Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.1 ALLEMAGNE
II.1.3 ALLEMAGNE. LES PERSÉCUTIONS ANTISÉMITES
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 383
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1552#2748* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 100 | |
Dossier title | Arisierung der deutschen Wirtschaft, Allgemeines (1937–1942) | |
File reference archive | B.34.9.05.20 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/46643
Aide-Mémoire du Département politique1
EXPOSÉ FÜR HERRN BUNDESRAT MOTTA
1. In einem vom 3. Mai 1938 datierten Exposé2 war bereits auf die Entwicklung der deutschen Judengesetzgebung hingewiesen worden. Seither hat sich die Lage noch wesentlich verschärft. In seinen Bestrebungen zur Arisierung der Wirtschaft schreckt Deutschland auch nicht vor Massnahmen gegenüber jüdischen Ausländern zurück. Gerade in letzter Zeit mehren sich die Fälle, in denen sich Nichtarier schweizerischer Nationalität darüber beklagen, dass sie in verschiedener Hinsicht gegenüber arischen Deutschen und Ausländern schwer benachteiligt werden.
Die Schweiz hat bisher davon abgesehen, die Judenfrage in Deutschland, soweit dadurch Interessen ihrer jüdischen Landsleute berührt werden, zum Gegenstand einer grundsätzlichen Demarche bei den zuständigen deutschen Behörden zu machen. Sie hat sich darauf beschränkt, die Entwicklung aufmerksam zu verfolgen und lediglich in Einzelfällen Schritte zu unternehmen, wo ihr dies angezeigt schien, meistens allerdings mit negativem Erfolg. Im Augenblick aber, wo auch Italien sehr weitgehende Judengesetze erlassen hat, dürfte mit einer weitern Beschleunigung und Verschärfung des Arisierungsprozesses in Deutschland zu rechnen sein. Es erscheint deshalb angezeigt, erneut zu prüfen, ob in dieser Frage nunmehr grundsätzliche Schritte unternommen werden sollen, oder ob man sich weiterhin auf Interventionen in Einzelfällen beschränken will.
2. Die Interessen jüdischer Schweizerbürger werden durch die deutsche Judengesetzgebung und sonstige Massnahmen gegen die Juden in folgender Hinsicht berührt:
a. Anmeldung jüdischer Vermögen
Nach der Verordnung vom 26. April 1938 über die Anmeldung des Vermögens von Juden (Reichsgesetzblatt I, Nr. 94, Seite 414/20. Juni 1938) sind Juden fremder Staatsangehörigkeit in Deutschland zur Anmeldung ihres inländischen, nicht aber ihres ausländischen Vermögens verpflichtet. Haben sie ihren Wohnsitz ausserhalb Deutschlands, so unterliegen sie für ihr in Deutschland liegendes Vermögen nicht der Anzeigepficht, sofern sie nicht jüdische Emigranten sind, die Deutschland seit dem Jahre 1933 als deutsche Staatsangehörige aus politischen Gründen verlassen und nachher eine ausländische Staatsangehörigkeit erworben haben. Direkte Nachteile sind bis jetzt jüdischen Schweizern aus der Anmeldung ihres Vermögens nicht erwachsen. Es muss aber damit gerechnet werden, dass das angemeldete jüdische Vermögen, auch das der ausländischen Juden in Deutschland, früher oder später Gegenstand besonderer Massnahmen sein wird. Zwar hat das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches der Schweizerischen Gesandtschaft in Berlin im Juni dieses Jahres telephonisch die Zusicherung abgegeben, dass hinsichtlich der Heranziehung der angemeldeten Vermögen jüdischer Ausländer zu Zwecken des Vierjahresplanes die Einwände und Wünsche des Heimatstaates im Einzelfall berücksichtigt werden sollen, indem man sich gewissenhaft an die in den bestehenden Verträgen enthaltenen Bestimmungen, z.B. hinsichtlich der Gewährung von Entschädigungen bei Enteignungen, halten werde. Solche Vermögen würden nicht einfach im Verwaltungswege für Zwecke des Vier jahresplanes enteignet, sondern im Wege des ordentlichen Enteignungsverfahrens nur gegen Entschädigung. Die in der Verbalnote des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 30. Juni an die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin enthaltene Bestätigung dieser Zusicherung lautet indessen bedeutend weniger positiv. Es wird darin lediglich mitgeteilt, «dass in jedem Einzelfall geprüft werden wird, ob dabei etwa in Geltung befindliche Bestimmungen deutsch-schweizerischer Vereinbarungen zu berücksichtigen wären». Die hinsichtlich der Heranziehung des Vermögens jüdischer Ausländer gehegten Befürchtungen erscheinen deshalb trotz dieser Note keineswegs gegenstandslos.
