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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 9, doc. 281
volume linkBern 1980
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001C#1000/1531#1089* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(C)1000/1531 59 | |
Titre du dossier | Vortrag von Oberst Wille in Zürich (1927–1927) | |
Référence archives | B.46.012 • Composant complémentaire: Italien |
dodis.ch/45298
Aus mehreren Berichten des Herrn Minister Wagnière in Rom ersehen wir, dass auch ihn die Erörterungen, die sich an den Vortrag des Obersten Wille geknüpft haben, stark beschäftigen und ihm auch nachträglich noch Ungelegenheiten verursachen. Es ist deswegen vielleicht nicht unangebracht, wenn wir Ihnen zu Händen der Gesandtschaft in Rom den Sachverhalt, wie wir ihn haben feststellen können, mitteilen.
In erster Linie weisen wir darauf hin, dass es sich um einen Vortrag in der Offiziersgesellschaft des Kantons Zürich gehandelt hat, also um einen Vortrag in einer geschlossenen Gesellschaft, zu der nur Offiziere Zutritt hatten und tatsächlich auch nur solche anwesend waren. Die Vorträge in diesem Verein sind der Übung gemäss nur für die Teilnehmer bestimmt, und wenn sie veröffentlicht wurden, so geschah das bis dahin nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Vortragenden. Die Berichterstattung im vorliegenden Fall ist ohne Zutun des Obersten Wille erfolgt2
. Er erklärt selber, dass er sie bedaure; wir glauben ihm das gern schon deswegen, weil sie, wie wir uns haben überzeugen können, den Inhalt des Vortrages ganz unvollständig und zum Teil geradezu falsch wiedergibt.
Wenn man den Ort und die Zuhörer in Betracht zieht, so begreift man auch ohne weiteres den Inhalt des Vortrages. In einer so rein militärischen Umgebung ist es ganz natürlich, dass über militärische Fragen gesprochen wird, und es geht dabei, wie es auf ändern Gebieten auch oft vorkommt, dass nämlich im Munde des Fachmannes manches ganz natürlich sich darstellt, was unter ändern Umständen als gefährlich oder doch als unnötig erscheinen könnte.
In Bezug auf den Inhalt des Vortrages ist festzustellen, dass er nichts enthält, was als eine Beleidigung der italienischen Armee angesehen werden könnte, es sei denn, dass schon die Äusserung der Zuversicht, wir könnten in der Verteidigung standhalten, als eine solche Beleidigung angesehen würde. Der italienische Militärattache hat dem Unterzeichneten gegenüber in der Tat Miene gemacht, diesen Standpunkt zu vertreten. Auf den Hinweis, dass jede anständige Armee auf Erfolg in einem allfälligen Kriege rechne, hat er seine Ansicht fallen lassen und zugegeben, dass dem so sei. Mit vollem Recht, denn sonst könnte schliesslich uns der Bestand unserer Armee überhaupt zum Vorwurf gemacht werden.
Eine Wendung, welche für die italienische Armee nicht gerade anerkennend lautet, ist im Anschluss an den Vortrag Wille in der Nationalzeitung erschienen. Von wem sie stammt, ist uns unbekannt, jedenfalls ist Oberst Wille daran in keiner Weise beteiligt. Ein Korrespondent jener Zeitung hat uns mitgeteilt3, der in Frage stehende Artikel sei der Aufmerksamkeit des verantwortlichen Redaktors entgangen und die unvorsichtige Äusserung werde richtiggestellt werden. Wir sind dem betreffenden Korrespondenten in der Abfassung einer bezüglichen Erklärung behülflich gewesen und glaubten annehmen zu dürfen, dass wir damit alles getan haben, was in unserer Macht steht.
Von dem, was Oberst Wille gesagt hat, sind zwei Äusserungen uns gegenüber von italienischer Seite als anfechtbar hervorgehoben worden. Die eine war die, in der von einem Krieg mit Italien und unserm Verhalten in einem solchen Fall gesprochen wurde; die zweite betraf den Wert des Völkerbundes, des Gerichtshofes in Haag und der Schiedsverträge.
