Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.1 ALLEMAGNE
II.1.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 211
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#123* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 65 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 39 (1938–1938) |
dodis.ch/46471
Ich war vergangene Woche in Berlin und hatte Gelegenheit, in vertraulichen Gesprächen mir ein gewisses Bild von der Situation zu machen. Ich nehme zwar an, dass Sie Herr Minister Dinichert bereits orientiert hat und dies selbstverständlich besser tun kann wie ich. Da aber meine Quellen von denjenigen eines offiziellen Vertreters naturgemäss sehr verschieden sind und da man sich in der Regel gegenüber einem Privaten mit weniger Zurückhaltung ausspricht wie gegenüber einem diplomatischen Vertreter, oder den ihm nahestehenden Kreisen, ist vielleicht mein nachfolgender kurzer Bericht für Sie doch von einigem Wert.
Ich vermeide alle Einzelheiten und gebe Ihnen ledigliche die Konklusionen:
1. Die Aktion gegen Österreich wird ganz allgemein als eine Tat des Friedens und ein Beweis für den Friedenswillen Deutschlands dargestellt. Zu ändern Zeiten und bei nicht so friedfertig eingestellten leitenden Personen hätte eine derartige Umwälzung Krieg bedeutet.
Die Angelegenheit sei eine rein deutsch/österreichische. D. anerkenne unter gar keinen Umständen irgendwelche anderer Staaten. In diesem Zusammenhang wird auch Italien nicht ausgenommen, aber es wird fortgesetzt betont, Italien sei vorher orientiert worden, Mussolini hätte bei seinem Besuch in Berlin seine Zustimmung gegeben. Dagegen erhielt er damals das von ihm erstrebte offensive und defensive Militärbündnis noch nicht. Das werde beim Besuch Hitlers in Rom Zustandekommen. (Ich hörte vereinzelte Stimmen, welche wissen wollten, dass die Reise Hitlers noch nicht so ganz sicher sei.)
Von einer sehr eingeweihten Seite erhielt ich die Darstellung, Mussolini hätte erklärt, die Preisgabe Österreichs wäre für ihn einer der schwersten und schwierigsten Entschlüsse gewesen, die er während seiner ganzen Regierungszeit zu fassen gehabt habe.
In Deutschland zweifelt niemand daran, dass die Ereignisse der letzten Woche die Unabhängigkeit von Österreich beseitigt haben. Über den weitern Fortgang wird wiederum betont, dass alles auf streng «legalem Wege» geschehen werde. Hitler selbst sei ja auch auf gänzlich «legalem Wege» zur Herrschaft gelangt. Der weitere Zusammenschluss zwischen Österreich und Deutschland werde in gleicher Weise durchgeführt. Die NSDAP-Propaganda hat in Österreich freie Hand erhalten. Sie wird, soweit nötig, von Deutschland finanziert und gefördert und zu irgendeinem passenden Augenblick wird man dann eine Abstimmung veranlassen. Ob diese Abstimmung früher oder später sein wird, darüber scheint man sich in Deutschland nicht sehr zu kümmern. Man glaubt, dass in 2-3 Jahren der Anschluss in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Beziehung vollzogen sein wird. Italien sei über die Gesamtheit dieses Planes orientiert und habe zugestimmt.
2. Über die Ursachen der teilweisen Säuberung der obersten Führer der Armee habe ich folgendes gehört:
Schon zu Zeiten der Reichswehr, also vor 10 und mehr Jahren, hätten die Spitzen der Armee bei allen aussenpolitischen Entscheidungen ein Mitspracherecht verlangt und erhalten. Dieses Hereinregieren der Armee in die aussenpolitischen Entscheidungen des III. Reiches sei einzelnen politischen Spitzen ganz besonders lästig gewesen. Man habe daher schon längere Zeit auf einen günstigen Moment gewartet, um dieses «Hereinreden» zu beseitigen und die Armee auch nach dieser Richtung zu einem willigen Instrument der politischen Leitung, d.h. der Partei, zu gestalten.
