Sprache: Deutsch
4.3.1927 (Freitag)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 4.März 1927
Geheimes Bundesratsprotokoll (PVCF-S)
Motta informiert den Bundesrat über einen Besuch Pignattis, der sich im Auftrag der italienischen Regierung über einen Vortrag beschwert hat, den Oberst Ulrich Wille in Zürich gehalten hat. Wille soll darin die Loyalität der italienischen Regierung in Zweifel gezogen haben.
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Abgedruckt in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (Hg.)

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 264

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Bern 1980

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Aufbewahrungsort

dodis.ch/45281
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 4. März. 19271

Vortrag des Obersten Ulrich Wille

Mündlich

In der Angelegenheit des Obersten Wille (siehe Protokoll vom l.März d.Js.)2 hat der Herr Bundespräsident den Besuch des italienischen Gesandten erhalten. Dieser war etwas aufgeregt. Herr Pignatti hat offenbar von seiner Regierung sehr strenge Weisungen erhalten. Herr Motta versuchte ihn zu beruhigen. Er wies darauf hin, dass der Vortrag Oberst Willes rein technischen Charakter hatte, dass er nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, und dass er übrigens von einigen Zeitungen ungenau und unvollständig und ohne die Zustimmung des Verfassers wiedergegeben wurde. Er hob ferner hervor, dass Oberst Wille keineswegs beabsichtigt habe, den politischen Wert des schweizerisch-italienischen Schieds- und Vergleichsvertrages3 herabzusetzen, oder etwa die vollständige Loyalität der italienischen Regierung in Zweifel zu ziehen. Der Vorsteher des politischen Departementes gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Zwischenfall mit dieser seiner Erklärung als erledigt betrachtet werden könne. Immerhin sei er bereit, diese Unterredung durch die Depeschenagentur in der Öffentlichkeit bekanntmachen zu lassen, wenn Italien einverstanden sei und dies zur Erledigung der Angelegenheit wünsche4.

Was den Fall verschärft, sind nach Ansicht des Herrn Motta die Ausführungen in der «Nationalzeitung»5 im Anschlüsse an die auszugsweise Wiedergabe des Vortrages Wille. Herr Motta bemerkte aber Herrn Minister Pignatti, dass dies die Meinungsäusserung eines Privaten sei, gegen die die Bundesbehörden nichts vorkehren können6. Der Genannte begriff dies.

Herr Scheurer hatte seinerseits eine Unterredung mit dem italienischen Militärattaché. Er gab ihm eine ähnliche Erklärung ab, wie Herr Motta sie dem Gesandten gegeben hat. Ferner setzte er ihm auseinander, dass es jedem Fachmann ohne weiteres als selbstverständlich erscheinen müsse, dass bei der Erörterung von Problemen der Landesverteidigung auf bestimmte Hypothesen von Angriffen seitens des einen oder ändern Nachbarstaates abgestellt werde. Dies bedeute noch keineswegs, dass man dem betreffenden Nachbarstaate irgendwelche Angriffsabsichten unterschiebe.

Der Vorsteher des Militärdepartementes fugt bei, dass er seit der letzten Sitzung in den Besitz des genauen Wortlautes des Vortrages Wille gelangt sei. Er habe das Referat aufmerksam durchgelesen und nichts darin gefunden, das in militärischer Hinsicht in Würdigung des Ortes und der Eigenschaft der Zuhörer (Offiziersgesellschaft) als unangebracht zu bezeichnen wäre. Hingegen seien die Ausführungen politischer Natur, insbesondere jene über den Völkerbund und das Haager Schiedsgericht, unbedingt zu beanstanden. Sie richten sich aber weniger gegen Italien, als gegen den Bundesrat und seine Aussenpolitik.

Herr Scheurer hat dem Obersten Wille bereits im Sinne des in der Sitzung vom 1. März geäusserten Wunsche geschrieben und wird ihm jetzt nochmals schreiben.

Von diesen Ausführungen wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen.

1
E 1005 2/3.
2
In der Sitzung vom 1.3.1927 äusserte sich der Vorsteher des Militärdepartementes, Scheurer, zum Vortrag «Kampf im Lande», den Oberst U. Wille an der Generalversammlung der Offiziersgesellschaft des Kantons Zürich gehalten hatte. [...] Das Referat behandelte den Fall eines feindlichen Einbruches in die Schweiz. Dabei beschränkte sich Oberst Wille auf die zwei Fälle eines italienischen oder französischen Einbruches. Der Referent Hess auch einen Satz einfliessen, der auf das diplomatisch-politische Gebiet übergreift und dahin ging: Italien würde uns nie zu einem Frieden oder zu einem Verzicht zwingen können, «wenn wir nur alteidgenössisch denken und nicht den Völkerbund oder den Haag anrufen». Demnach wäre also jede schiedsgerichtliche oder diplomatische Beilegung eines kriegerischen Konfliktes als verwerflich und nicht alteidgenössisch zu verurteilen.[...] (E 1005 2/3).
3
Vergleichs- und Schiedsvertrag vom 20.9.1924, in: AS 1925, NF 41, S. 179ff.
4
Laut Protokoll der Bundesratssitzung vom 8.3.1927 stimmte Italien diesem Vorschlag zu, womit die Angelegenheit vom Bundesrat als erledigt betrachtet wurde (E 1005 2/3). Vgl. auch Nr. 267 und Nr. 281.
5
Nr. 89 vom 22.2.1927.
6
Am 7.3.1927 teilte Motta dem Chefredaktor der «Nationalzeitung», R. Arnstein, mit: f.../ Ich bin sicher, Herr Chefredaktor, dass Sie mich richtig verstehen, wenn ich Sie bitte, darüber wa- chen zu wollen, dass ähnliche Stimmungen und Überlegungen in Ihrer Zeitung nicht mehr Platz finden. Meine Bitte ist mir einzig und allein durch meine Sorge um das Landeswohl eingegeben. [...] (E 2001 (C) 1/59).