Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
14. Hongrie
14.2. Clearing
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 318
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#514* | |
Old classification | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 127 | |
Dossier title | Schweizerisches Generalkonsulat Budapest (1933–1935) | |
File reference archive | 8.9.1 • Additional component: Ungarn |
dodis.ch/45860
Im Anschluss an unser gestriges Telephongespräch gestatten wir uns, Ihnen nachstehend einen Überblick über die Verhandlungen mit Ungarn zu geben, indem wir Ihnen in der Beilage zu Ihrer vertraulichen Orientierung das schweizerischungarische Abkommen sowie die dazugehörigen 2 Protokolle2 und die einseitige Erklärung der schweizerischen Delegation3 übermitteln.
Die Verhandlungen für die Neugestaltung des Zahlungsverkehrs mit Ungarn, wofür der Bundesrat den schweizerischen Delegierten in seiner Sitzung vom 24. März bestimmte Weisungen erteilt hat4, sind in der Folge zweimal unterbrochen worden, weil die intransigente Haltung Ungarns eine Einigung verunmöglichte. Die Besprechungen wurden zum dritten Male am 14. Juli wieder aufgenommen.
Ungarn sträubte sich ausserordentlich heftig gegen die Einbeziehung von Finanzforderungen in den Clearingverkehr und brachte alle nur denkbaren Einwände gegen eine solche Regelung vor. Unter dem äusserst scharfen Druck, den die schweizerische Delegation auf die Ungarn ausübte, hat sich damals das gesamte ungarische Ministerium während 2 Tagen in langen Sitzungen mit der schweizerischen Forderung befasst. Schliesslich gab die ungarische Delegation im Aufträge ihrer Regierung folgende Erklärung ab:
«Nachdem derzeit in London5 mit den Vertretern der ausländischen Finanzkreditoren Ungarns Verhandlungen im Zuge sind zwecks Erweiterung der alten Pengö-Transfervereinbarung, welche Erweiterung den Zweck verfolgt, die Transferierung der Finanzforderungen günstiger zu gestalten, ist die ungarische Regierung nicht in der Lage, mit der Schweiz eine separate Vereinbarung zum Zwecke der Abtragung von Finanzschulden durch Warenexport zu treffen. Die im Zuge befindlichen Londoner Verhandlungen haben den Zweck, eine neue Vereinbarung zustande zu bringen, durch welche die Gläubiger in den einzelnen Ländern, somit auch die schweizerischen Gläubiger, in die Lage kämen, eine selbständige Initiative zu ergreifen. Der ungarische Finanzminister hat in London bereits erklärt, dass bei additionellen Exporten, die auf Initiative der Gläubigergruppen einzelner Länder getätigt werden, 80 % des Devisenerlöses der betreffenden Gruppe zur freien Verfügung stehen. Die ungarische Regierung legt grösstes Gewicht darauf, dass der Warenverkehr zwischen der Schweiz und Ungarn ungestört aufrecht erhalten bleibe und schlägt daher vor, die Clearingvereinbarung teile quelle auf drei Monate zu verlängern. Es ist zuversichtlich zu erwarten, dass während dieser Zeit die in London eingeleiteten Verhandlungen zu einem die Finanzgläubiger zufriedenstellenden endgültigen Ergebnis führen. Auch wäre die ungarische Regierung bereit, den vollen Gegenwert des in Verhandlung stehenden Weizenexportes von 500.000 Meterzentner6 zur Abtragung alter Warenschulden zur Verfügung zu stellen.»
An diese Mitteilung knüpfte die ungarische Delegation im weitern die Erklärung, dass sie Weisung habe, unverzüglich abzureisen, wenn schweizerischerseits dieser letzte Vorschlag Ungarns, der ein sehr weitgehendes Entgegenkommen darstelle, nicht angenommen werde.
Für die schweizerische Delegation ergaben sich aus dieser Haltung Ungarns zwei Schwierigkeiten.
1. Der ungarische Vorschlag verunmöglichte die Berücksichtigung von Finanzforderungen, was den Instruktionen des Bundesrates vom 24. März7 widersprach und auch mit dem sehr dringend gestellten Begehren der Nationalbank auf Berücksichtigung der Finanzforderungen im neuen Abkommen nicht übereinstimmte.
