Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
1. Abrüstung und Waffenhandel
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 500
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1535#162* | |
Dossier title | Rapport sur l'oeuvre du Conseil et du Secrétariat général (1929–1929) | |
File reference archive | B.56.01.22.1 |
dodis.ch/45517 Der Vorsteher des Militärdepartementes, K. Scheurer, an den Vorsteher des Politischen Departementes, G. Motta1
Zu Ihrem Schreiben vom 25. Juli 19292 beehren wir uns Ihnen mitzuteilen, dass wir dasselbe unserer Generalstabsabteilung zum Bericht unterbreitet haben, die sich über die Fragen der ausgebildeten Reserven und betreffend Reservematerial wie folgt ausspricht: Ausgebildete Reserven (Dokument A. 6, Seite 21, 4. Absatz)3.
«Es darf nunmehr als feststehend angenommen werden, dass im Vertragsentwurf der Vorbereitenden Abrüstungskommission nur auf die Bestände bei der Fahne Bezug genommen wird, nicht aber auf die ausgebildeten Reserven. An erwähnter Stelle des Dokuments ist dies allerdings bloss in Form einer Feststellung des Präsidenten niedergelegt und nicht als Kommissionsbeschluss, denn eine Abstimmung hierüber fand nicht statt; es lag aber auch kein Gegenantrag zu dieser Feststellung des Präsidenten vor. Der deutsche Delegierte spricht von einer décision prise4. Ein Antrag Soviet-Russlands, über das Prinzip der ausgebildeten Reserven abzustimmen, wurde vom Präsidenten als unzulässig abgelehnt (siehe Seite 123 des gedruckten Protokolls der 6. Session der C.P.D., Dokument C. 195, M. 74 v. 25.5.29, das inzwischen erschienen und hienach kurz Protokoll genannt ist). Die Ansicht des Präsidenten stimmt ohne Zweifel mit der der grossen Mehrheit der Kommission überein.
Wir dürfen daher, auch gestützt auf den Beschluss betreffs der, Garde national des Etats-Unis d’Amérique4 (siehe Protokoll Seite 132/133) annehmen, dass der Abrüstungsvertrag in Bezug auf die Reserven die Schweiz nicht berühren wird, insbesondere nicht hinsichtlich der Bestände. Vom schweizerisch-militärischen Standpunkt aus ist das jedenfalls zu begrüssen, weil demnach unser Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in keiner Weise angetastet wird.
In diesem Zusammenhang ist von besonderer Wichtigkeit für uns der ausdrückliche Beschluss der Kommission, im Protokoll oder sonst in geeigneter Weise davon Vormerk zu nehmen, dass die Milizorganisationen der Staaten der amerikanischen Union nicht unter den Begriff der militärisch organisierten Verbände (forces organisées militairement) fallen (siehe im Protokoll die 14. und 15. Sitzung, 27. & 29. April 1929, insbesondere Seite 119, 122 und 132/33). Wir halten denn auch dafür, dass dieser Beschluss seinerzeit durch uns als wichtiges Präjudiz ausgewertet werden sollte. Da uns aber nicht bekannt ist, welche Organisation, Ausbildungszeit und Ausrüstung diese amerikanischen Milizen haben, so ist eine genaue Feststellung darüber angezeigt und wir möchten deshalb anregen, dass sich das eidg. Politische Departement durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Washington die nötigen Angaben darüber verschaffen lasse. Haben wir einmal volle Klarheit, dann könnte die Schweiz im gegebenen Zeitpunkt eine ähnliche Erklärung hinsichtlich unserer Milizarmee zu erwirken suchen.»
Reserve-Material [...]
«Hierüber ist auf den in namentlicher Abstimmung mit allen gegen Russland und China (bei Stimmenthaltung Deutschlands) gefassten Beschluss zu verweisen, dass die Kommission das System der direkten Beschränkung des im Dienst befindlichen und des Reservematerials (matériel stocké) ablehnt, und dass für die Beschränkung überhaupt der Weg der Veröffentlichung der Ausgaben zu suchen sei.
