Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.12 FRANCE
II.12.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 419
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#777* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 91 (1938–1938) |
dodis.ch/46679
Kaum hat sich die letzte Woche bis aufs äusserste angespannte internationale Lage beruhigt, so treten in Frankreich die alten Probleme der Innenpolitik, Finanzen, Wirtschaft, Arbeitsfriede, mit umso grösserem Ernst wieder in den Vordergrund. Ich habe vorgestern während 41/2 Stunden der Kammersitzung beigewohnt. Die Rede des Ministerpräsidenten war ausserordentlich eindrucksvoll und wurde von der gesamten Kammer mit grösstem Respekt in lautloser Stille angehört. Aber obschon fast sämtliche Zeitungen dringend gefordert hatten, dass sich die Kammer dem Ernst der Stunde würdig zeige, obschon von Seiten des Ministerpräsidenten und des Kammerpräsidenten in dieser Richtung intensiv gearbeitet worden ist und obschon lediglich die Fraktionschefs je eine Viertelstunde zum Wort kommen sollten, war das Niveau der Diskussion bei weitem nicht dem Ernst der Stunde entsprechend. Die meisten Redner ergingen sich entweder in unnötigen und geradezu deplacierten Plattheiten oder machten reine Parteipropaganda wie zum Beispiel Leon Blum. Die Kammer konnte es sich auch nicht versagen, der Öffentlichkeit und der überfüllten Diplomatentribüne gegenüber öfters das übliche Bild einer schreienden, gestikulierenden und nahezu raufenden Bande von Schuljungen zu bieten. Wer diese Sitzung miterlebt hat, konnte sich leicht eine Vorstellung machen, wie kläglich es immer noch im französischen Parlament mit der nationalen Einigkeit bestellt ist und wie wenig dieses bereit ist, dem dringenden Appell des Ministerpräsidenten einerseits und dem ganz überwiegenden Teil des Volkes anderseits zu folgen. All das, was über die nächtlichen Parteiverhandlungen über die von Daladier geforderten Vollmachten bekannt geworden ist, verstärkt diesen niederschmetternden Eindruck. Die Rechtspresse behauptet wohl - mit ihr auch verschiedene Korrespondenten der schweizerischen Presse - die Volksfront sei gebrochen, da die Kommunisten sowohl bezüglich der Aussenpolitik wie hinsichtlich der Vollmachtenfrage gegen die Regierung gestimmt haben. Mir scheint dies noch lange nicht sicher zu sein, da einerseits Daladier ausdrücklich am Russenpakt festgehalten hat und anderseits, um sich wenigstens die Stimmenthaltung der Sozialisten bei der 2. Abstimmung zu erkaufen, über die Sozialgesetze Zusicherungen abgegeben hat, die alles, was rechts der heutigen Mehrheit steht, auf das heftigste erbitterten. Jedenfalls ist im Augenblick noch durchaus unklar, wie die jetzige «Front» durch eine andere ersetzt werden könnte.
Nun hat ja Daladier allerdings Vollmachten erhalten. In einer Zeit, da die Schwierigkeiten aller Art grösser sind als je zuvor, hat man ihm aber diese Vollmachten auf weniger als sechs Wochen beschränkt! Dazu kommt, dass er, um auch nur dieses Wenige zu erhalten, eine Reihe von Erklärungen abgeben musste, die seine Handlungsfähigkeit ausserordentlich einschränken. (Keine neue Abwertung, keine Devisenbewirtschaftung, keine Rentenkonversion, keine Einschränkung der sozialen Gesetze). Es ist schlechterdings nicht einzusehen, was die Regierung angesichts dieser Sachlage in diesen fünf Wochen Entscheidendes soll tun können. Einzig bleibt wohl die Aufwertung des Goldbestandes, welche einen Buchgewinn von circa 40 Milliarden bringen würde. Dieser Betrag wäre ungefähr gerade ausreichend, um die Vorschüsse, die die Banque de France dem Staat in der letzten Zeit gemacht hat, auszugleichen und hätte selbstverständlich die Wirkung einer noch bedeutend gesteigerten Inflation.