2. Der ungarische Vorschlag liess die Schwierigkeit der Überbrückung des von Ungarn verlangten Überpreises für Weizen von neuem auftauchen. In der Tat kam angesichts der heutigen Getreidepreise eine Überwälzung des Überpreises auf die Importeure nicht in Frage, weil dadurch eine Brotpreiserhöhung unvermeidlich geworden wäre; eine solche konnte aber im Hinblick auf die allgemeinen politischen Verhältnisse im gegenwärtigen Zeitpunkte unter keinen Umständen verantwortet werden. Es ergab sich somit nur mehr die Möglichkeit, die Zahlung des Überpreises den Exportgläubigern zu überbinden, zu deren Gunsten das Weizengeschäft in erster Linie abgeschlossen werden soll. Allerdings ergab sich dadurch für die Clearinggläubiger die Notwendigkeit, auf mindestens 20% ihrer Guthaben Verzicht zu leisten, was für sehr viele Exporteure ein schweres Opfer bedeutet, welches dadurch noch fühlbarer wird, als sie zum Teil schon beinahe ein Jahr auf die Auszahlung ihrer Warenguthaben warten mussten. Es entsprach im weitern diese Lösung auch nicht den Grundsätzen, die von der Handelsabteilung immer wieder vertreten worden waren, nämlich dass die Clearingverträge so ausgestaltet werden sollten, dass die schweizerische Exportindustrie in den ungekürzten Besitz ihrer Warenforderungen gelangen könne.
Die schweizerische Delegation gab sich über die vorstehend erwähnten Schwierigkeiten in vollem Umfange Rechenschaft. Es wäre ihr ausserordentlich daran gelegen gewesen, die Finanzforderungen im Interesse der schweizerischen Banken in die Regelung des Weizengeschäftes mit einzubeziehen und ausserdem eine Abtragung des Clearingsaldos zu ermöglichen, ohne dass die Exportgläubiger irgendwelche Opfer bringen mussten. Anderseits stand sie vor der schwerwiegenden Erklärung der ungarischen Delegation, dass Ungarn definitiv die Verhandlungen abbrechen würde, wenn sein letzter Vorschlag nicht angenommen werde. Mit Bezug darauf ist nun allerdings zu bemerken, dass er gegenüber allen frühem ungarischen Vorschlägen einen sehr weitgehenden Fortschritt darstellt, insofern als sich Ungarn zum erstenmal bereit erklärt hat, den Totalwert der ungarischen Weizeneinfuhr restlos der Schweiz zur Verfügung zu stellen, und zwar trotzdem die ungarischen Delegierten immer wieder daraufhinwiesen, dass Weizen für Ungarn Gold bedeute und das einzige Produkt darstelle, mit dem es sich Devisen im Ausland beschaffen und damit lebensnotwendige Waren erwerben könne. Dazu kommt, dass mit Hilfe dieses Weizengeschäftes die Möglichkeit geschaffen wurde, den gesamten, heute noch bestehenden Clearingsaldo bis Ende dieses Jahres restlos abzutragen und dabei gleichzeitig auch die Guthaben der Schweizerischen Bundesbahnen bei den Ungarischen Staatsbahnen in vollem Umfange hereinzubringen. Das Eidg. Post- und Eisenbahndepartement hat denn auch bereits die Erklärung abgegeben, dass die im Weizenabkommen getroffene Lösung für die Bezahlung der Transportspesen, die im Schlussprotokoll enthalten ist8, den Interessen der Bundesbahnen in vollem Umfange gerecht werde.
