4 zum Ausdruck kam. Auch der Fremdenverkehrsverband hat in einem Schreiben an das Politische Departement eindringlich auf die bedenkliche Verschlechterung der Situation hingewiesen.
Der Unterzeichnete hat anlässlich der Pressekonferenz, die am 26. Oktober5 abhin in Bern stattfand, von den obenerwähnten Schritten und FestStellungen schweizerischer Wirtschaftskreise Kenntnis gegeben, doch zeigte sich, dass auch solche Pressevertreter, bei denen man Verständnis für die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung guter wirtschaftlicher Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland hätte voraussetzen dürfen, diesen Kundgebungen kein entscheidendes Gewicht glaubten beilegen zu sollen.
Die Auseinandersetzungen zwischen schweizerischen und deutschen Zeitungen haben in den letzten Tagen zwar an Schärfe verloren, doch muss gesagt werden, dass gerade das wirtschaftliche Verhältnis der Schweiz zu Deutschland noch in mannigfacher Hinsicht zu wünschen übrig lässt. Schon seit einiger Zeit mehren sich die Klagen von deutscher Seite, dass nicht nur ein stiller Boykott seitens schweizerischer Abnehmer deutscher Waren eingetreten sei, sondern dass auch die in der Schweiz lebenden deutschen Geschäftsleute vielfach von einem solchen Geschäftsausschluss betroffen werden. Es lässt sich leicht vorstellen, welches Schicksal den schweizerisch-deutschen Beziehungen blühen würde, wenn beidseitig der Grenze derartige Methoden und Massnahmen zur Regel werden sollten.
Eine solche Entwicklung der Dinge muss jeden unvoreingenommenen Beurteiler der Lage unseres Landes mit tiefgehender Sorge erfüllen, sowohl wenn er die weitere Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen als des Verhältnisses im allgemeinen zu unserm deutschen Nachbarstaat ins Auge fasst. Die Schweiz ist auf das deutsche Wirtschaftsgebiet, das zudem in den letzten Monaten eine ganz beträchtliche Vergrösserung erfahren hat, nun einmal angewiesen, und es kann doch keine Rede davon sein, aus einer ideologischen Kampfesstimmung heraus alte bewährte Geschäftsverbindungen mit Deutschland aufzugeben und deutsche Besucher unserer Landes abzustossen. Es erübrigt sich wohl, darauf hinzuweisen, dass es schwer fallen dürfte, für diesen Ausfall in ändern Staaten nur annähernd Ersatz zu schaffen und dass dann gerade die gleichen Kreise, die am meisten das Feuer schüren und die Spannungen verschärfen, die verhängnisvollen Auswirkungen zu spüren bekämen.
Aus den vorstehenden Erwägungen wären wir Ihnen ganz bersonders zu Dank verbunden, wenn Sie Ihrerseits sich bei den Ihnen nahestehenden Kreisen und Pressorganen dafür verwenden wollten, dass den oben dargelegten gefährlichen Zuständen eine Ende bereitet wird.
Ihrer Stellungnahme6 gern entgegensehend, benützen wir den Anlass, um Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, erneut unserer vorzüglichsten Hochachtung zu versichern.
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