Darin: Aufzeichnung Dinicherts über seine Unterredung mit Pignatti. Dinichert gibt Erklärungen zur Ausweisung Signoris. Annex vom 19.9.1928
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 429
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.19-01#1000/1718#2* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.19-01(-)1000/1718 1 | |
Dossier title | Relations politiques italo-suisses (1928–1928) | |
File reference archive | I.C4 |
dodis.ch/45446
Der Chef der Abteilung für Auswärtiges des Politischen Departementes, P. Dinichert, an den schweizerischen Geschäftsträger in Rom, T. von Sonnenberg1
Wir beehren uns, den Empfang Ihrer beiden Schreiben vom 19. d.M.2 betreffend die Angelegenheit Cesare Rossi zu bestätigen und haben mit grossem Interesse von Ihren aufschlussreichen Mitteilungen Kenntnis genommen; ebenso sind uns Ihre Telegramme vom 19. dies3 am selben Tage zugegangen.
Wir haben Ihrem letzten Schreiben mit Genugtuung entnommen, dass Ihrer Unterredung mit dem Unterstaatssekretär des Aussenministeriums, Herrn Grandi, jede Schärfe fehlte und somit die Hoffnung begründet ist, dass die schwebenden Angelegenheiten zwischen der Schweiz und Italien, welche die öffentliche Meinung der beiden Länder in gespannter Erwartung und Aufregung halten, auch seitens der italienischen Regierung mit Ruhe und der nötigen Objektivität geprüft und behandelt werden. Wir legen unsererseits den grössten Wert darauf, dass diese Atmosphäre, welche allein ein gegenseitiges Verständnis ermöglicht, den im Gange befindlichen Verhandlungen gewahrt bleibe, und dass alles vermieden werde, was die bestehende Empfindlichkeit schüren könnte.
Wir billigen Ihre in der sehr delikaten Situation anfangs dieser Woche unternommenen Schritte durchaus und sind Ihnen dankbar, dass Sie die Würde unseres Landes mit Entschiedenheit und doch der gebotenen Vorsicht gewahrt haben. Wir begrüssen es, dass Ihre Unterredung mit dem Kabinettschef des Ministerpräsidenten den gewünschten Erfolg hatte, was darauf schliessen lässt, dass die italienische Regierung grundsätzlich wohl zu einem Entgegenkommen geneigt ist. Ihre an die Mitteilung über das Gespräch mit Herrn Mameli geknüpften Betrachtungen über den geistigen Zustand der Presse und der öffentlichen Meinung haben unsere ganz besondere Beachtung gefunden. Wir haben nicht verfehlt, Ihre Zuschrift sofort an den in Genf weilenden Departements vor Steher weiterzuleiten und behalten uns vor, darauf zurückzukommen, nachdem Herr Bundesrat Motta davon Kenntnis nehmen konnte.
Es war ebenso unser Bemühen, auf die schweizerische Presse in beruhigendem Sinne und aufklärend einzuwirken und dem Aufkommen von Missdeutungen vorzubeugen; übrigens haben sich die massgebenden Organe der schweizerischen Presse bei Besprechung der Angelegenheit Rossi und der Ausweisung italienischer Spitzel der grössten Objektivität bemüht.
Was insbesondere die Frage der Opportunität der über die Bundesratssitzung vom 12. d.M. herausgegebenen Communiqués betrifft, möchten wir daraufhinweisen, dass angesichts des begreiflicherweise ziemlich erregten Zustandes der öffentlichen Meinung, wie aus den Stimmen der Presse hervorging, und mit Rücksicht auf den Zusammentritt der Bundesversammlung anfangs dieser Woche eine offizielle Äusserung kaum weiter aufschiebbar war, umsomehr als angesichts der nur allmählich erhältlichen Ergebnisse der durch die tessinische Polizei durchgeführten Untersuchung eine Mitteilung über die Stellungnahme des Bundesrates zum Falle Rossi vorher nicht möglich gewesen ist. Übrigens entnehmen wir Ihren Ausführungen, dass auch der italienischen Regierung bekannt war, dass nach vorläufigem Abschluss der Untersuchung ein offizieller Schritt des Bundesrates zu gewärtigen sei. Das Communiqué über den Fall Rossi konnte daher nur von beruhigendem Einflüsse sein und im Sinne einer Entspannung wirken. Um indessen jede überflüssige Diskussion der Geschehnisse und Erörterung der offiziell der italienischen Regierung bekannt gegebenen Ergebnisse der Untersuchung zu vermeiden, haben wir von einer Veröffentlichung des Wortlauts der durch Ihre Gesandtschaft übergebenen Note oder auch nur einer blossen Bekanntgabe des Inhalts abgesehen, bis das Parlament sich mit den Angelegenheiten befasst haben wird; die Beantwortung der im Nationalrat eingereichten Interpellationen dürfte voraussichtlich am 27. d. M. stattfinden4.
Wir fügen diesem Schreiben eine Niederschrift über die Besprechung des Unterzeichneten mit dem italienischen Gesandten in Bern5 bei und haben zum Verständnis der darin berührten Punkte noch folgendes zu bemerken.
Die Einvernahme der in Kanton Tessin verhafteten Spitzel und die Beschlagnahmung von Schriftstücken haben ergeben, dass wenigstens die ausgewiesenen Agenten Vezzari und Vernizzi unter den direkten Weisungen des Vizekonsuls Signori, Vorsteher des Passbureaus der italienischen Gesandtschaft, gearbeitet haben. Eine zusammenfassende Notiz über das vorläufige Ergebnis der polizeilichen Einvernahme hoffen wir Ihnen morgen übersenden zu können. Immerhin darf als feststehend erachtet werden, das Signori Aufträge für die Einholung von Informationen erteilt hat, die sich nicht nur auf italienische fuorusciti, sondern auch auf schweizerische Staatsangehörige und Angehörige anderer Staaten bezogen haben. Unsere definitive Stellungnahme hinsichtlich des weitern Verbleibens Signoris in der Schweiz wird davon abhängig gemacht werden müssen, ob die weitere Untersuchung die belastenden Aussagen Vezzaris und seiner Komplicen, auf die unser Verlangen bis dahin allein gestützt werden konnte, bekräftigen und allenfalls weiteres Material zu Tage fordern wird.
- 1
- Schreiben: E 2200 Rom 18/1. Paraphe: RD.↩
- 2
- Nr. 428 und E 2001 (C) 1/61.↩
- 3
- E 2001 (C) 1/61.↩
- 4
- Vgl. Behandlung der Interpellationen Maunoir, Zeli und Schmid vom 17.9.1928, in: NR-Protokoll vom 27.9.1928 (E 1001 (C) d 1/270, S.520ff.) und des Postulats Gräber vom 17.9.1928, in: NR-Protokoll vom 28.9.1928 (E 1001 (C) d 1/270, S.598ff.).↩
- 5
- Als Annex abgedruckt.↩
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Italy (Others)
Border incidents in Ticino (1925–1929)