Die schweizerische Delegation war einstimmig der Ansicht, dass es nicht verantwortet werden könnte, unter solchen Umständen den ungarischen Vorschlag abzulehnen. Dies umso weniger, als von Seiten der «Gesuwa»9 immer wieder das Begehren gestellt worden war, ihr die Erlaubnis zu grössern Kompensationsgeschäften ausser Clearing zu erteilen, deren Durchführung ebenfalls nur mit Hilfe gewisser Abstriche an den Clearingguthaben möglich gewesen wäre. Das nunmehr vorliegende Weizengeschäft stellt letzten Endes nichts anderes als ein solches Kompensationsgeschäft grossen Stiles dar. Der zu den Verhandlungen als Experte zugezogene Vertreter der «Gesuwa» hat denn auch im Namen ihres Gesamtvorstandes in sehr bestimmter Form das Verlangen gestellt, es möchte der ungarische Vorschlag nicht abgelehnt, sondern den Gläubigern Gelegenheit gegeben werden, sich dazu auszusprechen. Die «Gesuwa» hat es ihrerseits übernommen, die sämtlichen am gegenwärtigen Saldo noch beteiligten Exportgläubiger durch ein Zirkular anzufragen, ob sie bereit wären, das von ihnen verlangte Opfer eines Verzichtes auf rund 20% ihrer Guthaben zum Zwecke der Überbrückung des von Ungarn verlangten Überpreises zu tragen oder nicht. Das vorläufige Ergebnis dieser Umfrage liegt nun vor: Von den Gesamtgläubigern, die rund 6.500.000 Franken Guthaben vertreten, haben die Guthabenbesitzer von ca. 5.500.000 Franken die Umfrage beantwortet. Weitere Antworten treffen fortlaufend ein. Von den Antworten sprechen sich ca. Fr. 4.500.000, also rund 81,9% bedingungslos für die Übernahme des zugemuteten Opfers aus; damit erscheint das geplante Weizengeschäft als durchführbar. Um die Verzichtquote der Gläubiger nicht zu erhöhen, werden im Umfange derjenigen Guthaben, deren Inhaber dem Vertrag nicht zustimmen wollten, noch solche Exportgläubiger herangezogen, für die bereits ein Guthaben bei der Schweizerischen Nationalbank in Zürich angemeldet, dessen Gegenwert bei der Ungarischen Nationalbank in Budapest jedoch noch nicht einbezahlt wurde.
Da wegen der Lösung, die im Schlussprotokoll zugunsten der Schweizerischen Bundesbahnen vereinbart wurde, die Möglichkeit besteht, dass die von Ungarn zu liefernde Weizenmenge von 500.000 q zur Abtragung des gegenwärtig bestehenden Saldos nicht restlos genügt, ist in das Abkommen auch noch eine ungarische Zukkerlieferung miteinbezogen worden. Die Übernahme eines Überpreises ist von uns abgelehnt worden. Ein interner Frachtenausgleich zur Ermöglichung des Absatzes dieses Zuckers auf dem schweizerischen Markte, der maximal 60 Rp. je 100 kg nicht überschreiten soll, ist von den Importeuren angesichts der grossen Schwankungen im Zuckermarkt ohne weiteres übernommen worden.
Das Abkommen besteht aus 5 Artikeln10, von denen bloss Artikel 2, 3 und 4 von materieller Bedeutung sind.
In Artikel 2 wird zunächst vereinbart, das bisherige Abkommen bis zum 31. Oktober 1933 zu verlängern, mit der Bestimmung, dass spätestens am 1. Oktober 1933 die Verhandlungen für die Neugestaltung des Zahlungsverkehrs wieder aufgenommen werden sollen. Zu dieser Bestimmung hat die schweizerische Delegation im Interesse der schweizerischen Finanzgläubiger eine dem Abkommen beigefügte Erklärung11 abgegeben, dass sie einer zukünftigen Regelung des Zahlungsverkehrs zwischen den beiden Ländern nur zustimmen könne, wenn in dieses Abkommen auch die Abtragung von schweizerischen Finanzguthaben gegen ungarische Schuldner mit einbezogen werde.
In Artikel 3 wird das Weizengeschäft als solches zum Zwecke der Abtragung des Clearingsaldos vereinbart. Die nähern Bedingungen für die Durchführung des Geschäftes sind in einem dem Abkommen beiliegenden Protokoll näher festgelegt.
