Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
2. Autriche
2.1. Relations commerciales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 180
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#416* | |
Old classification | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 97 | |
Dossier title | Handelsvertrag mit Oesterreich, Allgemeines (1930–1934) | |
File reference archive | 8.2.1 • Additional component: Oesterreich |
dodis.ch/45722
Le Vorort de l’Union suisse du commerce et de l’industrie à la Division du Commerce du Département de l’Economie publique1
[...] Es liegt am Tage, dass die wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu Österreich sich im Laufe der letzten Zeit ausserordentlich verschlechtert haben, und dass der Handelsvertrag, soweit es die österreichischen Tarifzugeständnisse betrifft, an unmittelbarer Bedeutung für die Schweiz sehr erheblich eingebüsst hat. Ob das allerdings schon einen genügenden Grund abgibt, um die immerhin mit gewissen Konsequenzen verbundene Kündigung des Vertrages auszusprechen, muss zweifelhaft erscheinen. Es kommt vor allem darauf an zu wissen, was die Schweiz durch den Wegfall des Handelsvertrags mit Österreich gewinnen würde. In dieser Beziehung ist festzustellen, dass die meisten der gegenüber Österreich gebundenen schweizerischen Zölle auch noch in Verträgen mit ändern Staaten figurieren, so dass durch die Beseitigung der Österreich eingeräumten Bindungen die Freiheit keineswegs zurückgewonnen wäre. Unter den industriellen Positionen, welche bei einer Kündigung des schweizerisch-österreichischen Vertrages automatisch eine Zollerhöhung erfahren würden, spielt eigentlich nur die Nr. 6232 wegen der Heraklitplatten eine gewisse Rolle. Der Einfuhrwert dieser Erzeugnisse aus Österreich betrug im Jahre 1931 rund 400000 Fr. Einzig dieser Position wegen den Vertrag aufzuheben, Hesse sich unseres Erachtens um so weniger rechtfertigen, als es nicht zuletzt auch vom internen wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus fraglich erscheint, ob eine Zollerhöhung von 2 auf 10 Fr., wie sie durch den Wegfall des Handelsvertrages für Heraklitplatten eintreten würde, zu verantworten wäre. Die Position muss im Rahmen einer Revision des schweizerisch-österreichischen Vertrages vielleicht einmal näher angesehen und etwas modifiziert werden; eine radikale Ausmerzung halten wir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für angezeigt. Industrielle Dekonsolidierungen von wirklich dringender Bedeutung sind nach unserem Dafürhalten durch die Kündigung des Handelsvertrages mit Österreich somit nicht zu gewinnen. Etwas anders mögen die Verhältnisse auf dem Gebiet der Landwirtschaft liegen, indem hier insbesondere für das Holz die schon oft erörterte Sonderbegünstigung für Bretter aus Nadelholz der Pos. 237 bei der Auflösung des Vertrages in Wegfall kommen würde. Da aber der Waldwirtschaft bereits durch die Kontingentierung ein sehr weitgehender Schutz gewährt wird, glauben wir, dass es füglich damit einstweilen sein Bewenden haben darf und der Vorzugszoll für das Vorarlberger Kontingent bis auf weiteres aufrechterhalten bleiben kann.
In tarifarischer Beziehung vermögen wir somit aus einer Kündigung des Handelsvertrags mit Österreich für die Schweiz keinen Nutzen zu erwarten. Unter den Gründen, die Sie veranlasst haben, der ja in der Tat sich aufdrängenden Frage näher zu treten, ist offenbar auch der Stickereiveredlungsverkehr mit dem Vorarlberg enthalten3. Hierüber haben wir uns in einer besondern Vernehmlassung vor einiger Zeit einlässlich geäussert. Wir sind nach wie vor überzeugt, dass sich die Lohnstickerei in einer Täuschung befindet, wenn Sie glaubt, durch die Aufhebung des passiven Stickereiveredlungsverkehrs mit Vorarlberg etwas zu gewinnen, und wir würden es als ein Verhängnis betrachten, wenn aus Erwägungen, die nicht mit der Sache als solcher zu begründen sind, eine Institution preisgegeben würde, die für die schweizerische Stickerei als ganzes unbedingt positiv zu bewerten ist.