Was nun die erste dieser Äusserungen anbetrifft, diejenige in Bezug auf einen Krieg mit Italien, so hat es damit folgende Bewandtnis: Oberst Wille wollte seinen Zuhörern begreiflich machen, dass allerdings entsprechend unserer Politik unsere Armee nur zur Abwehr bestimmt sei und ein Angriffskrieg für sie nicht in Frage komme. Deswegen müsse sie aber gleichwohl in allen Kampfarten ausgebildet sein und sowohl im Stellungskrieg als in der Bewegung zur Verteidigung und zum Angriff sich eignen. In einem allfälligen Krieg gegen Italien sei in der Hauptsache mit der Verteidigung zu rechnen. In einem Krieg mit Frankreich dagegen könne unsere Armee nicht einfach eine bestimmte Linie besetzen und sich dort behaupten, sondern sie werde gegebenen Falles zum Angriff übergehen und durch grössere oder kleinere Vorstösse den Vormarsch des Gegners verhindern müssen. Davon, dass der Kampf gegen Frankreich schwerer sein werde mit Rücksicht auf den Wert der französischen Armee im Vergleich zu demjenigen der italienischen, ist kein Wort gesagt worden. Die soeben erwähnten Ausführungen haben also rein militärtechnische Bedeutung. Wenn dabei der Krieg nach bestimmten Fronten erwähnt worden ist, so ist das nicht deswegen geschehen, weil Oberst Wille dem einen oder dem ändern Nachbarn eine Kriegsabsicht zuschieben wollte, sondern weil er mit Fällen rechnete, wie sie praktisch für uns eintreffen können. Wir glauben nicht, dass ihm daraus ein Vorwurf zu machen sei. Wir haben z.B. die Manöver der 3. und der 4. Division, die letztes Jahr stattgefunden haben, auf der Grundlage durchgeführt, dass wir uns mit schwachen Kräften gegen den Angriff eines unserer Nachbarn verteidigen müssen. Im einen Fall war es Frankreich, das uns auf der Linie Vallorbe-Basel angegriffen hatte und tief in unser Land vorgedrungen war, im ändern Fall Deutschland, von dem angenommen wurde, dass es unter ähnlichen Verhältnissen zwischen Basel und Konstanz unsere Grenze überschritten habe. Wir wissen wohl, dass alle derartigen Annahmen nicht ohne Gefahr sind, aber schliesslich müssen wir mit den Verhältnissen rechnen, wie sie sind. Es tut das übrigens jede Armee, ohne dass die Fachleute daran etwas auszusetzen haben.
Die zweite beanstandete Äusserung betreffend die Bedeutung des Völkerbundes und der Schiedsverträge missbilligen wir ebenfalls und haben das dem Obersten Wille in unzweideutiger Weise gesagt. Wenn aber in dieser Hinsicht jemand Grund hat, unzufrieden zu sein, so ist es der Bundesrat, gegen dessen Politik sich jene Bemerkung wendet. Sie ist in einem gewissen Sinn das Gegenstück zu der ebenso falschen Behauptung, wir hätten nach Gründung des Völkerbundes und Abschluss der Schiedsverträge keine Armee mehr notwendig.
Wir glauben aber nicht, dass deswegen eine Beschwerde eines Staates gerechtfertigt sei, mit dem wir einen Schiedsvertrag abgeschlossen haben.
