Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 11, Dok. 219
volume linkBern 1989
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#J1.1#1000/1392#15* | |
Alte Signatur | CH-BAR J 1.1(-)1000/1392 2 | |
Dossiertitel | Faszikel 7: Deutschland (1915–1950) | |
Aktenzeichen Archiv | 03.07.F |
dodis.ch/46140
Le correspondant de la «Neue Zürcher Zeitung» à Berlin, R. Caratsch, au Chef du Département politique, G. Motta1
Als Schweizer, der nun schon mehr als drei Jahre Gelegenheit hatte, die Verhältnisse in Berlin in diesen kritischen Zeiten aus der Nähe zu beobachten, möchte ich mir die Freiheit nehmen, in aller Offenheit meine Eindrücke von der hiesigen diplomatischen Vertretung der Schweiz wiederzugeben. Der Entschluss wird mir dadurch erleichtert, dass ich Ihnen, verehrter Herr Bundesrat, von meiner früheren journalistischen Tätigkeit in Bern her bekannt bin und dass Sie, wie ich hoffe, nicht der Meinung sind, dass ich leichtfertige Beschuldigungen zu erheben pflege.
Der Berliner Gesandtenposten stellt heutzutage so grosse Anforderungen an die Festigkeit des Charakters, die Kaltblütigkeit, die Intelligenz und den Takt seines Inhabers, dass nur der beste Mann, den die Schweiz überhaupt für diese Aufgabe zur Verfügung hat, dafür gut genug ist. Sicher wird niemand behaupten wollen, dass Herr Dinichert dieser beste Mann sei. Sein enger bürokratischer Horizont, seine innere Unsicherheit, sein Mangel an moralischer Autorität sind eine wenig glückliche Ausstattung für die verantwortungsvolle Mission, die der Bundesrat ihm übertragen hat. Das grosse Ansehen, dass die Schweiz unter Minister Rüfenacht2 dank der Persönlichkeit dieses ihres Vertreters genoss, ist in den letzten dreieinhalb Jahren rapid zusammengeschmolzen. Während von Herrn Rüfenacht noch jetzt mit grossem Respekt gesprochen wird, gilt Herr Dinichert hier in politischen und diplomatischen Kreisen eher als eine komische Figur. Bei seinem umfangreichen Verkehr innerhalb des diplomatischen Korps spielt er mit Vorliebe die Rolle des Lustigmachers, der um jeden Preis die Leute amüsieren will, weil er sich dadurch besonders beliebt zu machen glaubt. Die Folge ist die, dass Herr Dinichert in Fällen, wo er ernst genommen werden sollte, diese Wirkung nicht erzielt. Das übertriebene Draufgängertum, das er bei seinen Demarchen an den Tag legt, führt oft geradezu zu einer Verärgerung der Verhandlungspartner.
Nach meiner festen Überzeugung hätte z. B. ein mit mehr Talent ausgestatteter schweizerischer Gesandter schon letztes Frühjahr die Rücklieferung des BertholdJacobs3 erreichen und damit dem Bundesrat sehr viele Unannehmlichkeiten ersparen können. Am Abend des gleichen Tages, an dem Herr Dinichert seinen Protestschritt bei Staatssekretär v. Bülow unternommen hatte, nahm ich an einem Empfang im Hotel Adlon teil, wo sämtliche Spitzen des Auswärtigen Amtes anwesend waren und der Fall Jacob das Gesprächsthema bildete. Dabei stellte es sich heraus, dass das ungeschickte, lärmende Auftreten des schweizerischen Gesandten eine Missstimmung erzeugt hatte, die einer raschen Beilegung des Konflikts, wie sie das Auswärtige Amt eigentlich selbst wünschte, keinesweg förderlich war.
Am Abend des 4. Februar, als Gustloff ermordet wurde4, war grosser Empfang im Hotel Kaiserhof, wo Herr Dinichert sich nach dem Eintreffen der Nachricht von Reichsminister Dr. Goebbels zu einem scharfen Wortwechsel hinreissen liess, der nicht gerade dazu diente, das Prestige des Gesandten zu heben.
