Lingua: tedesco
24.6.1938 (venerdì)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 24.6.1938
Verbale del Consiglio federale (PVCF)
L’activité irrédentiste de Garobbio. Son arrestation pour atteinte à l’indépendance de la Confédération. Décision du Conseil fédéral de ne pas engager de poursuites judiciaires contre Garobbio. Un procès donnerait une importance disproportionnée à ce personnage.

Également: Texte du communiqué relatif à cette affaire. Annexe de 24.6.1938
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Pubblicato in

Oscar Gauye (ed.)

Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 12, doc. 334

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Bern 1994

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Collocazione

dodis.ch/46594
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 24 juin 19381

1094. Strafverfolgung i/S. Aurelio Garobbio

I. GarobbioAurelio, des Bernhard und der Giovanna geb. Barili, von Mendrisio, geb. 12. November 1905 in Mendrisio, ledig, Journalist und Publizist, (Angestellter auf der Redaktion des «Popolo d’Italia»), wohnhaft Via Clericetti 52 in Mailand, seit 15. April 1938 in Haft im Untersuchungsgefängnis Bellinzona, wurde der Bundesanwaltschaft erstmals in der Strafuntersuchung der «Adula» Affäre bekannt. Garobbio, Schriftsteller und Journalist in Mailand (Angestellter bei der Redaktion des «Popolo d’Italia»), war seinerzeit neben Colombi und der Bontempi die wichtigste Persönlichkeit in der Adula-Bewegung und wurde vom seither verstorbenen eidg. Untersuchungsrichter, Dr. A. Weissenbach in Lugano, als «allievo che supera il maestro (seil. [! Colombi)» bezeichnet.

Der Beschuldigte, von welchem der Sekretär des Untersuchungsrichters in seinem Schlussbericht vom 22. Februar 1938 schreibt: «... si deve ritenere il naturale futuro capo aduliano», ist ausgesprochener Irredentist und Extremist, indem er, allerdings unter dem Deckmantel der Anonymität, für die Annexion der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis durch Italien eintritt. Garobbio, der zur Hauptsache im Auslande tätig ist und im Dunkeln wühlt, geht nach Auffassung des eidg. Untersuchungsrichters weiter als die übrigen Adulianer, indem er durch seine Propagandatätigkeit in Italien, ähnlich wie dies vor dem Weltkrieg in den Gebieten Trento und Trieste geschah, die Auffassung eines unerlösten Tessin verbreitet.

Bezüglich der Propagandatätigkeit Garobbios, die Gegenstand der Untersuchung der Adula-Affäre bildete, musste wie seinerzeit bei Colombi und der Bontempi eine Einstellung der Strafuntersuchung erfolgen. Denn dem Beschuldigten, dessen im Auslande begangene Handlungen nicht restlos abgeklärt werden konnten, ist eine Zuwiderhandlung gegen Art. 37 des Bundesstrafrechts2 in seiner alten Fassung nicht nachzuweisen, und eine blosse Propagierung irredentistischer Ideen wird durch die alte Fassung des Art. 37 des Bundesstrafrechts nicht erfasst.

II. Die irredentistische Propagandatätigkeit des Beschuldigten Garobbio dauerte jedoch auch nach Abschluss der gegen die Adula-Anhänger geführten Strafuntersuchung weiter und erstreckte sich über die Jahre 1936, 1937 und 1938 bis zum Augenblick seiner am 15. April auf Veranlassung des Bundesanwaltes erfolgten Verhaftung. Geäussert hat sich diese Propagandatätigkeit des Beschuldigten, abgesehen von einzelnen Publikationen, hauptsächlich in einer ganzen Reihe von irredentistischen Flugblättern, als deren Absender anhand einer Schriftexpertise trotz hartnäckigen Leugnens einwandfrei Garobbio festgestellt werden konnte.

