Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
1. Abrüstung und Waffenhandel
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 191
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#299* |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates April - Juni 1926 (1926–1926) |
dodis.ch/45208 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 7. Juni 19261 935. Unterzeichnung der Konvention vom 17. Juni 1925 betreffend die Kontrolle des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial2
I. Am 31. Oktober vorigen Jahres haben die schweizerischen Delegierten zur Staatenkonferenz, die vom 4. Mai bis zum 17. Juni 1925 in Genf zur Prüfung der Frage des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial getagt hat, ihren Schlussbericht an den Bundesrat erstattet3. Dieser Bericht gibt, in Ergänzung der elf Rapporte, welche die Delegation im Mai und Juni nach Bern gesandt hat, eine zusammenfassende Darstellung der Verhandlungen und enthält auch einen kurzen Kommentar der verschiedenen Instrumente, die von der Konferenz ausgearbeitet und zur Unterzeichnung aufgelegt worden sind.
In seiner Sitzung vom 12. Juni 19254 hat der Bundesrat die Delegierten ermächtigt, unter Vorbehalt der Ratifikation ihre Unterschriften unter zwei dieser Abmachungen zu setzen. Es sind dies:
1. Das Protokoll vom 17. Juni 1925 betreffend den chemischen und bakteriologischen Krieg, und
2. das sog. Unterzeichnungsprotokoll, dem eine bloss formale Bedeutung zukommt.
Die Abordnung gibt in ihrem Schlussberichte der Auffassung Ausdruck, dass auch die übrigen aus den Verhandlungen der Konferenz hervorgegangenen Instrumente unterzeichnet werden sollten, nämlich:
1. Die eigentliche Konvention betreffend die Kontrolle des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial; sowie
2. die Erklärung betreffend das Gebiet von Ifni und
3. die Schlussakte der Konferenz.
Das Politische Departement schliesst sich aus den Erwägungen, die im folgenden ausgeführt werden, diesem Antrag an.
II. 1. Es scheint zunächst kein Grund vorzuliegen, die Schlussakte der Konferenz vom 17. Juni 1925 nicht zu unterzeichnen. Diese Akte gibt vorerst bloss ein Mitgliederverzeichnis der verschiedenen Abordnungen zur Konferenz wieder, an das sich sodann zwei allgemeine Erklärungen anreihen. Es ist daran zu erinnern, dass das Bureau der Konferenz von der Auffassung ausging, dass die Schlussakte von so generellem Charakter sei, dass sie von allen Delegationen zu Ende der Verhandlungen ohne weiteres zu unterzeichnen gewesen wäre. Demgegenüber behielt sich die schweizerische Delegation auftragsgemäss eine Prüfung der beiden in der Schlussakte enthaltenen Deklarationen, denen immerhin ein grundsätzlicher Charakter zukam, durch den Bundesrat vor; einzelne andere Abordnungen gingen sodann analog vor.
Eine Analyse der zwei prinzipiellen Erklärungen der Schlussakte scheint indessen zu ergeben, dass denselben unbedenklich zugestimmt werden kann.
Was zunächst die zweite Erklärung anbetrifft, so besagt sie im wesentlichen, dass die Waffenhandelskonvention eine Ergänzung durch andere Abmachungen, namentlich betreffend die Kontrolle der Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial, finden müsse. Dies entspricht im Grunde der Auffassung, die der Bundesrat in den Instruktionen der schweizerischen Delegation zur Waffenhandelskonvention bereits angedeutet hat. Zudem hat seither die sechste Völkerbundsversammlung in einer Resolution vom 25. September 19255, die einstimmig - einschliesslich der Stimme der Schweiz - angenommen wurde, den gleichen Gedanken zum Ausdruck gebracht. Die formelle Zustimmung zu dieser Erklärung der Schlussakte dürfte somit angebracht sein.