Ein auf der Höhe seiner Aufgabe stehender Gesandter hätte sich am 19. Februar durch einen merkwürdigen Telefonanruf der alle Anzeichen einer Mystifikation trug, nicht hereinlegen lassen, und hätte nicht sofort das Bundeshaus alarmiert, ohne sich vorher durch eine Rückfrage bei der Reichskanzlei davon zu überzeugen, ob das Telefongespräch authentisch war5. Schon der Umstand, dass die anrufende Person ihren Namen nicht nannte und sich einfach als «Adjutant der Reichskanzlei» bezeichnete, hätte den Verdacht des Herrn Dinichert erregen müssen. Statt dessen versäumte er es auch den ganzen Nachmittag hindurch, sich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung zu setzen und unternahm erst am Abend – wahrscheinlich auch dann nur auf Aufforderung des Politischen Departements – die notwendigen Schritte zur Aufklärung. Diesmal ist die Sache noch ohne grossen Schaden abgelaufen, aber wir wissen nicht, was die Zukunft noch bringt, und ich kann mir Fälle vorstellen, wo ein Gesandter durch seine Kopflosigkeit und Unfähigkeit sein Land in sehr gefährliche Verwicklungen, wenn nicht sogar in einen Krieg hineinreiten kann. Das nächste Mal, dass Herr Dinichert wieder versagt, werde ich nicht umhin können, in der Zeitung zuhanden der schweizerischen Öffentlichkeit die notwendigen Feststellungen zu machen.
Von allen den kleinen und grossen Taktfehlern, die Herr Dinichert in seinem Verkehr mit der Schweizerkolonie begeht, will ich schweigen, und auch die Tatsache, dass die schweizerischen Pressevertreter in Berlin bei ihm weder Rat noch Unterstützung finden, als nebensächlich betrachten. Beachtlich scheint es mir aber, dass Schweizerbürger, die als Industrielle und Kaufleute in Deutschland tätig sind, sich mit tiefster Enttäuschung, ja mit Erbitterung über Herrn Dinichert äussern und über seine Verständnislosigkeit klagen. Zusammen mit seinen diplomatischen Misserfolgen ergibt das alles ein höchst unerfreuliches Bild. Blosse Routine und eine gewisse Art von Pfiffigkeit, wie sie Herr Dinichert besitzt, genügen vielleicht für eine Gesandtenlaufbahn in einer unbedeutenden Hauptstadt, aber nicht für den schwierigsten, delikatesten Posten, den die Schweiz im Ausland überhaupt zu vergeben hat. Es wäre eine im dringenden schweizerischen Landesinteresse gebotene Tat, wenn so rasch als möglich dafür gesorgt würde, dass die Schweiz eine würdigere Vertretung in Berlin erhält.
Ich benütze die Gelegenheit, die mir soeben die Abreise eines Landsmanns in die Schweiz gewährt, um dieses Schreiben mitzugeben und durch die schweizerische Post befördern zu lassen, damit es nicht der Briefzensur unterliegt. Bei meinem nächsten Besuch in Zürich werde ich den Chefredakteur der N. Z. Z.6 von meinen nach Bern geleiteten Mitteilungen in Kenntnis setzen7.
- 1
- Lettre: J.I.1.1/2.↩
- 3
- Cf. nos 111 et 121.↩
- 4
- Cf. no 204.↩
- 5
- Le 19 février au matin, le ministre Dinichert avait été prévenu par un coup de téléphone provenant de la « Chancellerie du Führer», que les autorités du Reich s’apprêtaient à interdire les sociétés suisses en A llemagne, comme réponse à la décision prise le 18 par le Conseil fédéral et concernant la direction du Parti national-socialiste allemand en Suisse (cf. no 210, n. 1). Dinichert en avait averti aussitôt télégraphiquement le Département politique, et la nouvelle avait été reprise par la presse suisse. Dans la soirée du 19, le ministre de Suisse avait pu communiquer téléphoniquement avec le ministre des Affaires étrangères, von Neurath, qui avait démenti la nouvelle. Il [vonNeurath]se, montra perplexe et embarrassé quant à la communication téléphonique et impersonnelle du matin, n’excluant pas qu’il ait pu y avoir une mystification (lettre confidentielle de Dinichert à G. Motta, du 20 février, E 2001 (D) 3/40).↩
- 7
- Le 24 mars suivant, Motta répond en ces termes à R. Caratsch: Der Gegenstand, den Sie besprechen, eignet sich offenbar nicht für eine Correspondenz zwischen Ihnen und mir. Doch danke ich Ihnen für Ihre Mitteilungen. Wenn Sie einmal nach Bern kommen, werde ich gerne mich mit Ihnen über die gestellte Frage unterhalten. Schon jetzt muss ich Ihnen aber aus Pflicht sagen, dass unsere Meinung und unser Urteil über die Person die Sie nennen stark auseinandergehen. Es wird mich freuen wenn ich mich einmal gründlich über diese Dinge – die sicher sehr wichtig sind – in mündlicher Weise aussprechen kann (J.1.1.1/28).↩