dodis.ch/45295
Der Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes,
W. Stucki, an den schweizerischen Gesandten in
Rom,
G. Wagnière1
Sie werden sich gewundert haben, seit unserer Rückkehr nach Bern noch keinerlei materiellen Bericht über unsere Absichten hinsichtlich des weitern Vorgehens gegenüber Italien erhalten zu haben. Der Grund liegt darin, dass fast mit einem Schlage unsere Hauptaufmerksamkeit in handelspolitischer Beziehung nach Westen abgelenkt worden ist. Der lang erwartete Entwurf der französischen Regierung zu einem neuen Zolltarif ist kurz nach unserer Rückkehr eingetroffen und bildet, zusammen mit gewissen Erklärungen der französischen Regierung, gegenwärtig für uns Gegenstand so grosser Besorgnis, dass alle ändern Fragen an Bedeutung zurücktreten müssen. Der Unterzeichnete war dieser Sache halber einige Tage in Paris, ein Grund mehr, die italienische Angelegenheit etwas zurückzustellen.
Wie vorauszusehen war, hat unsere Berichterstattung über die Besprechungen in Rom beim Bundesrat sowohl wie bei der schweizerischen Handelsdelegation und den schweizerischen Interessenten grosse Enttäuschung und teilweise Erbitterung her vor gerufen. Trotzdem sind wir, mit Rücksicht auf die ausserordentlich schwierige Situation gegenüber Frankreich, in der Handelsdelegation zur einstimmigen Auffassung gelangt, dass die Schweiz im gegenwärtigen Moment nicht daran denken darf, den Vertrag mit Italien zu kündigen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass sich der Bundesrat in einer seiner nächsten Sitzungen dieser Auffassung anschliessen wird2. Unter diesen Umständen bleiben von den in Rom besprochenen Möglichkeiten3 nur die zwei letzten, d. h. man begnügt sich mit einer dem Grundsätze nach heute schon zugestandenen Veränderung je einer Position des schweizerischen und des italienischen Zolltarifs: Erhöhung der schweizerischen Zölle für Automobile und Erhöhung der italienischen Zölle für Automobilmotoren; oder aber, man verhandelt gegenseitig über ein kleines Zusatzabkommen, bei welchem schweizerischerseits Kunstseide, Butter, Erbsen und Erbsenkonserven in Frage kämen, wobei man Italien einige Gegenkonzessionen in Aussicht stellen könnte. Die Meinungen darüber, welcher von diesen beiden Wegen gewählt werden soll, sind heute noch geteilt. Immerhin besteht in der Handelsdelegation eine Mehrheit für die Auffassung, man sollte - wenigstens im Moment - sich mit der Regelung der Automobilfragen begnügen und auf alles andere, abgesehen natürlich von den noch hängigen Einzelfragen wie Teile elektrischer Maschinen usw., verzichten. Eine endgültige Abklärung werden die nächsten Tage bringen. Unterdessen müssen auch noch einige technische Fragen weiter geprüft werden.
Wir möchten Sie selbstverständlich bitten, Italien gegenüber nichts davon verlauten oder durchblicken zu lassen, dass man in der Schweiz in Folge der veränderten Situation gegenüber Frankreich auf die Idee der Kündigung verzichtet hat, so dass uns jede Stosskraft für eine befriedigende Teillösung entfallt. Wir möchten Sie vielmehr ersuchen, Herrn Di Nola mitzuteilen, der Bundesrat möchte seine Entschlüsse in voller Kenntnis aller Verhältnisse fassen, wozu auch bestimmte Erklärungen Italiens über die Frage der doppelten Erhebung der Umsatzsteuer auf Uhren, der Verzollung von Teilen elektrischer Maschinen und die übrigen Einzelfragen, wo italienische Erklärungen noch ausstehen, gehören. Wir wären Ihnen deshalb sehr dankbar, wenn Sie das Äusserste daran setzen wollten, um uns die versprochenen italienischen Vorschläge so rasch als irgendwie möglich zukommen zu lassen.