In Artikel 4 wird zwischen den beiden Delegationen vereinbart, dass ähnliche Geschäfte, wie das nunmehr vorliegende Weizengeschäft, auch für die Abtragung jener schweizerischen Warenguthaben abgeschlossen werden sollen, welche bei der Schweizerischen Nationalbank zwar bereits angemeldet, aber bei der Ungarischen Nationalbank noch nicht einbezahlt sind. Der Betrag dieser Guthaben ist am 31. Juli 1933 mit Fr. 7.058.012,33 ausgewiesen worden. Er dürfte sich in Tat und Wahrheit allerdings sehr wesentlich vermindern, weil nachgewiesenermassen ein nicht unbedeutender Teil dieses Betrages infolge Zahlungsunfähigkeit des ungarischen Schuldners überhaupt nie einbringlich sein wird, und ferner, weil ziemlich bedeutende Beträge bereits auf anderem Wege realisiert wurden, ohne dass der schweizerische Gläubiger bisher sein Guthaben bei der Schweizerischen Nationalbank abgemeldet hätte.
- 1
- Lettre (Copie): E 7110 1/1271. Ungarn.-Clearingabkommen.↩
- 2
- L’accord pour le règlement des paiements résultant du commerce de marchandises entre la Suisse et la Hongrie avait été conclu le 28 juillet précédent à Zurich. (RO, 1933, vol. 49, pp. 760-761). L’article 3 de l’accord prévoyait que le solde du clearing existant au 31 juillet auprès de la Banque nationale hongroise en faveur des exportateurs suisses, serait compensé par la livraison de 500’000 quintaux de froment, dont la contre-valeur servirait intégralement à amortir le solde en question. Les conditions de cet arrangement étaient réglées par un protocole spécial, non publié (voir le texte du protocole in E 2001 (C) 4/169). Pour le protocole final à l’accord du 28 juillet cf. RO, 1933, vol. 49, p. 762.↩
- 3
- Voici le texte de cette déclaration: Die schweizerische Delegation bedauert aufs lebhafteste, dass Ungarn die Einbeziehung von Finanzforderungen in das im oben erwähnten Abkommen vorgesehene Weizengeschäft abgelehnt hat. Sie erklärt aber heute schon mit aller Bestimmtheit, dass sie einer zukünftigen Regelung des Zahlungsverkehrs zwischen den beiden Ländern, über welche gemäss Absatz 2 von Artikel 2 spätestens am 1. Oktober 1933 neue Verhandlungen aufgenommen werden sollen, nur zustimmen kann, wenn in dieselbe auch die Abtragung von schweizerischen Finanzguthaben gegen ungarische Schuldner miteinbezogen wird (E 2001 (C) 4/169).↩
- 4
- Ces instructions étaient les suivantes: a) eine Lösung für die Abtragung des zurzeit bestehenden Clearingsaldos in dem Sinne zu treffen, dass gewisse aus Ungarn einzuführende Waren ausschliesslich diesem Zwecke dienstbar gemacht werden; b) für die Finanzierung des zukünftigen schweizerischen Exportes nach Ungarn, wenn möglich, die gesamte verbleibende ungarische Einfuhr in die Schweiz sicherzustellen, im äussersten Falle einen Bruchteil von 20% dieser Einfuhr der Ungarischen Nationalbank zur freien Verfügung zu überlassen; c) innerhalb der Beträge, welche für die Finanzierung des schweizerischen Exportes zur Verfügung stehen, einen gewissen Prozentsatz für die Bezahlung der Forderungen der Schweizerischen Bundesbahnen sowie schweizerischer Finanzguthaben in Ungarn, unter Ausschluss von Anleihensforderungen, abzutrennen; d) für die zukünftige Gestaltung des Zahlungsverkehrs wenn möglich den Schweizerfranken als Verrechnungsbasis zu stipulieren (E 1004 1/339).↩
- 6
- Cf. n. 1 ci-dessus.↩
- 7
- Cf. n. 3 ci-dessus.↩
- 8
- Il a... été convenu entre les délégués des deux gouvernements que le contingent de froment serait livré port dû, c’est-à-dire que les frais de transport seraient réglés à part. Cf. Protocole final du 28 juillet, RO, 1933, vol. 49, p. 762.↩
- 10
- Cf. n. 1 ci-dessus.↩
- 11
- Cf. n. 2 ci-dessus.↩
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