Aus meinen zahlreichen Besprechungen der letzten Tage, unter anderem mit drei Mitgliedern der Regierung und verschiedenen in Finanzdingen besonders bewanderten Persönlichkeiten, habe ich den bestimmten Eindruck, dass Daladier nicht stark genug ist, um das gegenwärtige gewaltige Prestige, das er im Volke hat, zu einer entscheidenden Tat auszunützen. Diese müsste dahin gehen, das Vertrauen der Wirtschaft und der Finanz wieder herzustellen. Das scheint aber solange unmöglich, als er nicht gegenüber Moskau und den Kommunisten den klaren Trennungsstrich zieht und solange er in seinem Kabinett Männer duldet, von denen jedermann behauptet, sie hätten im Einvernehmen mit Moskau mit aller Macht zum Kriege getrieben. Ich glaube heute, gestützt auf zuverlässige Informationen, sagen zu können, dass in der Tat diese Gruppe, offenbar im Einvernehmen mit jüdischen Kreisen, die auch in London gewirkt haben, sehr stark tätig war. Zu ihr gehören vor allem Mandel, Paul Reynaud, Sarraut und Jean Zay. Weniger ausgesprochen und namentlich aus anständigeren Motiven seien sie unterstützt worden durch Patenötre, Campinchi, Champetier de Ribes und Chappedelaine. Auf der ändern Seite traten für die Wahrung des Friedens besonders kräftig ein Bonnet, Chautemps, de Monzie, Pomaret und Marchandeau. Der Ministerpräsident selber stund ziemlich in der Mitte, neigte sich aber dann, offenkundig unter englischem Einfluss, immer mehr der zweiten Gruppe zu.
Aus allen diesen Gründen bin ich gegenüber den Taten der Regierung der nächsten Zeit skeptisch und sehe mit grossen Befürchtungen der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialpolitischen Entwicklung dieses Landes entgegen. Der Arbeitsminister, den ich heute besuchte, hat mir offen zugegeben, dass er schon bald mit dem Wiederaufleben von Streiks, insbesondere bei den Bauarbeitern und in der Metallindustrie, rechne. Er vertrat auch den Standpunkt, dass angesichts der in letzter Zeit auf der ganzen Linie stark steigenden Lebenskosten umfassende Lohnerhöhungen nicht zu verhindern seien. Der Finanzminister dagegen, den ich ebenfalls heute aufsuchte, um neuerdings auf die baldige Inkraftsetzung des Doppelbesteuerungsabkommens zu dringen, glaubte sich eher zuversichtlich zeigen zu müssen, ohne allerdings die geringste Andeutung zu machen, in welcher Weise er die äusserst ernste Finanzfrage lösen will.
Ich rechne jedenfalls immer mehr damit, dass, wenn nicht ein Wunder geschieht, eine neue Abwertung des französischen Frankens und die Einführung einer Devisenbewirtschaftung kaum vermeidbar sind.
Von deutscher Seite habe ich einige recht interessante Informationen erhalten: So soll sich Daladier in München bei Hitler und namentlich bei Goering grosse persönliche Sympathien erworben haben. Durch den bekannten Passus seiner Kammerrede hat er sie noch wesentlich verstärkt. Ferner ist nicht uninteressant, dass der hiesige deutsche Botschafter während der ganzen Krise in Berlin abwesend war in der Überzeugung, der Krieg sei doch unvermeidbar und es lohne sich nicht mehr, nach Paris zurückzukehren! (Dies habe ich von seinem Stellvertreter). In Deutschland weiss man, dass die tschechischen Befestigungen von französischen Ingenieuren genau nach dem Muster der Maginotlinie gebaut worden sind und freut sich sehr, deren Geheimnisse auf diese Weise kennen zu lernen. Die «Humanité» hat denn auch nicht verfehlt, gestern in grosser Aufmachung auf diesen wichtigen Punkt hinzuweisen.
Schon vor längerer Zeit hörte man sagen, dass Frankreich im Kriegsfälle, der Italien an die Seite Deutschlands hätte treten lassen, nicht die Maginotlinie, sondern Italien über den Mont-Cenis und die übrigen Pässe angegriffen hätte. Das Bestehen dieses sogenannten Maiplanes ist mir von deutscher Seite bestätigt worden. Unmittelbar vor dem Höhepunkt der Krise scheint man auch ernsthaft an die Möglichkeit einer Überschreitung der Pyrenäen und eines Angriffs gegen Franco gedacht zu haben. Hierauf ist offenbar die überraschende Neutralitätserklärung Francos zurückzuführen.
Ich möchte diesen Bericht damit schliessen, dass ich Sie vertraulich in Kenntnis davon setze, dass gegenwärtig verschiedene Schweizergruppen hier tätig zu sein scheinen, um gegen eine schweizerische Anleihe an Frankreich in irgendwelcher Form grosse Kriegsmaterialbestellungen zu erhalten. Man hat sogar davon gesprochen, dass dafür die schweizerische Exportrisikogarantie zugesichert sei. Genaues ist mir zur Stunde nicht bekannt. Ich brauche aber kaum darauf hinzuweisen, wie bedenklich es von unserem Neutralitätsstandpunkte aus wäre, wenn im Kriegsfälle in der Schweiz wie im Weltkrieg Kriegsmaterial für Frankreich fabriziert würde und dies noch durch direkte staatliche Massnahmen unterstützt werden sollte. Ich möchte jedenfalls empfehlen, dieser Frage, wenn sie sich wirklich stellen sollte, die grösste Aufmerksamkeit zu schenken.
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