Die lange Reihe des von der Bundesanwaltschaft gesammelten Beweismaterials zeigt, mit welcher Hartnäckigkeit und Planmässigkeit der Beschuldigte seine landesverräterische Propagandatätigkeit betreibt. Nachstehend sind die einzelnen Handlungen Garobbios aufgezählt:

a) Im Jahre 1936 veröffentlichte der Beschuldigte einen Zyklus Gedichte, betitelt «Retiche Pievi», in denen die Italianität Graubündens propagiert und verherrlicht wird, und deren Tendenz unverkennbar ist.

b) Um Weihnachten 1936 wurden Glückwunschkärtchen in den Kanton Tessin verschickt mit dem Wunsche, es möge dies das letzte Weihnachtsfest sein, das die Kantone Wallis, Tessin und Graubünden getrennt von Italien verbringen mögen. Der Urheber ist Garobbio.

c) Im Januar 1937 wurde von der Postverwaltung eine in Lugano aufgegebene Postkarte beschlagnahmt, auf welcher der Absender Grüsse aus «dieser künftigen Kolonie des kaiserlichen Italiens» sendet. Die Schrift deutet wiederum auf den Beschuldigten.

d) Im Monat April 1937 gelangten zahlreiche aus Südamerika verschickte Flugblätter mit einem von Beleidigungen strotzenden «Messaggio d’oltremare ai fratelli del Ticino» in den Kanton Tessin. Die Schrift der Adressen deutet erneut auf Garobbio. Die Flugblätter wurden wahrscheinlich von einem Dr. Roberto Vighi, Angestellter am italienischen Aussenministerium, der mit einer Freundin der Bontempi verheiratet ist und in Beziehung steht zu dem als Irredentisten bekannte Deputierten Giulio Quirino Giglioli, verschickt anlässlich einer damals unternommenen Propagandareise.

e) Im September des vergangenen Jahres verschickte der Angeschuldigte zu je zweien Postkarten mit je einem aus Chur und aus Trento datierten irredentistischen Aufruf in die Schweiz.

f) Im Mai 1937 gelangte ein Teil einer von einem anonymen Autor publizierten und unter dem Patronat der Società Nazionale «DanteAlighieri» herausgegebenen irredentistischen Broschüre «La verità sulla questione del Ladino nei Grigioni» nach Bern. Als Absender wurde Garobbio eruiert.

g) Den Höhepunkt erreichte die Tätigkeit des Beschuldigten em Ende des letzten und zu Anfang dieses Jahres bei Anlass der Volksabstimmung über die rätoromanische Sprache:

Garobbio war es, der den Aufruf, «Patriots Grischuns» im Oktober 1937 in den Kanton Graubünden verschickte. Er war es auch, der via Innsbruck die zu irredentitischen Zwecken abgeänderten Lieder «Lingua materna» und «Adiou a l’Engiadina» in die Schweiz gelangen liess. Eine weitere Sendung, die sich mit dem Gelehrtenstreit über Ursprung und Zugehörigkeit der rätoromanischen Sprache befasst und den irredentistischen Standpunkt vertritt, stammt ebenfalls vom Beschuldigten Garobbio.

Bei weiteren Flugblättern und anonymen Publikationen, die im einzelnen aufzuzählen sich erübrigt, besteht eine Vermutung für die Urheberschaft Garobbios.

III. Unter diesen Voraussetzungen hält die Bundesanwaltschaft mit Bezug auf die nach dem 1. Februar 1937 (Datum des Inkrafttretens des Unabhängigkeitsgesetzes) begangenen Taten des Beschuldigten den Tatbestand des Art. 2 des BG betr. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom 8. Oktober 19363 für erfüllt. Art. 2 des genannten Gesetzes durch welches Art. 37bls in das Bundesstrafrecht aufgenommen wurde, lautet folgendermassen:

«Wer eine Handlung vornimmt, die darauf gerichtet ist, die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft zu verletzen oder zu gefährden,

eine die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft gefährdende Einmischung einer fremden Macht in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft herbeizuführen, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis von einem bis

zu fünf Jahre bestraft.»

Gemäss Art. 3 ist auch die im Auslande begangene Tat strafbar. Die Bundesanwaltschaft verweist zur Begründung ihrer Auffassung auf die Botschaft des Bundesrates zum Unabhängigkeitsgesetz vom 23. Juni 1936 (Bbl.4 1936, II, S. 175/6). Zuständig zur Beurteilung ist das Bundesgericht (Art. 10 Bundesstrafrechtsprozess)5; an sich wäre auch eine Delegation an den Kanton Tessin möglich.

Da es sich im vorliegenden Fall jedoch um ein politisches Delikt handelt, hat gemäss Art. 105 Bundesstrafprozess6 der Bundesrat die Zustimmung zur gerichtlichen Verfolgung zu geben. Dabei kann er auch auf Zweckmässigkeitserwägungen abstellen.