Dazu kam folgendes:
Die Armee hat ihre jungen Leute in einem streng vaterländischen Sinn erziehen wollen, lehnte aber jede Instruktion im Sinne der NSDAP ab. In einer der letzten entscheidenden Verhandlungen vor der Entlassung von Fritsch habe dieser erklärt, er lehne es mit aller Entschiedenheit ab, in der Armee partei-politische Anschauungen und Meinungen zu vertreten. Jede Parteipolitik müsse von der Armee ausgeschlossen sein. Das gab dann den Anlass zu einem wilden Sturm, weil ja gerade eine der Grundlagen der NSDAP sei, dass sie nicht eine politische Partei, sondern dass sie das Volk selbst ist. Die Argumentation von Fritsch richtete sich daher, so wird behauptet, gegen die Grundlagen, auf denen das Dritte Reich aufgebaut sei, und bei einer solchen Diskrepanz der Meinungen sei es ganz ausgeschlossen, dass Fritsch länger an der Spitze der Armee bleibe. Von Brauchitsch, der Nachfolger von Fritsch, sei nach Tradition und Denkart gleich wie F. Insofern bestehe kein Unterschied. Dagegen lege er weniger Wert auf das bisherige aussenpolitische Mitspracherecht, sondern sei eher bereit, sich ausschliesslich den militärischen Aufgaben zu widmen. Dagegen sei General von Keitel überzeugter P.G. Es sei übrigens anzunehmen, dass im Laufe der nächsten Jahre auf dem Wege einer Infiltration auch die höhern Offiziere allmählich auf den Boden der NSDAP gezogen würden.
3. Reichsbankpräsident Schacht ist, wie schon anlässlich seines Rücktritts als Wirtschaftsminister, dringend gebeten worden, das Amt für eine neue Amtsperiode von 3 oder 4 Jahren beizubehalten. Er hat sich hiezu bereit erklärt, aber eine Reihe von Bedingungen gestellt. Die Hauptbedingung ist folgende:
Die Finanzierung der grossen Arbeiten des Reichs (Verwaltungsgebäude, Strassen sowie auch die Aufrüstung) wurden bislang bekanntlich durch ein sehr ingeniöses Kredit-System gedeckt, das in Wechseln seinen Ausdruck fand, die von der Reichsbank giriert wurden und damit gewissermassen den Charakter von Papiergeld erhielten, jedenfalls diese Funktion erfüllten. Dieser Wechselbestand scheint Dimensionen angenommen zu haben, die ernstester Beunruhigung rufen. Schacht stellte daher in erster Linie die Bedingung, dass die Reichsbank nur bis zu einem solchen Betrage Wechsel hereinnehmen oder girieren dürfe, der durch den Reichsetat gedeckt sei. Mit ändern Worten, alle diese gewaltigen Auslagen des Reichs müssten aus wirklichen Einnahmen gedeckt und bezahlt werden.
Ich möchte nicht unterlassen beizufügen, dass ich diese Mitteilungen nicht etwa von Herrn Schacht selber habe. Ich erhielt sie von der Gegenseite. Schacht persönlich war vergangene Woche im Ausland.
4. Wirtschaftlich ist die Lage nicht günstig. Die Löhne der Arbeiter sind ungemein niedrig im Vergleich zu den Kosten der Lebenshaltung. Die Löhne werden nach wie vor gewaltsam, d. h. durch die staatlichen Organe, auf ihrem Tiefstand festgehalten. Nach Abzug aller Nebenleistungen für Versicherungen und Beiträgen aller Art bleiben einem tüchtigen und gelernten ältern Industriearbeiter ungefähr 120-130 Mark im Monat. Daraus haben Familien, die meistens 5-6 Köpfe zählen, zu leben. Das ist nur möglich bei einer Beschränkung der Ansprüche auf ein Minimum.
Anderseits steigt das Preisniveau, wenn auch langsam, so doch stetig und unaufhaltsam. Z. Zt. werden grosse Pläne erwogen über Herbeiführung einer neuen Relation zwischen Preis und Lohn.
Auch die übrigen Schichten der Erwerbstätigen haben einen ununterbrochenen schweren Kampf zu kämpfen, um Einkommen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten. Anderseits wird für die Ablenkung des Volkes, für dessen Unterhaltung ungemein viel getan. Aber auch alle sozialen Einrichtungen sind geradezu vorbildlich entwickelt. Kein Arbeiter kann weder in Krankheit noch Invalidität noch Alter in wirkliche Not geraten. Es wird für ihn immer gesorgt sein.
