Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.27 UNION SOVIÉTIQUE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 91
volume linkBern 1994
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#590* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 283 | |
Dossier title | Moskau, Berichterstattung, insbesondere aus Warschau, Paris, London, Berlin und Bukarest, Band 7 (1936–1945) |
dodis.ch/46351
Der Gärungsprozess, der sich innerhalb des russischen Kolosses abspielt und in letzter Zeit ein so ausserordentliches Tempo angeschlagen hat, lenkt naturgemäss mehr denn je die Aufmerksamkeit der Kreise der italienischen Hauptstadt auf sich: einmal wegen der Rückwirkungen dieser Ereignisse auf die Lage in Spanien - deren Bedeutung hier als von primärer Wichtigkeit gilt -, sodann aber auch wegen der möglichen Konsequenzen der Moskauer Wirrnisse auf das Vertragsverhältnis zwischen Sowjetrussland und Frankreich.
Nachdem wir seit bald zwanzig Jahren von jeder direkten Verbindung mit Russland abgeschnitten sind, kann es uns interessieren, die Eindrücke derjenigen zu vernehmen, welche die letzte Entwicklung als Zeugen oder zum mindesten als unmittelbar interessierte Beobachter mitgemacht haben. Eine Reihe der hiesigen diplomatischen Vertreter wie der türkische Botschafter, der Gesandte von Iran und andere waren vor ihrer Versetzung nach Rom in Moskau tätig; sie erhalten gewisse Beziehungen aufrecht, und ihre Äusserungen sind somit nicht ohne ein gewisses Interesse. Ausserordentlich gut informiert ist ferner der tschechoslowakische Gesandte, Herr Chvalkovsky, der früher in Berlin war und die periodischen Annäherungsversuche zwischen Deutschland und Sowjetrussland miterlebte. Auf Grund seiner Informationen aus Moskau via Prag konnte ich Ihnen seinerzeit bestätigen, dass der Kreml, im Gefolge der Besprechungen von Berchtesgaden und unter französischem Druck, die Zusicherung gegeben hatte, keine Flottenteile ins Mittelmeer zu verlegen, was zu einer Eindämmung des spanischen Konfliktes beitrug. Vor einigen Wochen, als der Prozess gegen die sowjetrussische Generalität noch nicht im Gange war, sagte mir Herr Chvalkovsky, dass die Beziehungen zwischen deutschen militärischen Kreisen und den russischen Marschällen nicht ganz abgebrochen seien; dies liege nicht nur an der Tendenz einiger leitender sowjetrussischer Militärs, sondern auch an der Einstellung bestimmter militärischer Kreise in Deutschland, welche, über die gegenwärtige Periode hinwegblickend, das Testament Bismarks einer spätem Verständigung mit Russland im Auge behielten. Im Lichte der plötzlich aufgetauchten Anklagen gegen den Marschall Tukatschevski ist diese Erklärung nicht uninteressant. Der Gesandte von Iran, der vor wenigen Monaten aus Moskau eintraf (wo er andauernde Beziehungen u.a. mit Radek gehabt zu haben angibt), wusste von einer gewissen Eifersucht des ehemaligen Arbeiters Marschall Woroschiloff gegen seinen begabteren Untergebenen Tukatschevski zu berichten. Der türkische Botschafter, HuseyinRagip Baydur, der mehrere Jahre in Moskau verbrachte, wiederholte stets und bleibt auch jetzt noch der Meinung, dass die Entwicklung zu einem Kollektivismus auf nicht nur autoritärer, sondern nationalistischer Grundlage relativ ungeheuer rasch fortschreite. Nach seiner Ansicht ist auch der Komintern verurteilt. Entweder wird diese Organisation sukzessive in eine Art nationales Propagandaministerium auf breitester Grundlage umgestaltet, oder aber dürfte es sich ereignen, dass der Komintern zu einer Art Internationale der «nationalen Kollektivismen», zu denen der türkische Botschafter auch den deutschen Nationalsozialismus und den Fascismus zählt, sich entwickelt. In wieweit diese Ansicht auf blossen Mutmassungen beruht, entzieht sich natürlich meinem Urteil.
Für uns von direktem Interesse ist die Beurteilung der Lage durch die italienischen Beobachter. Die Botschaft in Moskau selbst ist zwar anscheinend sozusagen von allen Nachrichten abgeschlossen, die nicht in die Presse gelangen. Ich weiss aber, dass Graf Ciano die persönliche Ansicht geäussert hat, dass, selbst wenn in Russland eine nationale Entwicklung einsetze, sich Moskau der Waffe des Komintern jedenfalls auf sehr lange Sicht nicht entledigen könne; im Gegenteil müsse diese Organisation dann umso mehr die erforderliche «Diversion nach aussen» bewirken. Diese Ansicht hat manches für sich. Sie wird indessen nicht von allen politischen Mitarbeitern des italienischen Aussenministers geteilt. In diplomatischen Kreisen hörte ich den Ausdruck einer gewissen Verwunderung darüber, dass die italienische Presse den Sowjetdiktator Stalin so heftig angreife, nachdem möglicherweise Stalin selbst den «nationalen Umschwung» durchführe und später zu einem modus vivendi mit Deutschland und Italien gelangen werde; die Heftigkeit der italienischen Presse gegenüber dem Sowjetdiktator ist in der Tat unbestreitbar. Sie spiegelt sich unter anderm in zahlreichen entrefilets des «Popolo d’Italia» wider, als deren Verfasser der Regierungschef selbst gilt.
Zum Schlüsse möchte ich noch eine Bemerkung wiedergeben, die, von einem italienischen Diplomaten stammend, zunächst einigermassen überrascht, aber doch Beachtung verdient: Die Bemerkung, dass einer der Vorteile der Achse Rom-Berlin in der Tatsache liege, dass dadurch Deutschland von einer «verfrühten Verständigung» mit Russland zurückgehalten wurde. Dass übrigens, trotz aller Pressekampagnen und trotz aller zurzeit gegensätzlichen Einstellungen, sämtliche Brücken zwischen Rom und Moskau nicht abgebrochen sind, beweist die mir kürzlich bekanntgewordene Tatsache, dass eine grosse Firma in Italien zu Lieferungen im Betrage von Millionen Lire von Apparaten für sowjetrussische Unterseeboote ermächtigt wurde, und zwar von der italienischen Admiralität. Dieses letztere Detail ist streng vertraulich, da die betreffende Firma schweizerischen Kapitalinteressen untersteht.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Moskau, Archiv-Nr. 7. Zu den Ereignissen in Russland.↩
Tags