Classement thématique série 1848–1945:
I. SOCIÉTÉ DES NATIONS
4. Conflit italo-éthiopien, sanctions; venue du Négus en Suisse; manifestation de journalistes italiens à la SdN; reconnaissance de l’Ethiopie italienne
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 192
volume linkBern 1989
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.41-04#1000/1678#21* | |
Dossier title | Différend Italo-éthiopien, tome IV (1935–1935) | |
File reference archive | 1D16 |
dodis.ch/46113
Im Einvernehmen und im Aufträge von Herrn Bundesrat Motta erlaube ich mir, Ihnen die folgenden Mitteilungen zu machen, wobei ich annehme, dass Sie über die Stellungnahme der Schweiz zum Sanktionenproblem bisher vorwiegend nur durch die Presse informiert worden sind. Ich setze dabei aber voraus, dass Ihnen das Schreiben, welches der Chef des Politischen Departementes am 28. Oktober a. c.3 nach Genf gerichtet hat und das in der schweizerischen Presse vollinhaltlich publiziert worden ist, bekannt sei. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass die Schweiz von den bisher beschlossenen 4 Sanktionsmassnahmen deren 3 ohne weiteres angenommen und auch am 18. November in Kraft gesetzt hat. Es ist deshalb vollkommen unzutreffend, wenn man uns sowohl in Rom als auch in London je nach Bedürfnis etwa als Nicht-Sanktions-Staat bezeichnet hat4
. Eine von der Mehrzahl der übrigen Völkerbundsstaaten abweichende Haltung hat die Schweiz bekanntlich nur in der sogenannten Sanktion Nr. 3, in der Frage der vollen Einfuhrsperre gegen italienische Waren, eingenommen. Dass und warum sie dies tat, ergibt sich im einzelnen aus den in Kopie beiliegenden Briefen, die ich in dieser Angelegenheit, im Einvernehmen mit dem politischen Departement, Herrn Minister Wagnière geschrieben habe5 und die ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen möchte.
Sie wissen, dass, wie leicht vorauszusehen war, diese Stellungnahme des Bundesrates in Genf kritisiert worden ist und zwar insbesondere von den Vertretern der englischen Dominions. Man hat sich aber damit abgefunden und uns weitere Schwierigkeiten bis jetzt nicht bereitet.
Am 12. d. Mts. tritt das sogenannte Achtzehnerkomitee in Genf wieder zusammen6. Nach uns zugekommenen Informationen hat England bei den meisten Mitgliedern dieses Komitees Schritte unternommen, um bei dieser Gelegenheit einen starken und konzentrierten Druck auf die Schweiz auszuüben, damit diese entweder die Sperre gegen die italienische Einfuhr vollständig mitmacht oder aber als Nicht-Sanktions-Staat öffentlich auf die gleiche Linie mit Österreich und mit Ungarn gestellt wird. Es ist uns mitgeteilt worden, dass die englische Regierung in dieser Hinsicht bereits die Zustimmung der Regierungen von Frankreich, Belgien und der skandinavischen Staaten erhalten habe.
Es braucht sicherlich nicht betont zu werden, um welch wichtige, schwierige und delikate Fragen es sich hier handelt. Müssten wir unter einem solchen Druck die schweizerisch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen vollständig abbrechen, so würde dadurch nicht nur – was nicht entscheidend ist – der ohnehin ausserordentlich notleidenden Wirtschaft ein weiterer Schlag versetzt, der fast unerträglich wäre. Es würden mindestens 10 000 Arbeiter brotlos. Wichtiger noch aber ist, dass die Verhältnisse im Kanton Tessin mit seinen jahrhundertealten engen Beziehungen zu Italien nach Ansicht der Tessiner-Regierung7 sehr beunruhigend werden müssten. Auf der ändern Seite ist aber klar, wie ausserordentlich unerwünscht und schwerwiegend eine unsere Haltung als paktwidrig bezeichnende Manifestation des Achtzehnerkomitees wäre.