b. Verzeichnis jüdischer Gewerbebetriebe
Im Gefolge der Arisierungsbestrebungen ist am 14. Juni 1938 eine Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 erlassen worden, die bestimmt, dass jüdische Gewerbebetriebe in ein Verzeichnis eingetragen werden. Die Eintragung von Gewerbebetrieben, an denen Juden fremder Staatsangehörigkeit beteiligt sind, bedarf allerdings der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers. Die Einsicht in das Verzeichnis ist jedermann gestattet. Die Wirkungen, die diese Verordnung haben muss, liegen auf der Hand. Jeder Gewerbebetrieb in Deutschland wird natürlich danach trachten, die Juden auszuschalten, um die Eintragung in das Verzeichnis zu vermeiden. Der Begriff des jüdischen Gewerbebetriebes wird in der besagten Verordnung sehr weit gefasst. Der Gewerbebetrieb einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft gilt als jüdisch, wenn ein oder mehrere persönlich haftende Gesellschafter Juden sind. Bei juristischen Personen genügt es, wenn eine der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Personen oder ein Mitglied des Aufsichtsrates Jude ist. Sofern Juden nach Kapital oder Stimmrecht entscheidend beteiligt sind (mehr als ein Viertel des Kapitals, Hälfte der Gesamtstimmenzahl), so gilt ein Betrieb gleichfalls als jüdisch.
Über die möglichen Rechtsfolgen der Eintragung als jüdischer Gewerbebetrieb äussert sich ein deutscher Rechtsanwalt in der «Kölnischen Zeitung» vom 3. September 1938 u. a. dahin, dass die nichtarische Abstammung eines Gesellschafters die Auflösungsklage rechtfertigen würde. Gemäss § 140 HGB könne bei offenen Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften der Ausschluss der Juden beantragt werden.
Die Bestrebungen zur Arisierung der deutschen Wirtschaft hatten sich indessen schon vor dem Erlass der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz bemerkbar gemacht in Form von Aufhebung von Beteiligungsverhältnissen, Ausübung eines Drucks auf jüdische Fabrik- und Geschäftsinhaber zum Verkauf ihrer Betriebe an Arier oder zur Liquidation ihrer Unternehmungen. Es handelte sich aber bisher hiebei nicht um eigentliche staatliche Massnahmen, sondern um Aktionen von Privaten, sowie von Wirtschaftsverbänden und Organisationen. In einigen Fällen wurden davon auch jüdische Schweizerbürger betroffen.
c. Kürzung von Einfuhrkontingenten
Als staatliche Massnahme dagegen, die offensichtlich auf eine Beschleunigung des Arisierungsprozesses durch Schlechterstellung der Juden abzielt, erweist sich ein Erlass des Reichswirtschaftsministers an die für die Rohstoffzuteilungen zuständigen Überwachungsstellen, der diesen vorschreibt, die Einfuhrkontingente jüdischer Firmen regelmässig um mindestens 10% zu kürzen. Von dieser Massnahme sind auch Schweizer Juden betroffen worden. In einem Falle, wo einem jüdischen Landsmann das Kontingent für Wolle von RM. 560000.– auf RM. 150000.– gekürzt wurde, unternahm die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin Schritte bei den deutschen Behörden, jedoch mit negativem Erfolg.
