Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
15. Italie
15.1. Relations commerciales
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 10, Dok. 181
volume linkBern 1982
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#348* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 84 | |
Dossiertitel | Besprechungen mit Italien September 1932 (Akten Direktor Stucki) (1932–1932) | |
Aktenzeichen Archiv | 8.2 • Zusatzkomponente: Italien |
dodis.ch/45723
Gestern, den 5. dies habe ich mit den Herren Anzilotti2 und Colombo eine sehr einlässliche Auseinandersetzung über die schweizerisch-italienischen Handelsbeziehungen gehabt. Ich habe die gegenwärtige Wirtschaftslage der Schweiz dargelegt, auf den ungeheuren Rückgang unseres Exportes aufmerksam gemacht und hervorgehoben, dass die Schweiz unmöglich ihre liberale Handelspolitik und die zum Teil daraus entstandenen grossen Defizite in den Handelsbilanzen mit gewissen Ländern weiter tragen könne. Deutschland habe dies nicht einsehen wollen, weshalb der Vertrag gekündigt werden musste3. Frankreich habe es eingesehen und es sei kürzlich ein erträgliches Abkommen zum Abschluss gelangt4. Ähnlich sei es mit Belgien, Holland, der Tschechoslowakei, Polen und ändern Staaten. Überall hätten wir uns bemüht, die Handelsbilanz zu verbessern, um nicht gezwungen zu sein, zum eigentlichen Kompensationsverkehr, d.h. zu einer Regelung zu gelangen, bei welcher wir dem einzelnen Land nur noch soviel abkaufen, wie es von uns bezieht. Wir seien grundsätzlich bereit, auch mit Italien eine ähnliche Regelung anzustreben. Wir hätten aber bis jetzt hiefür bedauerlich wenig Verständnis gefunden und auf unsere längst hängigen Begehren betreffend Reduktion der Kündigungsfrist5 und Entlassung aus der Zollbindung für Kunstseide und Seide6 nie eine Antwort erhalten. Dazu sei in letzter Zeit noch die dringende Notwendigkeit gekommen, uns gegen die ausserordentlich stark zunehmende Einfuhr von Salami zu schützen, die uns um so unerträglicher werde als der Konsum stark zurückgehe. Wenn die italienische Regierung sich nicht endlich bereit erkläre, uns in diesen paar Punkten rasch und weitgehend entgegenzukommen, so bliebe meines Erachtens kein anderer Ausweg, als uns durch Kündigung des Vertrages die nötige Handlungsfreiheit zu beschaffen. In diesem Falle bestünde natürlich die Gefahr, dass hüben und drüben eine Unzahl von Wünschen und Begehren geltend gemacht würden, die dann leicht zu einer Situation führen könnten, bei welcher wir wirklich nur noch in dem Ausmasse italienische Produkte kaufen könnten, in welchem Italien schweizerische Produkte beziehe. Ich verstünde deshalb wirklich nicht, weshalb sich Italien diesem Risiko aussetzen wolle und nicht entgegenkomme.
Anzilotti behauptete, er hätte den Eindruck gehabt, unser Begehren betreffend Dekonsolidierung des Zolls für Kunstseide sei nicht mehr aktuell, und was die Seide anbelangt, so glaubte er, das sei nur eine Verwechslung und beziehe sich auf Kunstseide. Jedenfalls habe man ihm nie gesagt, um welche Waren es sich handle und auch nicht betont, dass die Sache wichtig und dringlich sei.
Ich habe geantwortet, dass wir der Gesandtschaft in Rom schon mit Schreiben vom 30. Dezember 19317 genaue Angaben und Instruktionen hätten zukommen lassen, und es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass die Gesandtschaft diese Angaben (Position 447b des schweizerischen Tarifs) nicht an ihn weitergeleitet und auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Sache hingewiesen hätte.