Unter diesen Umständen ist es wohl notwendig, dass Sie sich unverzüglich mit der Regierung, bei welcher Sie akkreditiert sind, in Verbindung setzen und feststellen, welche Ansichten und Absichten man dort in der vorliegenden Frage hat. Das muss selbstverständlich geschehen, bevor die betr. Delegierten definitive Instruktionen erhalten haben. Das vorliegende Schreiben mit seinen 2 Beilagen wird Ihnen für solche Besprechungen die nötigen Unterlagen geben, um den Standpunkt der Schweiz zu erklären und verständlich zu machen. Dabei sollte ganz besonderes Gewicht auf folgenden Umstand gelegt werden:
Der englische Antrag auf Erlass einer Einfuhrsperre gegen italienische Waren wurde mehrfach und ausdrücklich damit begründet, dass man nicht eine aggressive Massnahme ergreifen wolle, dass man nicht beabsichtige gegen das italienische «Regime» und seinen Chef einen vernichtenden Schlag zu führen und dass man nicht das italienische Volk, dem man seine volle Sympathie bewahre, zu treffen beabsichtige. Der Zweck bestehe vielmehr darin, durch Unterbindung des Warenexportes aus Italien diesem die Möglichkeit zu nehmen, mit den aus dem Warenexport entfallenden Devisen, richtiger mit dem aus dem Handelsverkehr sich ergebenden Devisen- Überschuss in den Nicht-Sanktions-Staaten Kriegsmaterial und zur Kriegführung nötige Rohstoffe zu kaufen. Sie ersehen aus den Beilagen, dass wir nachgewiesen haben – und das ist bis jetzt von keiner Seite bestritten worden –, dass unser bereits durch den Bundesratsbeschluss vom 18. November8 ausgesprochenes Verbot gegen direkte Zahlungen an Italien und das vorgesehene System der direkten Verrechnung, Italienzweifellos um den Devisenüberschuss bringt, den es bis jetzt aus dem Handelsverkehr mit der Schweiz erhalten hat. Der Zweck des englischen Antrages ist also mit unserer Haltung in vollem Masse erreicht. Ja man kann ohne irgendwelche Übertreibung weitergehen und sagen, dass unsere Stellungnahme für die Schwächung der italienischen Finanzkraft bedeutsamer ist, als die vollständige Durchführung der Einfuhrsperre seitens der meisten ändern Staaten. Diese haben bis jetzt im Warenverkehr den Italienern keine Devisenüberschüsse geliefert, sondern diese gezwungen infolge der für Italien passiven Handelsbilanz Devisenzuschüsse zu geben. Die Anwendung der Sanktionen ermöglicht den Italienern sich diese Devisenzuschüsse zu ersparen. Bei uns ist es genau umgekehrt: Italienverliert einen bisher bestehenden Devisenüberschuss. Das ist denn auch der Grund, weshalb unsere in Rom geführten Verhandlungen so ausserordentlich hartnäckig und schwierig waren. Die Italiener haben sich sofort und klar darüber Rechenschaft gegeben, dass zwar unsere Haltung für sie wirtschaftlich von einem gewissen Interesse ist, dass sie ihnen aber devisenpolitisch viel schädlicher ist, als diejenigen der «100%igen» Sanktions-Staaten.
Nun ist über dieses letzter Tage mit Italien abgeschlossene Clearingabkommen9 eine neue Beunruhigung bei den Regierungen der übrigen Staaten entstanden. Ich hatte Gelegenheit die hiesigen diplomatischen Vertreter von England und Frankreich einlässlich aufzuklären. Es scheint mir notwendig zu sein, dass auch die wichtigsten übrigen Regierungen über diese Fragen vollständigen und klaren Bericht erhalten und teile Ihnen zu diesem Zwecke folgendes mit:
Das abgeschlossene Clearingabkommen ist selbstverständlich in jeder Hinsicht in voller Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die wir durch die Erklärung vom 28. Oktober Genf gegenüber eingegangen sind. Italien erhält nach diesem Abkommen aus seinem Warenexport zu uns keinerlei Devisen irgendwelcher Art. Alles wird verrechnet. Sodann sind alle Vorkehrungen getroffen, dass weder unsere Ausfuhr nach Italien noch die italienische Einfuhr in die Schweiz den Umfang übersteigen, den sie im einzig möglichen Vergleichsjahr, im Jahre 1934 gehabt haben. Nun stellt sich sofort die Frage, was geschieht mit