d. Verbot der Ausübung gewisser Gewerbe durch Juden
Das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, vom 6. Juli 1938, bestimmt zunächst, dass Juden und jüdischen Unternehmungen der Betrieb gewisser Gewerbe untersagt ist, nämlich des Bewachungsgewerbes, der gewerbsmässigen Auskunftserteilung über Vermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten, des Handels mit Grundstücken, der Geschäfte gewerbsmässiger Vermittlungsagenten für Immobiliarverträge und Darlehen, sowie des Gewerbes der Haus- und Grundstücksverwalter, der gewerbsmässigen Heiratsvermittlung mit Ausnahme der Vermittlung von Ehen zwischen Juden oder zwischen Juden und jüdischen Mischlingen ersten Grades, des Fremdenführergewerbes.
Wichtig ist aber auch der zweite Teil des Gesetzes, der wegen zahlreicher Verweisungen zunächst etwas unübersichtlich ist. Er bestimmt, dass die Legitimationskarte gemäss § 44a der Gewerbeordnung, die jeder Handelsvertreter ausserhalb seines Gemeindebezirkes braucht, zu versagen ist, wenn der Nachsuchende Jude ist. Wenn die Karte in Unkenntnis der Rassezugehörigkeit bereits an einen Juden ausgegeben ist, so kann sie von der Behörde, die sie ausgestellt hat, wieder zurückgezogen werden. Sie verliert für jüdische Handelsvertreter mit dem 30. September 1938 automatisch ihre Gültigkeit und ist dann unverzüglich der Ausstellungsbehörde zurückzugeben.
Durch dieses Gesetz dürften zahlreiche jüdische Handelsvertreter, Häuserverwalter und Grundstückmakler schweizerischer Nationalität betroffen werden und mit ihnen natürlich auch ihre Arbeitgeber.
Es ist kaum anzunehmen, dass die deutschen Behörden gegenüber jüdischen Schweizerbürgern Ausnahmen machen werden, nachdem einem jüdischen Handelsreisenden schon vor Erlass dieses Gesetzes in seiner neuen Legitimationskarte neben dem Vermerk «Schweizerbürger» ein roter Stempel «Jude» angebracht wurde.
e. Arisierung des Grundbesitzes
(Verweigerung von Steuerermässigungen an Juden.)
Ausser der Arisierung der Wirtschaft wird in Deutschland auch eine Arisierung des Grundbesitzes angestrebt. Um dies zu erreichen, werden den jüdischen Grundeigentümern die Ermässigungen der Grundsteuer und der Hauszinssteuer, wie sie Ariern zugebilligt werden, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf ihre Rassezugehörigkeit verweigert. Die deutschen Steuerbehörden berufen sich dabei auf die ministeriellen Richtlinien für Billigkeitsmassnahmen auf dem Gebiete der Grundsteuer, vom 19. April 1938, und ebensolche Richtlinien auf dem Gebiete der Hauszinssteuer, vom 25. Juni 1938. Ohne die bisherigen Ermässigungen sind die Grund- und Hauszinssteuern vielfach so hoch, dass die betreffenden Immobilien oft nicht nur keinen Gewinn mehr abwerfen, sondern den Hauseigentümern sogar noch Verluste bringen. Das ist jedoch gerade der Zweck dieser Massnahme, indem dadurch auf die Juden ein Druck ausgeübt werden soll, ihre Häuser an Arier zu veräussern. Dass die Juden bei solchen Hausverkäufen eine schlechte Verhandlungsposition haben, braucht nicht noch besonders hervorgehoben zu werden.