Der Wert dieser Verträge ist bekanntlich bestritten. Es finden sich in allen Ländern Leute, die ihnen jede Bedeutung absprechen, andere warnen vor Überschätzung. Tatsächlich wird überall neben diesen Verträgen an der Aufrechterhaltung der Landesverteidigung weiter gearbeitet. Wie sich Italien dazu stellt, geht aus dem hervor, was der Ministerpräsident am 29. Januar 1926 in der Kammer gesagt hat: «La nostra pace più sicura sarà all’ombra delle nostre spade.» Gleichen Inhalts ist eine für die Öffentlichkeit bestimmte Äusserung des Herrn Briand aus allerjüngster Zeit: «Sachons organiser nous-mêmes notre propre armée et notre propre frontière. Les conditions de notre sécurité ne sont pas ailleurs que chez nous. C’est à nous de savoir les réaliser.» Wenn man denkt, dass diese Aussprüche von verantwortlichen Staatsmännern herstammen und als der Ausdruck der von ihnen verfolgten Politik anzusehen sind, so wird man kaum sagen dürfen, dass der für das Verhalten seines Landes durchaus nicht verantwortliche Oberst Wille mit seinem Urteil wirklich einen fremden Staat hat verletzen können.
Anders steht es allerdings in Bezug auf unsere eigenen schweizerischen Verhältnisse. Unsere Politik stützt sich kurz ausgedrückt auf das Recht einerseits, die Armee andererseits. Wer der Berufung auf das Recht jede Bedeutung abspricht, tadelt damit unser Verhalten. Dieser Tadel geht in erster Linie gegen die verantwortlichen Behörden, vorab den Bundesrat. Wir haben den Obersten Wille nicht in Zweifel darüber gelassen, wie unpassend und gefährlich seine Behauptungen in dieser Hinsicht seien. Gerade wir als kleines Land hätten allen Anlass auf dem Gebiete des Rechtes alle diejenigen Stützen zu suchen, die dort zu finden seien. Im Notfall würden ja unsere Kräfte im Kampfe mit einer benachbarten Grossmacht niemals ausreichen. Wir müssten daher die Hülfe, die uns ein Schiedsvertrag, die diplomatische oder wirtschaftliche Unterstützung eines befreundeten Staates, die öffentliche Meinung der Welt und ähnliche Dinge mehr geistiger Art leisten könnten, hoch einschätzen und sorgsam vorbereiten. Ein Widerspruch zwischen unserer Politik der Schiedsverträge und der Pflege freundschaftlicher Beziehungen mit allen Ländern einerseits und der Fürsorge für unsere Landesverteidigung andererseits bestehe nicht.
Wir hoffen, dass unsere daherigen Darlegungen ihren Zweck erreicht haben. Wir sehen aber diesen Punkt als unserer innern Politik angehörend an und glauben wie gesagt nicht, dass er einem fremden Staat berechtigten Anlass zu Beschwerde geben könnte.
Natürlich bedauern wir den ganzen Vorfall und seine Folgen aufrichtig. Die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Zeit sind so gross, dass es durchaus unnötig ist, sie auf die Weise, wie es durch den Vortrag des Obersten Wille geschehen ist, zu vermehren. Wir haben aber kein Mittel in der Hand, eine Wiederholung mit Sicherheit auszuschliessen4.
Die militärpolitische Lage in unsern Nachbarländern hat gegenüber früher ganz gewaltige Veränderungen erlitten und ist bis zur Stunde in starkem Fluss geblieben. Wir erinnern an die Vorgänge in Frankreich und namentlich an die dort geplanten gewaltigen Arbeiten auf dem Gebiet der Befestigung. In Bezug auf Italien fällt für uns die starke Verschiebung der Armee in Betracht, deren grösster Teil im Norden des Landes liegt, ferner die grossen Strassenbauten, die beständigen Übungen in allernächster Nähe unserer Grenzen, wobei es an kleinern Verletzungen derselben nicht fehlt, die willkürliche Absperrung der Grenzen usw.