Die private Bautätigkeit ist gering. Gebaut wird eigentlich nur noch vom Staat und von den grossen Industrien. Dafür aber in einem gewaltigen Ausmasse. Die Industrien aller Art nehmen erhebliche Vergrösserungen vor. Neuanlagen zur Ausnutzung von Rohstoff sparenden oder von Ersatzstoffen werden in ganz grossem Masse gebaut. Der Staat braucht fortgesetzt neue Verwaltungsgebäude, weil sich der Verwaltungsapparat stetig vergrössert. Die Folgen zeigen sich schon jetzt darin, dass eine ganz wesentliche Verlangsamung in der Erledigung der Verwaltungsgeschäfte eingetreten ist. Das wirkt nach vielen Richtungen lähmend und hemmend auf die privaten Betriebe. Übrigens wird den grossen Industrien gar nicht die Wahl gelassen, ob sie diese oder jene Fabrikation anhand nehmen, einstellen oder fortsetzen wollen. Sie erhalten hierüber ganz bestimmt lautende Vorschriften vom Leiter des Vierjahresplanes, Göring.
Für die obersten Spitzen in der Privatindustrie und im privaten Handel sind die Saläre in den letzten 2 Jahren wiederum erheblich gestiegen, nachdem Hitler sie gleich nach seinem Amtsantritt ganz enorm herabgesetzt hatte. Heute sind wieder Direktorengehälter von Mk. 50-60000.– durchaus üblich. Ich hörte einzelne Fälle nennen, die bis auf Mr. 200000.– gingen. Von Amtes wegen wird nichts mehr dagegen eingewendet. Die Steuern auf derartigen Gehältern sind allerdings sehr hoch. Sie erreichen z. B. für einen Junggesellen in oberster Steuerklasse 60-70%, alles eingerechnet.
Die ganzen Verhältnisse haben naturgemäss in weiten Kreisen eine ziemlich erhebliche Unzufriedenheit erzeugt. Aber nicht etwa gegen den obersten Führer, der nach wie vor die denkbar grösste Verehrung, Achtung, ja oft geradezu schwärmerische Liebe geniesst. Man gibt die ganze Schuld an den zum Teil unbefriedigenden Verhältnissen ändern Personen an der Spitze der Verwaltung.
Inbezug auf die Lebensmittelknappheit sind Sie jedenfalls orientiert. Es fehlen vor allem die Fette.
Im grossen und ganzen spielt sich z. Zt. in Deutschland ein hochinteressanter, aber nur wenigen bewusster Kampf wirtschaftlicher Gewalten ab. Es ist der Kampf zwischen der Deflation und der Inflation. Auf der einen Seite wird durch höchst fragwürdige Kreditmassnahmen das ganze Wirtschaftsleben stark inflatorisch beeinflusst, was sich in den trotz schärfster Massnahmen unerbittlich steigenden Preisen ausdrückt. Anderseits aber muss man anerkennen, dass mit rücksichtsloser Schärfe gespart wird. Insbesondere die Städte und Länder mussten ihre Ausgabenrechnungen in einer Art und Weise zusammenschneiden, die man nie für möglich gehalten hätte. Auch die sämtlichen Saläre und Löhne des Verwaltungspersonals, Bahnen, bis zu den elektrischen Strassen-Bahnen herab, Post, Telegraph usw. sind ungewöhnlich niedrig. Die Städte müssen mit ihren Bau- und ändern Ausgaben sich absolut an die zur Verfügung stehenden Einnahmen halten. Jedes Schuldenmachen ist verunmöglicht. Dieser wirklich altpreussische Sparwille zeigt sich bis in die kleinsten Einzelheiten und bis in die letzten Verzweigungen der kommunalen und der Länderverwaltungen, soweit solche noch bestehen. Durch derartige rigorose Sparmassnahmen sucht man die gefahrdrohenden Wirkungen der Inflation aufzuheben. Es wird aussergewöhnlich interessant sein im Verlaufe der nächsten 2, 3 Jahre zu sehen, welche der beiden Tendenzen die Oberhand behält. Wohl sind alle massgebenden Personen in Deutschland darüber einig, dass eine Inflation vermieden werden muss. Ob es angesichts der gewaltig gesteigerten Ausgaben des Reichs möglich sein wird, lässt sich heute m. E. noch nicht entscheiden.
- 1
- Ludwig Friedrich Meyer, conservateur-catholique lucernois, qui a également envoyé une copie de cette lettre au Conseiller fédéral H. Obrecht.↩
- 2
- Lettre: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 39. En tête du document, annotation manuscrite de Motta: Auswärtiges. Sehr interessanter Brief! Mir ein Dankschreiben unterbreiten, 21.2.38. M. Dans cette brève réponse, du 24.2.1938, Motta déclare avoir pris connaissance des considérations de Meyer mit grösstem Interesse.↩
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