Die Fälle, in denen sich jüdische Schweizerbürger über eine Verweigerung der Steuererleichterungen für ihre in Deutschland liegenden Grundstücke beschweren, mehren sich in letzter Zeit zusehends, wodurch diese Frage in den Vordergrund des Interesses gerückt wird.
f. Verweigerung von Kinderermässigungen an Juden
bei der Einkommensteuer
Eine weitere Verweigerung von Steuerermässigungen an Juden statuiert das Gesetz vom 1. Februar 1938 zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Reichssteuerblatt Nr. 11 vom 4. Februar 1938), das in § 32 unter Ziffer 3 die Bestimmung enthält: «Für Kinder, die Juden sind, wird Kinderermässigung nicht gewährt». Bisher sind vier konkrete Fälle bekannt, in denen jüdischen Schweizerbürgern gestützt auf diese Bestimmung die Kinderermässigungen verweigert wurden. In einem Fall hat die Gesandtschaft in Berlin beim Deutschen Auswärtigen Amt erfolglos interveniert.
g. Abgabe auf Umzugsgut
Am 13. Mai 1938 erschien ein deutscher Runderlass über die Mitnahme von Umzugsgut durch Auswanderer. Je nach Lage des Falles verlangt die zuständige Devisenstelle eine Abgabe bis zu 100% des Anschaffungspreises des Umzugsgutes an die Deutsche Golddiskontbank, Abteilung Zusatzausfuhr. Diese Voraussetzung für die Erteilung einer sog. Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Versendung von Umzugsgut wird von den Devisenstellen als «unwiderrufliche unentgeltliche Abgabe für Exportförderungszwecke» bezeichnet. Der Runderlass selbst enthält keine Bestimmung über diese Abgabe. Für deren Erhebung gelten besondere, nicht veröffentlichte Richtlinien, die Gegenstand eines vertraulichen Erlasses an die Devisenstellen bilden. Gegenüber Juden werden diese Bestimmungen besonders streng gehandhabt, oft sogar in geradezu willkürlicher Weise. So ist der Abteilung für Auswärtiges ein Fall gemeldet worden, in dem bei einem jüdischen Rückwanderer schweizerischer Nationalität die Mitnahme seines Umzugsgutes im Werte von RM. 6500.– von der Bezahlung einer Abgabe von RM. 20 500.– abhängig gemacht wurde. Die Gesandtschaft in Berlin wurde angewiesen, deswegen bei den zuständigen deutschen Behörden vorstellig zu werden. Das Ergebnis der allfällig unternommenen Schritte ist zurzeit noch nicht bekannt. Sollten die deutschen Behörden auf ihrem Standpunkt beharren, so wäre allenfalls zu prüfen, ob nicht auch die Schweiz die Mitnahme von Umzugsgut durch deutsche Rückwanderer von der Bezahlung einer analogen Abgabe abhängig machen soll.
h. Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf ein Schreiben der Handelsabteilung des Eidgenössischen Yolkswirtschaftsdepartements an die Gesandtschaft in Berlin hingewiesen, worin die Handelsabteilung mitteilt, sie müsse nun täglich feststellen, dass von nichtarischen Personen eingereichte Transfergesuche bzw. zugunsten von nichtarischen Personen bestimmte Transferierungen deutscherseits abgelehnt bzw. verweigert werden. Dies betreffe nicht nur Fälle des ordentlichen Zinsentransfers, sondern auch andere Transfergebiete, wie Härtefälle, Unterstützungen und Pensionen. Es habe sich gezeigt, dass es nicht bei vereinzelten, vielleicht durch untergeordnete Beamte behandelten Fällen sein Bewenden habe, sondern dass diese Erschwerung bzw. Verhinderung des Transfers zugunsten von Nichtariern ganz allgemein und systematisch aufgezogen werde.