Wir vermögen also nirgends einen volkswirtschaftlichen Vorteil aus einer Kündigung des Handelsvertrages mit Österreich zu erkennen. Wenn einerseits zwar zuzugeben ist, dass der heutige Zustand sich als äusserst unbefriedigend erweist, so kann anderseits von der Beseitigung des Vertrages durchaus keine Besserung erwartet werden, wohl aber gehen mit dem Vertrag wertvolle Einrichtungen, wie der Stickereiveredlungsverkehr mit Vorarlberg, aber auch zahlreiche zolltarifarische Errungenschaften unter, die später wahrscheinlich keineswegs so leicht wieder zu erhalten wären, um so weniger, als Österreich ohnehin schon lange die Absicht hat, seine vertraglichen Konzessionen abzubauen. Gerade der Stickereiveredlungsverkehr, den gewisse Kreise aus vorwiegend politischen und missverstandenen sozialpolitischen Motiven als Kündigungsgrund anführen, scheint uns auch heute noch ein positiver Gewinn des Handelsvertrages zu sein.
Zu dieser Bilanz des Für und Wider kommt hinzu, dass es uns auch vom psychologischen Gesichtspunkt aus ein schlecht gewählter Moment zu sein schiene, jetzt Österreich den Vertrag zu kündigen, im gleichen Augenblick, wo neuerdings eine Hilfsaktion4 für dieses bedauernswert hergenommene Land geprüft wird und zu gleicher Zeit, da man sachte und bescheiden, aber doch deutlich erkennbar wieder anfängt, die zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen von den gröbsten Schlacken zu befreien. Aber nicht nur aus psychologischen, sondern auch aus unmittelbar praktischen Rücksichten sollte davon abgesehen werden, den Handelsvertrag mit Österreich zu beseitigen, weil darin doch offenbar ein Widerspruch zum Zweck des zur Liquidation der schweizerischen Aussenstände mit Österreich getroffenen Clearingabkommens5 läge. Die Industrie muss wünschen, dass ihre bei der Nationalbank in Wien liegenden Guthaben möglichst bald abgetragen werden können. Mit diesem Ziel wären die durch den Wegfall des Handelsvertrags immerhin entstehenden Erschwerungen einzelner Importe aus Österreich zweifellos nicht vereinbar.
Aus allen den dargelegten Erwägungen ist man in der Schweizerischen Handelskammer zur Ansicht gelangt, dass von einer Kündigung des Handelsvertrages im Österreich zurzeit abgesehen werden sollte. Insbesondere die Vertreter der Ostschweiz haben mit grösstem Nachdruck darauf hingewiesen, dass in ihren Kreisen eine Preisabgabe des Handelsvertrages nicht verstanden würde. Aber auch aus ändern Landesteilen und Industrien ist sehr eindringlich davor gewarnt worden, die Brücke abzubrechen, nachdem einzelne Branchen nicht ohne Erfolg im Begriffe sind, das Geschäft mit Österreich auf einer den heutigen Verhältnissen entsprechenden Basis neu aufzubauen. Wir kennen keine Gründe, welche zur sofortigen Kündigung zwingen, und möchten Ihnen deshalb beantragen, damit bis auf weiteres zuzuwarten. Zu einer Teilrevision des Vertrages wird sich im Zusammenhang mit einer Regelung des Zahlungsverkehrs, der allerdings in dem Zustand, in dem er sich für das laufende Geschäft heute befindet, unmöglich belassen werden darf, ohne Zweifel Gelegenheit bieten, nicht zuletzt aber vielleicht auch im Zusammenhang mit den Zollpräferenzplänen für Österreich, die uns übrigens ein Grund mehr zu sein scheinen, an unserem auf der uneingeschränkten Meistbegünstigung beruhenden Handelsvertrag mit Österreich vorläufig festzuhalten.
- 1
- Lettre: E 7110 1/97. Paraphe: Ho/M. Österreich-Handelsvertrag (Kündigung). Lettre signée par le Vice-président, E. Wetter et le 2e Secrétaire, H. Hornberger.↩
- 2
- Il s’agit de planches en roseaux, en magnésite et autres matériaux de construction (Arrêté du Conseil fédéral concernant la modification du tarif douanier, 8 juin 1921. RO, 1921, vol. 37, p. 423).↩
- 3
- Cf no 202, n.4.↩
- 4
- Cf. no 172.↩
- 5
- Cf. no 159.↩