Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.3. Zonenfrage und Schiedsvertrag
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 511
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#1701* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 307 | |
Dossier title | Unterhandlungen mit Frankreich betr. die zu vereinbarende Zonenordnung gemäss Verfügung des Internationalen Gerichtshofes vom 19.8.1929 (1929–1929) | |
File reference archive | B.137.2 |
dodis.ch/45528 ZUR ZONENFRAGE
I. Das Projekt der Genfer Regierung vom 2. Oktober 1929.
[...]2
Das neue Projekt3 [...]entspricht in allen wesentlichen Teilen dem Entwurf der Genfer Handelskammer vom Oktober 1923. /...] Die Schweiz würde sich also nach wie vor im Abkommen selber verpflichten, die ganze Zonenproduktion, landwirtschaftlich und industriell, zollfrei, unter Vorbehalt der Mengenbestimmung durch die gemischte Kontrollkommission und allfälliger von dieser anzuordnender Kontrollmassnahmen, aufzunehmen. Hinsichtlich der Definition der industriellen Zonenprodukte aus Unternehmungen, die erst nach Vertragsabschluss entstehen, wird neu vorgesehen, dass der Zonencharakter gewahrt ist, wenn es sich um Produkte handelt, für die aus den Zonen stammendes Rohmaterial verarbeitet wurde. Schliesslich sieht lit. e. eventuell vor, dass für die übrigen industriellen Produkte neuer Zonenunternehmungen reduzierte Zölle festzusetzen seien, wobei die Differenz in den Produktionskosten massgebend sein soll.
Die Einwendungen, die von seiten des Volkswirtschaftsdepartementes gegen das Projekt der Genfer Handelskammer vom Oktober 1923 gemacht worden sind, beziehen sich mindestens in gleicher Weise auch auf die neue Vorlage der Genfer Regierung. Diese Einwendungen werden auch von der Oberzolldirektion erhoben. Diese und das Departement gehen von der Voraussetzung aus, dass unter allen Umständen im Abkommen selber Kontingente festzusetzen seien und zwar nicht auf «ewig», sondern auf eine beschränkte Zahl von Jahren. Diese letztere Auffassung aber wird von Genf sehr schroff abgelehnt, so noch vor einigen Tagen durch eine Eingabe des «comité Pictet» an die Genfer Regierung, von welcher mir eine Kopie zugestellt worden ist.
Persönlich bin ich der Ansicht, dass es, wenn auch sehr schwierig, so doch nicht ganz unmöglich sein sollte, eine Formel zu finden, die für Genf und Bern annehmbar wäre und die vom Grundsatz ausgeht, dass der volle exportierte Überschuss der Zonenproduktion zollfrei in die Schweiz eingeführt werden darf. Jedenfalls aber liegt heute eine solche Formel nicht vor und ihre Ausarbeitung dürfte allermindestens grosse Schwierigkeiten verursachen und viel Zeit beanspruchen.
II. Weiteres Vorgehen gegenüber Frankreich.
Herr Logoz scheint zu verlangen, dass man Frankreich einen fertigen Entwurf übergebe, der nötigenfalls als Zeichen grossen schweizerischen Verständigungswillens dem Haager Gerichtshof zugestellt werden könnte. Ganz abgesehen davon, dass über die wichtigste materielle Grundlage eines solchen Entwurfes die Meinungen zwischen Genf und Bern heute vollständig auseinandergehen, ein solcher Entwurf also keineswegs vorliegt und auch innert kurzer Zeit kaum zu erreichen ist, halte ich ein solches Vorgehen weder für nötig noch für zweckmässig, ja geradezu für gefährlich4:
Es darf doch nicht vergessen werden, dass in der ganzen Zonenfrage Frankreich die Klägerrolle trägt, dass es eine Änderung des heutigen Regimes bzw. des Regimes wie es heute angewendet werden sollte, verlangt. Frankreich sagt, die heutige Zonenordnung entspreche nicht mehr den veränderten Verhältnissen und hat bis jetzt stets beigefügt, ein Regime, das den heutigen Verhältnissen entspreche, müsse die Zonen selber beseitigen. Der Haager Entscheid erklärt demgegenüber, dass man wohl die alten Verträge ändern müsse, dass Art.435, Absatz 2, des Friedensvertrags von Versailles ein bezügliches pactum de contrahendo enthalte, dass eine solche Änderung auch möglich sei unter grundsätzlicher Beibehaltung des Zonenregimes. Also ist es doch gegeben, Frankreich um Vorschläge darüber zu ersuchen, wie das Regime von 1815/16 seiner Ansicht nach geändert werden solle, wobei die kleinen Zonen grundsätzlich beibehalten werden müssten. Da diese Fragestellung darauf hinausläuft, dass unser Export nach den Zonen unverändert bleibt, so kann die «Anpassung an die Verhältnisse» nur dadurch erfolgen, dass die Ausfuhr der Zonenprodukte nach der Schweiz eine Veränderung im Sinne einer Erleichterung erfährt. Die Schweiz müsste deshalb meines Erachtens beifügen, sie sei, falls Frankreich auf der durch den Haager Entscheid geschaffenen Grundlage verhandeln wolle, sehr gerne bereit, alle entsprechenden französischen Vorschläge mit grösstem Wohlwollen zu prüfen und könne jetzt schon mitteilen, dass sie dem Export der Zonenprodukte nach der Schweiz weitgehendste Erleichterung zu gewähren bereit sei.
Frankreich wird ja eine solche grundsätzliche Anfrage voraussichtlich gleich ablehnend beantworten wie ein ausgearbeitetes schweizerisches Projekt. Der Eindruck im Haag dürfte ungefähr derselbe sein, wenn die grundsätzliche Erklärung entgegenkommend genug redigiert ist. Diese würde aber Präzisionen vermeiden, die bei Übergabe eines ausgearbeiteten Projektes nur nachteilig werden können; denn entweder gibt man sich schweizerischerseits damit vollkommen aus, dann wird der Gerichtshof die schweizerischen Konzessionen, um Frankreich zu trösten, sicherlich noch ganz bedeutend erweitern und dadurch für uns unerträgliche Verhältnisse schaffen, oder, man will dies einkalkulieren und behält Trümpfe in der Reserve, dann wird der Eindruck im Haag auch entsprechend mager ausfallen.
Ich resümiere also dahin, dass man schweizerischerseits den Franzosen kein irgendwie näher präzisiertes Projekt unterbreiten sollte, weil
a) ein solches heute weder besteht noch angesichts der Gegensätze zwischen Genf und Bern innert kurzer Frist und ohne grosse Reibungen aufgestellt werden kann,
b) wir riskieren, dass das schweizerische Projekt vom Gerichtshof erst als Ausgangspunkt angenommen und im Sinne einer Verschlechterung für uns erweitert wird,
c) durch eine allgemein gehaltene möglichst entgegenkommend zu redigierende Erklärung diese Gefahren beseitigt und trotzdem im Haag der Eindruck erweckt werden kann, die Schweiz sei aufrichtig bestrebt, das in Art. 435 enthaltene pactum de contrahendo zu respektieren.
- 1
- E 2, Archiv-Nr. 1701.↩
- 2
- Die Aufzeichnung behandelt zu Beginn die Vorgeschichte des Zonenhandels und den Konventionsentwurf der Genfer Handelskammer vom Oktober 1923.↩
- 3
- Der Entwurf, den die Genfer Regierung dem Politischen Departement am 2.10.1929 zustellte, ist nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. dazu Nr. 512 undNr. 513.↩