3. Die Judenfrage in Deutschland ist für die Schweiz nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung, weil von den vorerwähnten Massnahmen nicht allein die in Deutschland lebenden Schweizerjuden, deren Zahl schätzungsweise zwischen 500 und 1000 beträgt, betroffen werden, sondern auch in der Schweiz lebende jüdische Landsleute und indirekt auch arische Schweizerbürger und schweizerische Unternehmungen. So werden auch den in der Schweiz lebenden Juden schweizerischer Nationalität, die in Deutschland Grundbesitz haben, hiefür die Steuerermässigungen verweigert. Desgleichen dürfte sich in nächster Zeit die Vorenthaltung von Legitimationskarten an jüdische Handelsreisende in erster Linie für diese selbst, nicht minder aber auch für die schweizerischen Firmen in der Schweiz, die bisher von ihnen vertreten wurden, empfindlich aus wirken.
4. Die Abteilung für Auswärtiges hat im Einvernehmen mit der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements die Frage geprüft, ob gegen die Behandlung der schweizerischen Juden in Deutschland auf Grund des Rechtsschutz- und des Niederlassungsvertrages, worin sich die Schweiz und Deutschland die Gleichbehandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen im ändern Staat zusichern, etwas vorgekehrt werden könnte. Vom rechtlichen Standpunkt aus lässt sich indessen kaum etwas erreichen. Gleichbehandlung besteht in einer die Ausländereigenschaft ausschaltenden Behandlung, mit Ausschluss jeder ungünstigen Behandlung nur um der Staatsangehörigkeit willen, oder, positiv ausgedrückt, gleiche Behandlung wie die des Inländers, d. h. des in gleicher Rechtslage befindlichen Inländers. Die schweizerischen Juden werden in Deutschland nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit schlechter behandelt als die arischen Deutschen, sondern deshalb, weil in Deutschland auch die deutschen Juden schlechter behandelt werden. Deutschland hat deshalb in einem Falle, in dem schweizerischerseits unter Berufung auf den Niederlassungsvertrag interveniert wurde, erklärt, eine ungleiche Behandlung eines schweizerischen Juden liege nicht vor, indem er unter gleichen Voraussetzungen gleich behandelt werde wie ein deutscher Jude. Diese Argumentation lässt mit aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, dass dieser Frage mit rechtlichen Argumenten nicht beizukommen ist, sondern dass es sich in erster Linie um eine politische Frage handelt, zu deren Lösung vor allem politische Erwägungen heranzuziehen sind.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass durch die Fassung der Artikel 41 und 48 der Bundesverfassung der Eidgenossenschaft von 1848 den Kantonen die Möglichkeit belassen war, jüdischen Bewerbern die Niederlassung oder den Aufenthalt zu verweigern und jüdischen Einwohnern Beschränkungen in der Gewerbeausübung, in Liegenschaftserwerb und in ändern bürgerlichen Rechten aufzuerlegen. Davon machten sie auch mehrfach Gebrauch. Erst im Jahre 1866 brachte ein aussenpolitisches Ereignis den Juden die völlige Gleichberechtigung. Eduard His führt darüber in seiner «Geschichte des neuern schweizerischen Staatsrechts», Band III, Seite 517, aus: «Der Abschluss von Handels- und Niederlassungsverträgen mit judenfreundlichen Staaten war schon mehrmals erschwert oder verunmöglicht worden durch die Tatsache, dass die Juden in der Schweiz mindern Rechts blieben (so 1863 mit den Niederlanden, ebenso mit Persien). Die Diplomatie Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten äusserte mehrfach ihr Bedauern über diese Zurücksetzung. Als nun 1863 die Handels- und Niederlassungsverträge mit Frankreich vereinbart wurden, stellte sich dieser Staat von vornherein auf den Standpunkt, von einer ungleichen Behandlung französischer Christen und Juden in der Schweiz könne keine Rede sein. Durch den Abschluss dieser Staatsverträge (1864) wurden somit französische Juden in der Schweiz bessergestellt als schweizerische Juden! Das bot nun, wie bereits oben dargelegt, den Anlass zu einer Revision der Art. 41 und 48 der Bundesverfassung von 1848, die 1866 zustande kam (Streichung der Beschränkung auf die «christliche Konfession»). Dadurch erlangten die schweizerischen Juden Anspruch auf freie Niederlassung wie die übrigen Schweizerbürger und Anspruch auf Gleichbehandlung in der Gesetzgebung und im gerichtlichen Verfahren».
