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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 12, doc. 398
volume linkBern 1994
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#777* | |
Titolo dossier | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 91 (1938–1938) |
dodis.ch/46658
Gestern abend besuchte ich den politischen Direktor am Quai d’Orsay. Nach all den Ereignissen der letzten Tage erwartete ich nicht, ihn selbstsicher und zufrieden zu finden, da er einen Zusammenbruch der Politik Frankreichs der letzten Jahren, an der er doch stark beteiligt war, miterleben musste. Herr MfassigliJ ist in der Tat auf das alleräusserste deprimiert und erschüttert. Er hat mehrfach während unseres Gespräches die Tränen nicht mehr zurückzuhalten vermocht. Er betrachtet die Entwicklung der letzten Tage, wohl mit Recht, als eine gewaltige Niederlage Frankreichs und als einen entsprechend grossen Sieg Deutschlands, der sich in der Zukunft noch sehr bitter rächen werde. Das schlimmste scheint ihm zu sein, dass ganz Mittel- und Osteuropa Frankreich nicht mehr ernst nehmen und als bündnisfähig ansehen, sondern zwangsläufig in die Arme Hitlers getrieben werde. Er liess durchblicken, was mir von anderer Seite schon mit Nachdruck erklärt worden war, dass die englisch-französische Verständigung gegen den Willen und den Rat der obersten Beamten des Quai d’Orsay zustande gekommen ist.
Mit Bezug auf die weitere Entwicklung der Dinge, sieht Herr M., was an sich psychologisch begreiflich ist, alles schwarz in schwarz: Hitler will nicht oder nicht mehr nur die Sudetendeutschen befreien, er will in seinem blinden Hass Prag und die ganze Tschechoslowakei zerstören und beseitigen. Er will sich unter keinen Umständen um das militärische Manöver und Schauspiel einer Eroberung der Tschechoslowakei bringen lassen, er will Skoda, er will die Kornkammer, er will die Grenze mit Ungarn. Er werde deshalb in Godesberg Herrn Chamberlain noch ruppiger und schlechter behandeln als das letzte Mal, so sprechen, dass eine sofortige Verständigung unmöglich sei und dann am 24. dieses Monats, dem von ihm schon lange als entscheidend bezeichneten Tage, marschieren.
Ich habe geantwortet, dass diese Auffassung nicht nur schlecht übereinstimme mit derjenigen, die Herr Bonnet mir und einigen Kollegen geäussert hat, sondern auch kaum einer ernsthaften Prüfung standhalte. Hitler hätte den grossen Erfolg mit Drohungen allein niemals errungen, wenn nicht sein Begehren, Selbstbestimmung für 31/2 Millionen vergewaltigte Deutsche, eben eine starke moralische Kraft gehabt hätte. Auf dieses Begehren hat er sich so stark festgelegt und konzentriert, er hat mit dieser moralischen Kraft die öffentliche Meinung in Frankreich und England so beeinflusst und geschwächt, dass er ohne Schwertstreich zu einem ungeheuren Erfolge kommt. Er wird und muss sich Rechenschaft geben, dass die Situation sofort vollkommen ändert, wenn er aus einem «Befreier» zu einem Eroberer und Zerstörer wird. In diesem Falle würde doch sicherlich Frankreich und England von einer derartigen Welle der Empörung ergriffen und es würde die öffentliche Meinung in Italien gegen Deutschland sich wenden, dass ein französisch-englischer Krieg gegen Deutschland, der sich nun diesmal auf die volle Überzeugung, ja den Hass dieser beiden Völker stützen könnte, unvermeidbar würde. Hitler, von dem M. selber unmittelbar vorher gesagt hatte, er sei ein politisches Genie, würde, fuhr ich fort, doch sicher einen derartigen Unsinn nicht begehen. Was er allerdings später, nach neuer sorgfältiger Vorbereitung unternehmen und fordern werde, bleibe dahingestellt. Für den Augenblick scheine mir nach wie vor die Gefahr eines europäischen Krieges beseitigt. Die Reaktion des Herrn M. war so, dass er mit sichtlicher Freude meine optimistischere Argumentation vernahm und sie eigentlich kaum zu widerlegen versuchte. Er war eben offenbar unter dem Eindruck der für Frankreich und den Quai d’Orsay so schmerzlichen Ereignisse der letzten Tage einfach fast widerstandslos vom Pessimismus besiegt worden.
Herr M. teilte mir mit, dass der Botschafter vor einigen Tagen berichtet hätte, man spreche in der Schweiz öfters von der Möglichkeit eines französischen Durchmarsch-Ultimatums. Man habe ihm in gleicher Weise geantwortet, wie dies Herr Bonnet direkt mir gegenüber getan hat.
Mit Bezug auf die bevorstehenden Verhandlungen betreffend Sicherung der Transporte durch Frankreich im Kriegsfälle, versprach mir Herr M. ebenso sehr seine vollständige Unterstützung wie mit Bezug auf die von mir vorbereiteten Verhandlungen betreffend Abtransport der im hiesigen Konsularbezirk lebenden militärpflichtigen Schweizerbürger und der eventuellen Evakuierung der hiesigen Schweizerkolonie nach der Schweiz. Über diese letzteren beiden Punkte werde ich Ihnen in einigen Tagen, wenn die Besprechungen weitergeführt sein werden, eingehender berichten.
N.B. Herr M. hat, wie heute übrigens auch ein bekanntes Mitglied der französischen Regierung, ausdrücklich folgende von mir geäusserte Auffassung als richtig anerkannt: Hitler macht sich neuerdings zum Anwalt der polnischen und ungarischen Minoritäten. Es ist klar, dass die Abtrennung dieser beiden weitern Gebiete für die Tschechoslowakei und damit auch für Frankreich höchst unerwünscht ist. Die Regierungen von London und Paris werden deshalb versuchen müssen, sich dieser weitern Amputation zu widersetzen. Tun sie dies, ohne zu erklären, dass sie sonst zum Kriege schreiten würden, so wird ihre Haltung ohne Einfluss bleiben. Dieser beiden neuen Fragen wegen aber an einen Krieg zu denken und ihn eventuell zu führen, scheint nach allem Vorausgegangenen vollkommen unmöglich.
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Crisi dei Sudeti e accordo di Monaco (1938)