Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.8. Questions politiques générales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 8
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#119* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 35 (1934–1934) |
dodis.ch/45929
Die bedeutsame gestrige Rede Hitlers werden Sie heute morgen ungefähr gleichzeitig gelesen haben wie wir in Berlin. Ich habe sie natürlich im Reichstag auch mitangehört, und es kann nicht bestritten werden, dass sie auf die unmittelbare Zuhörerschaft grossen Eindruck gemacht hat. Trotz gewisser zum zehnten Male gemachter Erklärungen und Behauptungen bleibt sie ein Glanzstück der eigenartigen Hitler’schen Redekunst. Der Reichskanzler war in guter Form, was auch bei der Lektüre zum Ausdrucke kam. Bald ruhig und gemessen, bald ausgesprochen ironisch, bald leidenschaftlich ernst, verstund er es, dem Inhalte des Schriftstückes, das grossenteils in erkennbarer Weise aus der eigenen Feder stammt, seine volle Wirkung zu geben. Es war ihm übrigens leicht, den bisweilen stürmischen und selbstredend einmütigen Beifall dieses einparteiischen Parlaments da herauszuholen, wo es dem Redner am passendsten schien. Es wirkte z. B. erheiternd und etwas bemühend zugleich, den eigenen Sohn des früheren Kaisers, den Gruppenführer und Reichstagsabgeordneten Prinzen August Wilhelm überzeugten Beifall klatschen zu sehen, als Hitler, «bei aller Ehrerbietung vor den wirklich grossen Kaisern und Königen», der Monarchie eine ungestüme «zeitgemässe» Absage erteilte. Übrigens eine bemerkenswerte Stelle der Rede: «Wer Deutschlands letzte Spitze verkörpert, erhält seine Berufung durch das deutsche Volk und ist ihm allein ausschliesslich verpflichtet.» – Wenn schon eines näheren oder ferneren Tages die Monarchie, dann also ein Volkskaiser. Das gestattet allerhand Spekulationen im Augenblicke, wo infolge der Vereinheitlichung des Reiches die deutschen Länderdynastien der endgültigen Vergessenheit geweiht zu werden scheinen. Diese Einstellung des nationalsozialistischen Staates zur Frage der Monarchie entspricht übrigens dem, was ich verschiedentlich zu berichten Anlass nahm über die im jetzigen Zeitpunkt aussichtslosen Hoffnungen und Bestrebungen der deutschen Monarchisten.
Die ganze Anlage und Tonart der Rede entspricht der Gewissheit des Führers, der seiner Partei die Macht für vorderhand ein Jahrhundert prophezeit. Das Machtbewusstsein tritt als vollkommen in Erscheinung. Überall da, wo sich ein Widerstand zeigt, wird unbedingter Kampf angesagt, so insbesondere auch den Kirchen. Das Couplet über die Unfruchtbarmachung klang höhnisch und wurde ebenso belacht.
Desgleichen höhnisch und dazu falschklingend waren die Erklärungen, besser gesagt die Ausfälle gegen Österreich, meines Erachtens das missratenste Stück der zweistündigen Rede. Man beteuert, sich nicht in die innern Angelegenheiten des fremden Staates mengen zu wollen, tut es aber tatsächlich doch2. Sie finden auch den Ausspruch Hitlers, über den ich Ihnen gelegentlich schreibe, diesmal öffentlich bestätigt, dass er seine österreichische Heimat genügend kenne, um über sie zu denken und gegenüber ihr zu handeln, wie er es zu tun pflegt. Dabei schwitzte mein österreichischer Kollege und Nachbar im Reichstag ordentlich.
Als Gegenstück zu den österreichischen Darlegungen folgten unmittelbar die zwei der Schweiz gewidmeten Sätze. Die uns zugedachten «Millionen Bürger deutscher Nationalität» gereichten mir nicht zu besonderer Genugtuung. Erfreulicher war die Feststellung, dass bei uns eine «ersichtlich vom Vertrauen des schweizerischen Volkes getragene Regierung besteht, die – wie Hitler fortfuhr – es daher auch nicht nötig hat, innere Schwierigkeiten auf aussenpolitische Motive zurückzuführen». Dieser Passus wurde auch von der Versammlung, sichtlich in wohlgemeinter Absicht, gutgeheissen.
Sofort nach der Kanzlerrede wurde dem Reichstage das in seinen Konsequenzen kaum zu überblickende Gesetz über den Neuaufbau des Reichs zur Genehmigung unterbreitet. Es ist der Fall, hier zu sagen, dass es vor sich ging «comme une lettre à la poste». Der Wortlaut des Gesetzentwurfes wurde nicht verlesen, sondern während der Sitzung unter die Abgeordneten, in Maschinenschrift geschrieben, verteilt. Erste, zweite und dritte «Lesung» folgten sich unmittelbar und innert zwei bis drei Minuten war die Sache unter Dach. Einige Sekunden später versah der Reichskanzler, an seinem Platze stehend, bejubelt, das Gesetz mit seiner Unterschrift, das noch gleichen Tags die Verkündung durch den Reichspräsidenten erfuhr.
Am selben Abend kam ich noch mit dem bayerischen Staatsminister und Reichsjustizkommissar Dr. Frank zusammen, einer der Kronjuristen des jetzigen Regiments und Schöpfer des Reichseinheitsgesetzes. Er glaubte, mich zu der Auslassung des Kanzlers gegenüber der Schweiz beglückwünschen zu sollen. Ich erwiderte, dass ich die gute Absicht zu schätzen wisse, indessen an dem zwischen der Schweiz und Österreich hergestellten Parallelismus kein ausgesprochenes Vergnügen finde. Ich liess dabei durchblicken, dass es den Schweizern für die Haltung der deutschen Regierung gegenüber Österreich an Verständnis mangele. Minister Frank fühlte sich begreiflicherweise etwas persönlich berührt, da, wie Ihnen erinnerlich, er es war, der vor einigen Monaten aus Österreich ausgewiesen und raschenstens über die deutsche Grenze heimbefördert wurde. Er verteidigte jedenfalls sein damaliges Verhalten, worauf ich mich auf die Bemerkung beschränkte, dass nach schweizerischer Auffassung eine wie die ihm widerfahrene Behandlung eine Einmischung in die innern Angelegenheiten des Aufenthaltsstaates zur Voraussetzung hätte. Wichtiger aber war die bestimmte Erklärung Franks mir gegenüber, dass man in Deutschland eine politische Tätigkeit von sog. nationalsozialistischen Schweizern3 in keiner Weise billigen und dulden würde.
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