der Differenz zwischen Einfuhr und Ausfuhr. Diese Marge die im vergangenen Jahr noch 40 Millionen betrug, wird im laufenden Jahr noch ungefähr 15 Millionen ausmachen. Nach dem abgeschlossenen Clearingvertrag muss diese Summe verwendet werden um einen Teil der Zinsen aufzubringen, die Italien der Schweiz für die über eine halbe Milliarde Schweizer Franken ausmachenden schweizerischen Kapitalguthaben in Italien schuldet10. Daneben aber, und das ist besonders wichtig, muss Italien vertragsgemäss innerhalb von wenigen Monaten in freien Devisen noch die bis jetzt nicht bezahlten schweizerischen Guthaben für bereits gelieferte Waren abtragen. Diese Guthaben belaufen sich auf ca. 20 Millionen Schweizer Franken. Die Konsequenz dieser Abmachung für die italienische Devisen-Situation ist klar: nicht nur erhält Italien im Gegensatz zu der bisherigen Situation keine Devisen aus dem Verkehr mit der Schweiz, sondern es muss neben dem Clearingabkommen noch ganz beträchtliche Devisenleistungen aufbringen, für die es von der Schweiz aus keine Gegendeckung erhält. Die Abmachung führt also zweifelsohne nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer Schwächung der italienischen Devisenlage. Man wird sich fragen, warum Italien einem solchen Abkommen zugestimmt hat. Meines Erachtens liegt der Grund darin, dass es diesen Kaufpreis dafür bezahlen will, dass es einen gewissen beschränkten Wirtschaftsverkehr mit der Schweiz aufrechterhalten kann, dass nicht noch mehr Italiener infolge des Verlustes des Exportes nach den Sanktions-Staaten brotlos werden und dass es einen gewissen politischen Erfolg wenigstens scheinbar erzielt hat.
Haben die ändern Staaten Grund, sich gegen diese Vereinbarungen aufzulehnen? Man wird die Frage mit ja beantworten müssen, wenn mit dem englischen Antrag und dem darauf gestützten Beschluss etwas anderes bezweckt war, als man gesagt hat, nämlich die Schwächung des italienischen Regimes, die Herbeiführung von grosser Arbeitslosigkeit, kurz, wenn die Massnahmen einen bis jetzt ausdrücklich und mehrfach bestrittenen aggressiven Charakter haben sollten. Man wird aber von dem bis j etzt einzig in den Vordergrund geschobenen Devisen - Standpunkt aus die Abmachung für nicht nur vollständig befriedigend, sondern als weitergehend bezeichnen müssen als das, was, immer von diesem Standpunkt aus betrachtet, die ändern Länder getan haben. Dies ist denn auch von den hiesigen Diplomatenvertretern Frankreichs und Englands anerkannt worden.
Wohl begreiflich scheint mir, dass die damit für die Schweiz geschaffene Situation von der Wirtschaft der ändern Sanktions-Staaten und damit auch von ihren Regierungen mit einem gewissen Neid betrachtet wird. Da man aber doch offenbar Sanktionen gegen Italien und nicht gegen die Schweiz im Auge hat und da man sicherlich kein Interesse hat der Schweiz wirtschaftlich und namentlich auch innerpolitisch (Tessin!) unerträgliche Schwierigkeiten zu bereiten, so sollte eine ruhige und leidenschaftslose Überlegung unbedingt dazu führen, unsere Situation zu verstehen und demgemäss Instruktionen für die Beratungen der nächsten Woche zu geben.
Falls Ihnen, Herr Minister, die Situation aus diesem Schreiben und seinen Beilagen noch nicht vollkommen klar sein sollte, so stehe ich gerne telephonisch mit weitern Auskünften zur Verfügung.
- 1
- W. Stucki occupe cette nouvelle fonction depuis le 1er décembre, date à laquelle il a cessé de diriger la Division du Commerce du DE P.↩
- 2
- E 2200 Paris 8/2. Sanktionen gegen Italien Stellungnahme der Schweiz.↩
- 3
- Cf. annexe II au no 172.↩
- 4
- Cf. no 191 et n. 2.↩
- 5
- Cf. nos 160 et 167.↩
- 6
- Cf. no 189, n. 4.↩
- 7
- Cf. notamment la lettre du Conseil d’Etat tessinois au Conseil fédéral, du 8 novembre 1935 (E 7800 3/158).↩
- 8
- Arrêté du Conseil fédéral concernant le règlement des paiements entre la Suisse et l’Italie (RO, 1935, vol. 51, pp. 743- 745).↩
- 9
- Cf. no 190.↩
- 10
- Cf. no 161.↩