Im weitern nahm Anzilotti den Standpunkt ein, die von uns gestellten Begehren brächten für Italien ein Opfer von über 100 Millionen Lire jährlich. Diese Ziffer ist natürlich phantastisch und wir haben dann gemeinsam folgende Maximahzchnung aufgestellt:
[...]8
Ich habe eindrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass eine Mindereinfuhr von 7 Millionen auf eine Totaleinfuhr von 180 Millionen ja kaum in Frage kommen könne und die italienisch-schweizerische Handelsbilanz nach wie vor für Italien ausserordentlich günstig, ja relativ gesprochen, die günstigste von allen Ländern bleibe. Dabei sei ja nicht einmal berücksichtigt, dass wir nicht eine auch nur annähernde prohibitive Zollerhöhung beabsichtigen, sodass eine Reduktion der Hälfte der Einfuhr zweifellos viel zu hoch gerechnet sei. Schliesslich wies ich darauf hin, dass die Ausfuhr Italiens nach ändern Ländern infolge von Devisenmassnahmen, Währungsentwertungen etc. ganz andere Einbussen erlitten hätte, ohne dass als Gegenwert eine für Italien äusserst wertvolle Stabilisierung der Restlieferungen vorhanden sei.
Der Bundesrat könnte es nicht verstehen, führte ich weiter aus, wenn sich die italienische Regierung, angesichts ihrer so ungewöhnlich günstigen Bilanz mit der Schweiz, weigere, uns die Möglichkeit zu geben, unsere Seiden- und Kunstseidenzölle, die schon in normalen Zeiten ganz ungewöhnlich niedrig waren, in der gegenwärtigen Krisenzeit dem Niveau der Ansätze der ändern Länder anzupassen.
Was schliesslich die Position Salami anbelangt, so hob ich hervor, dass die Schweiz ja die Einfuhr aus veterinärpolizeilichen Gründen vollständig hätte sperren oder durch Einführung eines besonders niedrigen Kontingents noch wesentlich stärker hätte drosseln können, ohne dass Italien praktisch die Möglichkeit gehabt hätte, dagegen ohne Gefährdung seiner ganzen Ausfuhr nach der Schweiz zu remonstrieren. Wir hätten diesen Weg nicht beschritten, sondern der italienischen Regierung unsere Nöte und Wünsche offen und freundschaftlich dargelegt und sie um Entgegenkommen gebeten. Man soll uns nicht zwingen diesen Weg zu verlassen und Italien gegenüber Massnahmen zu ergreifen, die wir ändern Staaten gegenüber längst angewendet haben. Selbstverständlich sei eine Lösung der Schwierigkeiten nur möglich, wenn sich die italienische Regierung sehr grosszügig einstelle und vom Gedanken ausgehe, es sei besser, eine verhältnismässig geringe Verminderung des Aktivsaldos mit der Schweiz in Kauf zu nehmen, um sich den grossen Rest zu sichern, als uns zu Schritten zu treiben, die zu einer unendlich viel grössern Drosselung der Ausfuhr nach der Schweiz führen müssten.
Ich glaube, dass meine Darlegungen auf die beiden Herren Eindruck gemacht haben. Jedenfalls erklärten sie sich bereit, die drei aufgeworfenen Fragen sehr rasch und wohlwollend in Bearbeitung zu nehmen und uns bis spätestens Ende dieses Monats bestimmte Antwort zu erteilen.
- 1
- E 7110 1/84. Paraphe: ME.↩
- 2
- E. Anzilotti, Inspecteur général au Ministère italien des Corporations.↩
- 3
- Cf. no 128 + AI + AII.↩
- 4
- Cf. no 177.↩
- 5
- Cf. no 147.↩
- 6
- Cf. no 131.↩
- 7
- En réalité du 21 décembre. Cf. no 131.↩
- 8
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/45723. Pour le tableau, cf. dodis.ch/45723. For the table, cf. dodis.ch/45723. Per la tabella, cf. dodis.ch/45723.↩