dodis.ch/45405 Aufzeichnung der deutschen Gesandtschaft in Bern
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AUFZEICHNUNG
Die von dem deutschen Reichsaussenminister am 23. September 1927 in Genf abgegebene Erklärung zu der fakultativen Bestimmung gemäss Artikel 36 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes hat durch das «Gesetz über die Anrufung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag» vom 17. Februar 1928 für Deutschland Gesetzeskraft erlangt. Durch Artikel 2 dieses Gesetzes wird die Reichsregierung ermächtigt, Massnahmen zu treffen, durch die in Abänderung der bereits bestehenden allgemeinen Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge die Gerichtsbarkeit des Haager Gerichtshofes für alle in Artikel 36, Absatz 2 des Statuts aufgeführten Arten von Streitigkeiten begründet oder ausgedehnt wird.
Nach Auffassung des Auswärtigen Amts enthält dieser Artikel nicht eine Ermächtigung, die bestehenden Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge durch vollkommen neue Verträge zu ersetzen. Artikel 2 ermöglicht vielmehr nur die Abänderung und Ergänzung der bestehenden Verträge.
Für den deutsch-schweizerischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag vom 3. Dezember 1921 käme nach Auffassung der Deutschen Regierung eine Abänderung in doppelter Richtung in Frage, nämlich:
1. die Streichung des Artikels 4 des Vertrages und
2. die Vereinbarung einer Bestimmung, wonach mangels einer Verständigung über die Schiedsordnung solche Streitigkeiten, die nach dem Vertrag dem schiedsgerichtlichen Verfahren unterliegen, durch Antrag einer Partei einen Monat nach Ankündigung an die andere Partei unmittelbar vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof gebracht werden können. Eine solche Bestimmung ist auch in den Locarno-Verträgen enthalten.
Abgesehen von diesen rechtlichen Erwägungen, die einer Ersetzung des bisherigen deutsch-schweizerischen Vertrages durch einen völlig neuen Vertrag entgegenstehen, sprechen für Deutschland auch Gründe allgemein rechtspolitischer Art gegen eine Änderung der Gesamtgrundlage. Der deutsch-schweizerische Vertrag ist der erste und eingehendste von allen von Deutschland abgeschlossenen Verträgen dieser Art. Von deutscher Seite ist dem Vertrag stets eine besondere Bedeutung beigemessen worden, die auch durch die nur in der Präambel dieses Vertrages vorgesehene Grenzgarantie ihren Ausdruck findet.
Falls die Bundesregierung ihre endgültigen Entschliessungen so lange zurückstellen will, bis die Beratungen des Sicherheitskomitees über die Aufstellung neuer Muster von Schiedsgerichts- und Vergleichsverträgen einen gewissen Abschluss gefunden haben, ist die Deutsche Regierung hiermit selbstverständlich einverstanden. Im übrigen ist die Reichsregierung zu einer Abänderung und Ergänzung des Vertrages in den oben aufgezeigten Grenzen, die am zweckmässigsten wohl durch ein Protokoll vorzunehmen wäre, jederzeit bereit.