Dass diese Tatsachen unsere öffentliche Meinung beschäftigen, ist selbstverständlich, und dass sie namentlich auch in militärischen Kreisen besprochen werden, lässt sich nicht vermeiden; es ist sogar die Pflicht unserer Offiziere, sich damit zu beschäftigen. Bei aller Vorsicht lässt sich in einem Land, das wie das unsrige an die volle Freiheit des Redens und des Schreibens gewöhnt ist, nicht verhindern, dass gelegentlich die Ergebnisse dieser Beschäftigung der Öffentlichkeit bekannt werden. Es war das zu allen Zeiten so und zwar nicht nur bei uns, sondern auch in ändern Ländern. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an ein einziges Beispiel, das im Zusammenhang mit den französischen Plänen steht. Es ist bei deren Erörterung verlangt worden, dass neben den Befestigungen an der französischdeutschen Grenze auch solche gegen unser Land erstellt werden sollten, mit der Begründung, dass heute ein deutscher Durchmarsch durch die Schweiz wahrscheinlicher sei als früher. Diese Behauptung will sagen, entweder dass unser Wille zur Behauptung der Neutralität schwächer geworden sei oder unsere militärische Kraft. Wenn man die Sache bös auffasst, so kann die eine und die andere Deutung als verletzend empfunden werden. Wir haben vorgezogen, der Sache keine Bedeutung beizumessen und sie nicht weiter zu verfolgen.
Im Verkehr mit Frankreich geht das ohne Schwierigkeiten ab, halten in dieser Beziehung die Franzosen uns doch im allgemeinen Gegenrecht. Anders steht die Sache leider mit Hinsicht auf Italien.
Wir haben dort mit einer Geistesverfassung zu rechnen, die unter Umständen auch ein ganz harmloses Wort als beleidigend auffasst. Daran ist vorläufig nichts zu ändern. Dazu kommt aber eine Aufpasserei, die alles, was irgendwo geschrieben oder gesprochen wird, auf stöbert und nach Italien meldet, häufig leider sogar in entstellter und übertriebener Form. Wir haben uns davon bei der oben erwähnten Besprechung mit dem italienischen Militârattaché überzeugen können, der sich auf Vorfälle berief, die sich vor vielen Monaten abgespielt haben sollen (mündliche Äusserungen von Offizieren, Zeitungsartikel und dergleichen) und die uns vollkommen unbekannt waren. Dass es unter diesen Umständen zu Auseinandersetzungen kommen muss, die unter gewöhnlichen Verhältnissen dahinfallen würden, ist unglücklicherweise nicht zu vermeiden.
Wir wissen wohl, dass wir mit diesen Darlegungen nichts Neues sagen. Wir machen sie hier gleichwohl, um daran den Schluss zu knüpfen, dass die Vorfälle der letzten Monate durchaus nicht so ausgelegt werden dürfen, als ob etwa in der Armee eine feindselige Stimmung gegen Italien bestehe und sogar planmässig unterhalten werde. Alle diese Vorfälle sind an und für sich durchaus harmlos und würden unter gewöhnlichen Umständen unbeachtet bleiben. Das Schlimme ist, wir wiederholen es, dass sie von italienischer Seite geflissentlich ins hellste Licht gestellt und übertrieben, zum mindesten aber in der denkbar ungünstigsten Weise ausgelegt werden.
Wir werden nach wie vor unser Möglichstes tun, alles zu vermeiden, was zu Störungen der Beziehungen zwischen den beiden Ländern führen könnte. Leider sind die Mittel, über die wir verfügen, nicht derart, dass sie mit Sicherheit wirken. Wir müssen bei der Wahl unserer Massnahmen vorsichtig sein. Wollten wir zum Beispiel mit allgemeinen Dienstbefehlen, Strafandrohung und dergleichen wirken, so könnte der Erfolg sehr leicht ein anderer sein als derjenige, den wir wünschen. Immerhin hoffen wir, wirklich ernst zu nehmende Dinge vermeiden zu können5.
- 1
- Schreiben: E 2001 (C) 1/59.↩
- 2
- Gemäss Protokoll der Bundesratssitzung vom 1.3.1927 wurde der Vortrag von einem dem Offizierscorps angehörenden Pressevertreter veröffentlicht (E 1005 2/3).↩
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