Das Politische Departement, das sich in seinem Mitbericht vom 4. Juni 19387 über diese Frage äussert, ist der Auffassung, dass es aus politischen Gründen nicht zweckmässig sei, einem Schriftsteller dritter Klasse und einem schlechten Dichter durch eine Strafverfolgung eine Wichtigkeit beizumessen, die er gar nicht verdiene. Es handle sich zwar um eine verachtenswerte landesverräterische Propagandatätigkeit. Jedoch habe infolge der mit kindlichen Methoden erfolgten rein intellektuellen Tätigkeit keine eigentliche Gefährdung der innern oder äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft stattgefunden. Es wird zwar zugegeben, dass die irredentistische Propaganda eine berechtigte Misstimmung und eine den nachbarlichen Beziehungen mit Italien schädliche Reaktion hervorgerufen habe. Diese Spannung würde aber erhöht werden, wenn die eidgenössischen Behörden dem Beschuldigten die Ehre einer Strafverfolgung gewähren würden. Die Handlungsweise Garobbios sei im höchsten Masse tadelnswert, sei aber als Bubenstreich zu betrachten, der nichts als Verachtung verdiene.

Aus diesen Erwägungen spricht sich das Politische Departement gegen die Druchführung einer Strafverfolgung aus, erklärt sich jedoch zu einer entsprechenden Demarche bei den italienischen Behörden bereit.

Auch Staatsanwalt Gallacchi, der Stellvertreter des Bundesanwaltes für die italienische Schweiz verneint in einem vertraulichen Schreiben an den Bundesanwalt die Zweckmässigkeit des Gerichtsverfahrens.

Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement ist mit der Bundesanwaltschaft einverstanden, dass eine Abklärung des Sachverhaltes durch ein gerichtpolizeiliches Verfahren nötig war. Es ist aber wie das Politische Departement der Auffassung, dass eine Gerichtsverhandlung, die im In- und Ausland grösstes Aufsehen erregen müsste, mit der Person des Beschuldigten und der festgestellten Tätigkeit in einem Missverhältnis stehen würde. Die irredentistische Tätigkeit des Garobbio hat, wie die Abstimmung über die Zulassung des Romanischen als vierte Landessprache zeigt, im Inland kein Echo gefunden. Im Gegenteil sind seine Flugblätter überall mit Empörung und Verachtung aufgenommen worden. Man kann sich sogar fragen, ob durch die Veröffentlichungen des Garobbio unsere Unabhängigkeit wirklich gefährdet worden ist. Das Versenden der Flugblätter hat ein bedenkliches Licht auf die Geistesverfassung des Beschuldigten und auf seine Tätigkeit im Ausland geworfen. Es ist auch damit zu rechnen, dass die öffentliche Meinung in der Schweiz mit der Einstellung des Verfahrens nicht ganz einverstanden sein wird.

Das Justiz- & Polizeidepartement hält aber abschliessend dafür, dass der Gefahr, die der Schweiz aus dieser in Verbindung mit italienischen Staatsangehörigen ausgeübten Tätigkeit erwächst, besser durch nachdrückliche diplomatische Vorstellungen begegnet würde. In Verbindung damit könnte auf die im Hinblick auf den eidg. Strafgesetzentwurf geführten neuesten gehässigen Angriffe der «Cronaca Prealpina» gegen die Schweiz, welche die Bundesanwaltschaft dem Politischen Departement bereits vorgelegt hat, hingewiesen werden.

Aus diesen Gründen stellt das Justiz- & Polizeidepartement gestützt auf Art. 105 des BG über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 19348 den Antrag und der Rat beschliesst:

1. Von einer gerichtlichen Verfolgung gegen Aurelio Garobbio wegen Widerhandlung gegen das BG betr. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom 8. Oktober 1936 wird Umgang genommen.

2. Der Bundesanwalt wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

1
E 1004.1 1/374. Etait absent: H. Obrecht.
2
Cf. RO, 1851-1853, vol. 3, p. 346.
3
Cf. RO, 1937, vol. 53, p. 37.
4
Schweizerisches Bundesblatt (Feuille fédérale suisse).
5
Cf. RO, 1934, vol. 50, p. 712.
6
Ibid., p. 731.
7
Cf. No 315.
8
Cf. RO, 1934, vol. 50, p. 731.