Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
8. Völkerbundssitz
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 9, doc. 324
volume linkBern 1980
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2001C#1000/1535#575* | |
Titolo dossier | Réduction des armements: Généralités (1925–1931) | |
Riferimento archivio | B.56.13.2 |
dodis.ch/45341
Wir beehren uns auf Ihre beiden Schreiben vom 1. April 19272, und vom 3. dies3, betreffend die bei den Organen des Völkerbundes in Prüfung befindliche Frage der radiotelegraphischen Verbindung ihres Sitzes in Genf mit der Aussenwelt folgendes zu antworten:
Die Errichtung einer eigenen drahtlosen Telegraphiestation des Völkerbundes auf schweizerischem Gebiet wäre, wie auch Ihnen selbstverständlich nicht entgangen ist, höchlich geeignet, zu schweren grundsätzlichen Konflikten zwischen der Souveränität der Schweiz und der Exterritorialität des Völkerbundes zu führen, insbesondere wenn diese Station auf eigenem Grundstücke des Völkerbundes erstellt oder von eigenem Personal desselben betrieben würde (Art. 7 des Völkerbundsvertrages). Wir halten deshalb dafür, dass in allererster Linie die Errichtung bezw. der Betrieb einer dergestalt gedachten Station schweizerischerseits mit aller Entschiedenheit zu verhindern gesucht werden muss. Zu Hülfe kommen uns hiebei vor allem die von den verschiedenen begutachtenden schweizerischen Stellen (eidg. Post- und Eisenbahndepartement, Direktion der Marconi-A.G. in Bern und Waffenchef des Genie) hervorgehobenen technischen und finanziellen grossen Schwierigkeiten, die sich der Einrichtung einer eigenen Funkenstation des Völkerbundes entgegenstellen. Sodann bietet, wie diese Begutachtungen hervorheben, die Schweiz mit ihren radiotelegraphischen sowie drahtlichen Telegraph- und Telephoneinrichtungen dem Völkerbunde die vollständige Möglichkeit, schnell und gut mit der Aussenwelt zu verkehren, sodass er einer besondern Station gar nicht bedarf, was in geeigneter Weise ebenfalls geltend zu machen sein wird. Soweit es sich diesbezüglich noch um die Vervollkommnung letzterer bestehender Verkehrseinrichtungen und die Vorbereitung ihres nutzbringenden Gebrauches handelt, werden sich die Organe des Völkerbundes mit den schweizerischen zuständigen Amtsstellen ins Einvernehmen zu setzen haben; sie werden, wie aus dem Berichte des eidg. Eisenbahndepartements vom 26. Februar. 1927 hervorgeht4, selbstverständlich bei den schweizerischen Stellen das nötige Verständnis für die Bestrebungen des Völkerbundes finden, die dahingehen, insbesondere in Krisenzeiten über möglichst rasche und sichere Verbindungen verfugen zu können.
Für den Fall jedoch, dass die Völkerbundsorgane sich dennoch von ihrem Gedanken an die Einrichtung einer eigenen Funkenstation in Genf nicht abbringen lassen sollten, wird schweizerischerseits, wie bereits von Ihnen hervorgehoben wird, diesem Vorhaben gegenüber bestimmt Stellung genommen werden müssen. Sie haben dabei hervorgehoben, dass eine solche Einrichtung für uns sowohl hinsichtlich der Ausübung unserer Neutralität, als auch hinsichtlich der Landesverteidigung in Betracht kommt, und auf die Ausführungen des Bundesrates in seiner Botschaft betreffend die Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund, vom 4. August 1919 (Bundesblatt 1919, IV, S. 609 & ff.) verwiesen, die das Verhältnis des Völkerbundssitzes in Genf zu unserer Neutralität zum Gegenstände haben.
Wir halten nun bestimmt dafür, dass, sobald es sich um eine Aktion des Völkerbundes (Art. 16 und 17 des Paktes) handelt, der letztere vom Standpunkte der schweizerischen Neutralität aus als kriegführende Macht zu betrachten ist und dass der Völkerbund hieraus die Konsequenzen zu ziehen hat. Er ist daher den Bestimmungen von 3 des Haager-Abkommens betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges, vom 18. Oktober 1907, unterworfen, und dies setzt voraus, dass er als Kriegführender während seiner Executionen auf die Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs angewiesen bleibt, über welche die Schweiz schon nach eigenem Rechte die Verfügungsgewalt behält. Letztere ist überdies nach dem gleichen Abkommen ihrerseits nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, den Kriegführenden die Benützung eigener, nicht-öffentlicher funkentelegraphischer oder anderer Verkehrseinrichtungen in solchen Fällen zu verbieten, was also auch vom Standpunkte des internationalen Rechts aus die Befugnis zur Kontrolle des Nachrichtendienstes voraussetzt. Der Gebrauch einer, seinen alleinigen Zwecken dienenden, exterritorialen, d.h. unserer Kontrolle entzogenen Funkenstation des Völkerbundes während einer seiner Aktionen darf somit von der Schweiz nicht zugelassen werden, auch wenn diese Station angeblich nicht ausschliesslich zu kriegerischen Zwecken verwendet werden wollte.
Wir haben sodann aber auch von unserem eigenen militärischen Standpunkte aus allen Grund, das Bestehen einer von der schweizerischen Kontrolle unabhängigen Funkenstation auf unserem Gebiete nicht zuzulassen. Wie schon von Ihnen angeführt wird, würde eine solche Station sich mit unserer Sicherheit absolut nicht vertragen, sobald die Schweiz selbst mit einem Kriege bedroht wird und daher zu Abwehrmassnahmen schreiten muss. Dieser Fall kann jederzeit unvermutet eintreten, auch bevor uns jemand, sei es der Völkerbund oder ein einzelner Staat, zu Hülfe kommt. Man denke sich nun, was das bedeuten würde, wenn von einer exterritorialen Funkenstation aus unsere militärischen und sonstigen Vorkehren ins Ausland und gar unserem Gegner mitgeteilt werden könnten, ohne dass wir hiegegen rechtzeitig einzuschreiten vermöchten. Diese Möglichkeit ist durchaus ins Auge zu fassen, indem die Verwaltung des Völkerbundes aus Personen verschiedenster Nationalitäten zusammengesetzt ist und unserer Befehlsgewalt nicht untersteht; der gute Wille der Leitenden dieser Verwaltung allein würde uns noch keine Gewähr dafür bieten, dass die Funkenstation insgeheim nicht doch zu unserem Schaden missbraucht würde. Da dieser Schaden, wenn man weiss, wie wichtig die Unterbindung eines feindlichen Nachrichtendienstes schon von Anfang einer Mobilmachung an ist, unter Umständen einen sehr bedeutenden Umfang annehmen könnte, so stellen wir die militärischen Interessen der Schweiz unbedingt ihren.Neutralitätspflichten noch voran, wo es sich hier um die Verhinderung einer mit unserer Sicherheit unvereinbaren Einrichtung handelt.
Wir gelangen demnach zum Schlüsse, dass, sofern der Völkerbund eine Funkenstation in Genf oder Umgebung auf schweizerischem Gebiet haben will, diese Station nur als eine öffentliche, den schweizerischen Gesetzen unterliegende eingerichtet und betrieben werden darf, so, dass sie der Kontrolle der schweizerischen Behörden allezeit und unbedingt unterstellt bleibt.
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