Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.2. Handelsvertragsverhandlungen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 313
volume linkBern 1980
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E1004.1#1000/9#12254* | |
Dossiertitel | Beschlussprotokoll(-e) 04.06.-07.06.1927 (1927–1927) |
dodis.ch/45330 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 7 Juni 19271 905. Handelsvertragsunterhandlungen mit Frankreich
Nachdem der Bundesrat in seiner Sitzung vom 31. Mai 1927 die Delegation2 bestimmt hat, die am 8. Juni die Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag mit Frankreich aufzunehmen hat, unterbreitet das Volkswirtschaftsdepartement seine Auffassung und seine Anträge über die der Delegation zu erteilenden Instruktionen.Durch Beschluss vom 12. April abhin3 ist das Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt worden, im Einvernehmen mit der bestellten Vorbereitungs-Kommission eine Liste der schweizerischen Begehren zum französischen Tarif aufzustellen und diese am 20. April der französischen Regierung zu überreichen. Diese schweizerische Begehrenliste wurde durch die Handelsabteilung zusammen mit dem Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins und dem Schweizerischen Bauernsekretariat ausgearbeitet und von der Vorbereitungs-Kommission mit einigen Abänderungen genehmigt. Trotzdem man sich bestrebt hat, nur die wichtigsten Begehren aufzunehmen und nur da Zollherabsetzungen zu verlangen, wo die entsprechenden schweizerischen Zölle wesentlich niedriger sind als die Ansätze des neuen französischen Tarifentwurfs, ist die Liste doch recht umfangreich geworden und enthält eine grosse Anzahl von Begehren um beträchtliche Herabsetzung der französischen Zölle. Sie kann auch unmöglich als definitiv angesehen werden, und es ist bei ihrer Übergabe an die französische Regierung ausdrücklich der Vorbehalt angebracht worden, dass sie unter Umständen einige Abänderungen, aber auch Ergänzungen erfahren müsse. Der Grund zu diesem Vorbehalt liegt darin, dass es angesichts des ausserordentlichen Umfanges und der Kompliziertheit des neuen französischen Tarifentwurfes einerseits und der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit anderseits vollständig ausgeschlossen war, bei der Aufstellung der schweizerischen Wunschliste die wirtschaftlichen Fachorganisationen und die einzelnen Firmen zur Vernehmlassung einzuladen. Unterdessen sind nun aber sowohl beim Vorort als direkt beim Departement zahlreiche Begehren solcher Organisationen und Firmen eingelangt, die wenigstens teilweise noch berücksichtigt werden müssen. Die schweizerische Delegation wird deshalb unter allen Umständen noch eine Nachtragsliste einzureichen haben. Diese wird gegenwärtig ausgearbeitet, kann aber vor der Abreise der Delegation nach Paris kaum fertiggestellt werden. Nachdem die eingelangten Nachtragsbegehren schon beim Vorort und dann auch bei der Handelsabteilung einer sorgfältigen Sichtung unterzogen worden sind, darf man es der schweizerischen Delegation überlassen, die Nachtragsliste in Paris endgültig zu bereinigen und der französischen Delegation zu überreichen.
Die allgemeinen Instruktionen hinsichtlich dieser schweizerischen Begehren zum französischen Tarif werden dahin lauten müssen, es seien die Forderungen nach Möglichkeit durchzusetzen und jedenfalls für wichtige schweizerische Exportprodukte wesentlich höhere als die in der Begehrenliste vorgeschlagenen Zollansätze ohne ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates nicht anzunehmen. Es ist selbstverständlich Pflicht der schweizerischen Delegation, sorgfältig darauf Bedacht zu nehmen, nicht auf die Begehren einzelner schweizerischer Industriegruppen zum Nachteil anderer, ebenso wichtiger, éin allzugrosses Gewicht zu legen, sondern dafür zu sorgen, dass die Interessen aller für den Export nach Frankreich wichtigsten Hauptproduktionsgruppen gleichmässig berücksichtigt werden.Anlässlich der Wirtschaftskonferenz in Genf hat der Chef der französischen Delegation Herrn Direktor Stucki die französische Begehrenliste überreicht. Es werden darin für 123 Positionen des gegenwärtigen schweizerischen Gebrauchstarifes Bindungen der heutigen Ansätze und für 52 Positionen Reduktionen verlangt. Das Volkswirtschaftsdepartement hat diese Begehrenliste vor einigen Tagen mit der Vorbereitungs-Kommission sehr eingehend besprochen und bemerkt, in Übereinstimmung mit ihr, folgendes:
Nachdem schon heute das Niveau des französischen Zolltarifs dasjenige des schweizerischen bedeutend übersteigt, das französische aber gemäss dem neuen Entwurf gewaltig erhöht werden soll, und nachdem heute schon die schweizerisch-französische Handelsbilanz für unser Land ausserordentlich ungünstig ist, kann es sich selbstverständlich unter keinen Umständen darum handeln, die auf dem französischen Tarifentwurf verlangten und eventuell zugestandenen Ermässigungen durch entsprechende Reduktionen auf dem schweizerischen Gebrauchstarif zu kompensieren. Es ist aber für die schweizerische Delegation auch weder möglich noch zweckmässig, die Verhandlungen in der Hauptsache auf Grund des provisorischen Generaltarifs vom 5. November 1925 zu führen, da dieser seine Wirksamkeit in den Verhandlungen mit Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei fast vollständig eingebüsst hat und in der grossen Mehrzahl seiner Positionen durch diese Verträge heute schon gebunden ist. Was jener provisorische Generaltarif der Schweiz an Kampfpositionen gegenüber Frankreich noch übrig lässt, genügt unter keinen Umständen für die bevorstehenden, so ausserordentlich schwierigen Verhandlungen. Auch die Ausarbeitung eines neuen speziell auf die schweizerisch-französischen Verhältnisse zugeschnittenen provisorischen Generaltarifs ändert infolge der zahlreichen Bindungen mit den oben erwähnten drei Staaten, namentlich aber auch mit Italien und Spanien, an dieser ungünstigen Situation wenig. Es muss unter diesen Umständen zum vornherein auf die Idee verzichtet werden, im Falle des Scheiterns der Verhandlungen durch eine allgemeine und allen Ländern gegenüber durchzuführende Erhöhung der bei uns nicht gebundenen Zölle antworten zu können. Der Kampf kann nicht auf diese Weise geführt werden, sondern einzig auf dem Boden der Meistbegünstigung: Entweder gibt Frankreich durch zahlreiche und wesentliche Ermässigungen dem schweizerischen Export die Möglichkeit, den französischen Markt wenigstens einigermassen zu bewahren, dann muss die Schweiz im allgemeinen den französischen Waren den heutigen niedrigen Gebrauchs-Konventionaltarif und die volle Meistbegünstigung geben; oder aber, die Verhandlungen führen infolge ungenügenden Entgegenkommens auf den französischen Zöllen zum Bruch, dann kann die Schweiz einzig und allein durch differenzielle Behandlung der französischen Produkte, d.h. durch Verweigerung der Meistbegünstigung, den nötigen Druck ausüben. Über diese allgemeine Richtlinie herrscht in der vorbereitenden Kommission volle Einstimmigkeit, und das Departement ist mit ihr der bestimmten Auffassung, dass die Verhandlungen auf dieser Grundlage zu führen sind. Es führt dies im einzelnen zu nachstehenden Schlussfolgerungen:
a) Die schweizerische Delegation soll erklären, dass die Schweiz im allgemeinen bereit sei, den französischen Waren den bisherigen sehr bedeutenden schweizerischen Markt durch Gewährung der Meistbegünstigung und Bindung der grossen Mehrzahl der Frankreich besonders interessierenden Zollansätze zu sichern. Sie könne dies aber selbstverständlich nur unter der bestimmten Voraussetzung tun, dass die Ansätze der Minimalkolonne des französischen Tarifentwurfs so weitgehend ermässigt werden, dass mindestens der gegenwärtige schweizerische Export ungefähr aufrecht erhalten werden kann.
b) Dementsprechend und unter den genannten Bedingungen könne den französischen Wünschen auf Bindung der Positionen des schweizerischen Gebrauchstarifs entsprochen werden, immerhin mit einigen Ausnahmen, wo besondere Verhältnisse vorliegen, nämlich:
Die Bindung ist, wenigstens vorläufig, abzulehnen für: frische Tafelbutter, Weichkäse, Kunstseide und Automobile.