Der Standpunkt, es handle sich bei der Stellungnahme zur Judenfrage in Deutschland zur Hauptsache um eine politische Frage, wird auch durch den Umstand erhärtet, dass nicht alle ausländischen Juden in der Behandlung den deutschen Juden gleichgesetzt werden. So scheint Deutschland nach streng vertraulichen Informationen der Schweizerischen Gesandtschaft in RomItalien auch in der Judenfrage eine Sonderstellung eingeräumt zu haben. Italiener in Österreich, die sich durch den Pass über ihre Staatsangehörigkeit ausweisen, brauchen den deutschen Behörden über ihre Rassezugehörigkeit keinen Aufschluss zu geben. Der italienische Jude wird demnach dem arischen Inländer gleichgestellt und nicht, wie der schweizerische Jude, dem deutschen Juden. Es ist auch kaum anzunehmen, dass amerikanische oder englische Juden den deutschen Juden durchwegs gleichgestellt werden. Die Möglichkeit zu Ausnahmen und damit zu einer verschiedenen Behandlung ausländischer Juden ist zum Beispiel in der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz dadurch offengelassen, dass die Eintragung in das Verzeichnis von Gewerbebetrieben, an denen Juden fremder Staatszugehörigkeit beteiligt sind, der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers bedarf.
Es erscheint deshalb angezeigt, vorerst einmal abzuklären, wie die jüdischen Angehörigen der hauptsächlich interessierten Staaten unter den gleichen Voraussetzungen behandelt werden. Zu diesem Zwecke wird die Abteilung für Auswärtiges in der nächsten Zeit eine entsprechende Umfrage an die schweizerischen Gesandtschaften in Paris, London, Washington, Rom und im Haag richten.
Das auf diese Weise gesammelte Vergleichsmaterial wäre bei der Prüfung der Frage, ob und wie in der Judenfrage vorgegangen werden soll, mit zu berücksichtigen. Sollte sich die Schweiz zu einem grundsätzlichen Schritt entschliessen, so wäre weiter zu prüfen, ob als Druckmittel eine allfällige Kündigung des Rechtsschutz- und des Niederlassungsvertrags mit Deutschland in Erwägung gezogen werden soll. In Anbetracht der Tatsache, dass rund dreimal mehr Deutsche in der Schweiz als Schweizer in Deutschland leben, dürfte Deutschland ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Verträge haben. Anderseits ist natürlich deren Kündigung ein zweischneidiges Schwert, indem dadurch die Interessen der 53 000 in Grossdeutschland lebenden Schweizer gefährdet würden. Die Abteilung für Auswärtiges ist der Meinung, dass von einer Kündigung dieser Verträge womöglich abgesehen werden sollte.
Sollte eine grundsätzliche Demarche der Schweiz bei den deutschen Behörden in der Judenfrage als angezeigt erachtet werden, so wäre es von Nutzen, diese womöglich im Verein mit ändern interessierten Staaten zu unternehmen, da ein gemeinsames Vorgehen grössere Aussicht auf Erfolg haben dürfte. In diesem Zusammenhang ist es wertvoll, zu wissen, dass die Amerikanische Botschaft in Berlin (wie der Schweizerischen Gesandtschaft vertraulich mitgeteilt wurde), bemüht ist, die Fälle von Benachteiligungen amerikanischer Juden in Deutschland zu sammeln, um sie zu gegebener Zeit gesamthaft zum Gegenstand eines neuen Schrittes bei der deutschen Regierung zu machen.