Der Abrüstungsvertrag wird also voraussichtlich nichts darüber enthalten, was jeder Staat an Kriegsmaterial besitzen darf. Es wird nur ein moralischer Druck durch Veröffentlichungszwang bezüglich der Ausgaben zu erreichen gesucht werden. Es scheint sehr zweifelhaft, dass die Mehrheit sich zur Veröffentlichung der Ausgaben nach einzelnen Kategorien des Kriegsmaterials bestimmen lassen wird, also z.B. Angabe, wieviel für schwere Artillerie, Munition, Flugzeuge, Tanks, usw. ausgegeben wurde.
Vom schweizerisch-militärischen Standpunkt aus kann auch dieser Beschluss nur gutgeheissen werden. Er ist übrigens bezüglich Reservematerial notwendig, sobald die ausgebildeten Reserven nicht in die Abrüstungselemente einbezogen werden. Denn ausgebildete Reserven ohne das zugehörige Material sind militärisch ein Widerspruch in sich; man könnte mit ihnen zunächst gar nichts anfangen, sie allenfalls erst nach langen Monaten verwenden, wenn der Kriegsindustrie die Herstellung des Materials gelungen wäre. Die Schweiz insbesondere, ohne erhebliche Kriegsindustrie und Rohstoffe, könnte sich niemals auf eine Beschränkung ihres an sich schon kärglichen und für die Mobilmachung unentbehrlichen, matériel stocké4 einlassen.
Es sei im übrigen nochmals darauf hingewiesen, dass auch der Antrag Chinas auf Abschaffung des obligatorischen Militärdienstes ausdrücklich Miliztruppen mit kurzer Ausbildungsdauer nicht treffen will. (Vgl. das Protokoll der Sitzung vom 27.4.29, Seite 124).»
Wir teilen die Auffassung der Generalstabsabteilung und können damit feststellen, dass, wenn die internationale Abrüstungsfrage im Völkerbund auf den bisherigen Grundlagen behandelt wird, sie die Schweiz und unsere Verhältnisse kaum berührt. Wir werden jedoch nie übersehen dürfen, dass damit die interne Abrüstungsfrage für uns nicht erledigt ist.Schliesslich möchten wir noch auf folgendes aufmerksam machen:
Aus dem Bericht über die vom Völkerbund seit der letzten Session geleistete Arbeit, Dokument A 6.29, Seite 18, Ziff. 7 B, geht hervor, dass der Vertreter Spaniens erklärt hat, Spanien würde die Schaffung einer internationalen Luftflotte sehr begrüssen. Der Bericht fügt bei, dass, da ein formeller Antrag nicht vorliege, von der Erklärung der spanischen Delegation lediglich Akt genommen werde, ln dem Protokoll über die Verhandlungen der Abrüstungskommission (Dokument C. 195 M. 74, 1929, IX, Seite 113 unter Ziff. 39) ist dann aber gesagt, dass der spanische Delegierte als Stationierungsort Genf bezeichnet hat. Er hat ausdrücklich beigefügt, er sei sicher, dass mehrere Regierungen bereit wären, freiwillig Flugzeuge nach Genf zu schicken, welche zur Verfügung des Völkerbundsrates stehen und ablösungsweise ersetzt würden. Wir haben in unserm Schreiben vom 25. Juni4 Ihre Auffassung geteilt, dass die Schweiz an der Aufstellung internationaler Streitkräfte nicht mitwirken könne, ohne mit den überlieferten Grundsätzen ihrer Neutralität in Widerspruch zu geraten. Aus der gleichen Erwägung ergibt sich, dass wir uns auch einer Stationierung der internationalen Luftflotte in der Schweiz widersetzen müssen. Hierauf die schweizerische Delegation in der nächsten Völkerbundsversammlung aufmerksam zu machen, möchten wir nicht verfehlen.