Wenn auch diese Waren bereits, namentlich im Vertrag mit Italien, gebunden sind, so handelt es sich doch entweder um so ausserordentlich niedrige Zölle, dass über kurz oder lang eine gewisse Erhöhung unumgänglich wird, oder dann um Positionen, deren nochmalige Bindung gegenüber Frankreich unsere Stellung hinsichtlich der Notwendigkeit, den Vertrag mit Italien zu verbessern, allzusehr schwächen würde. Dagegen besteht kein Grund, dass die schweizerische Delegation nötigenfalls die Verpflichtung eingehen könnte, gewisse Maximalansätze nicht zu überschreiten, nämlich
für Butter | Fr. 40.-, |
„ rohe Kunstseide | „ 100.-, |
„ Automobile | „ 200.-. |
c) Abgesehen von diesen unter b erwähnten Ausnahmen kann ohne weiteres den französischen Wünschen nach Bindung der Ansätze überall da entsprochen werden, wo die betreffenden Positionen schon durch andere Verträge gebunden sind. Auch die übrigen Forderungen sind zu erfüllen, wobei es aber der Delegation überlassen bleibt, das Zugeständnis der Bindung bei einzelnen wenigen Positionen, namentlich für gewisse Baumwollgarne und -Gewebe und gewisse Seidenartikel, zunächst noch von einer befriedigenden Regelung der entsprechenden schweizerischen Wünsche abhängig zu machen. Hiebei muss aber unter allen Umständen vermieden werden, bei der französischen Delegation den Eindruck zu erwecken, als ob der Entwurf zur französischen Minimalkolonne einerseits und der schweizerische Gebrauchstarif anderseits als gleichwertige Verhandlungsgrundlagen anerkannt werden können. Die Schweiz wird viel mehr immer und immer wieder darauf hinweisen müssen, dass sie ihre gegenwärtigen, für Frankreich so ausserordentlich günstigen Zollverhältnisse nur dann weiterbestehen lassen könne, wenn für die wichtigsten schweizerischen Exportprodukte der französische Markt geöffnet werde.
d) Angesichts der geschilderten Verhältnisse können wesentliche Ermässigungen des schweizerischen Gebrauchstarifs nicht in Frage kommen. Die bezüglichen Begehren sind deshalb abzulehnen, mit Ausnahme der Position 1044, Kupfervitriol, wo eine Ermässigung von Fr. 8.- auf Fr. 7 - angetragen werden kann und der Position 1055a, Kastanienextrakt, wo der Zoll von Fr. 5.- auf Fr.4herabgesetzt werden darf. Weitere Reduktionen sind in der ersten Phase der Verhandlungen nicht zu bewilligen.
e) Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit und Wichtigkeit der Verhandlungen und die leichte Möglichkeit von Paris nach Bern zu kommen, ist der schweizerischen Delegation zu empfehlen, nach einer ersten, eventuell zweiten Lesung zur mündlichen Berichterstattung zurückzukommen, Fühlung mit der vorbereitenden Kommission zu nehmen und, wenn nötig, neue Instruktionen des Bundesrates einzuhoBekanntlich sind die allgemeinen Bestimmungen des schweizerisch-französischen Handelsvertrages von 20. Oktober 19064 heute noch in Geltung, können aber jederzeit auf drei Monate gekündigt werden. Es wird selbstverständlich nötig werden, auch diesen allgemeinen Vertragstext einer Revision zu unterziehen und ihn zu modernisieren. Dies gilt insbesondere für die Frage der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, wo die jetzige Regelung den schweizerischen Interessen auf die Dauer nicht gerecht wird. Da die für die Verhandlungen zur Verfügung stehende Zeit aber ausserordentlich kurz ist, so wird es unmöglich sein, noch alle diese zahlreichen und zum Teil schwierigen Fragen neu zu ordnen.
Die schweizerische Delegation wird sich deshalb vorläufig auf die Frage der Tarifabreden beschränken, über diese jedoch nur im Sinne eines Provisoriums verhandeln, um einen neuen langfristigen Vertrag erst als Gesamtheit eines neuen Textes und der getroffenen Tarifabmachungen gleichzeitig in Kraft treten zu lassen. Sollte die französische Delegation aus irgendeinem Grunde prinzipiell diesem Vorschlag nicht zustimmen können, so hätte die schweizerische Delegation zu berichten und neue Instruktionen zu verlangen.
Dass die bevorstehenden Besprechungen in keiner Weise die Zonenangelegenheit in ihrer weitesten Bedeutung erfassen dürfen, ohne dass seitens des Bundesrates ausdrückliche und präzise Instruktionen erteilt werden, ist wohl ohne weiteres selbstverständlich.
Es wird beschlossen:
Von diesen Ausführungen wird in genehmigendem Sinne Kenntnis genommen und der bezügliche Protokollauszug wird den schweizerischen Unterhändlern als Instruktion übergeben.
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