Aber auch die erste Deklaration scheint unbedenklich genehmigt werden zu können. Sie besagt einerseits in einer Formel, die an sich überflüssig ist und sich nur aus dem Hergang der Verhandlungen erklären lässt, dass die Regierungen der Signatäre «die feste Absicht haben, die internen Gesetze und Verordnungen streng anzuwenden, um jeden Waffenhandel zu verhindern, der nach diesen Bestimmungen als illegal erscheinen könnte». Daran knüpft sich allerdings die Zusage, dass die «interessierten Parteien alle zweckdienlichen Angaben auszutauschen beabsichtigen». Dieser letztere Passus begründet eine gewisse Bindung, der jedoch, wie der Bericht der Delegation ausführt, ein bloss administrativer Charakter, ähnlich wie den häufig durch Notenwechsel übernommenen Verpflichtungen, zukommt. Es liegt kein Anlass vor, diese Erklärung nicht anzunehmen, um so mehr, als in konkreten Fällen diplomatischen Gepflogenheiten entsprechend doch die gewünschten Auskünfte erteilt würden.
Das Politische Departement ist somit der Ansicht, dass die Schlussakte selbst dann unterzeichnet werden könnte, wenn eine Unterzeichnung der Waffenhandelskonvention nicht beschlossen werden sollte.
2. Die Deklaration betreffend das Gebiet von Ifni steht mit der eigentlichen Waffenhandelskonvention dagegen organisch in so engem Zusammenhang, dass dieselbe nur zugleich mit dieser Konvention zu unterzeichnen wäre. Es handelt sich faktisch um eine blosse Spezialklausel, die systematisch besser in dem Waffenhandelsabkommen Aufnahme gefunden hätte. Ein Grund, diese Deklaration nicht gleichzeitig mit der Hauptkonvention namens der Schweiz zu unterzeichnen, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil könnte dadurch bloss eine Lücke in der Anwendung der Konvention entstehen.
III. Eine besondere Prüfung erheischt natürlich die Frage der Unterzeichnung des Instrumentes, dessen Ausarbeitung die Hauptaufgabe der Konferenz von Mai und Juni 1925 darstellte, nämlich die Konvention betreffend die Kontrolle des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial.
Im Schlussberichte der schweizerischen Delegation ist bereits ausführlich dargelegt worden, dass die vor der Konferenz mit Recht geäusserten Kritiken am Vorentwurf, der als Diskussionsgrundlage diente, während der Verhandlungen in reichem Masse berücksichtigt worden sind. Der Vertragstext, der aus den Verhandlungen schliesslich hervorgegangen ist, sieht eine viel weniger einschneidende Kontrolle vor, als ursprünglich angenommen werden konnte, und schont, wie der Bericht dartut, in weitgehendem Masse den legitimen Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial.
Man kann sich darauf beschränken, im Nachstehenden ergänzend nur auf einzelne Spezialpunkte einzugehen.
1. Es ist zunächst daran zu erinnern, dass die Frist für die Unterzeichnung des Abkommens gemäss dem «Protocole de signature» am 30. September 1926 abläuft. Nach Ablauf dieser Frist kommt nicht mehr das Unterzeichnungs- und Ratifikationsverfahren, sondern bloss noch ein Beitritt in Frage.
Andererseits verpflichten sich gemäss Artikel 37 der Waffenhandelskonvention sämtliche Kontrahenten, die ändern Staaten «zum Beitritt zu bewegen». Es ist ferner damit zu rechnen, dass von den Völkerbundsversammlungen ein Druck zum Beitritt zur Konvention erfolgen wird, dem sich zu entziehen auf die Dauer in steigendem Masse schwierig würde. Das Verfahren des Beitrittes bietet nun eine Anzahl Nachteile, die mit dem normalen Unterzeichnungs- und Ratifikationsverfahren nicht verbunden wären. Das endgültige Inkrafttreten der Konvention in bezug auf unser Land wäre grundsätzlich erst auf den Zeitpunkt in Aussicht zu nehmen, an dem die hauptsächlichsten an der Produktion von Waffen, Munition und Kriegsmaterial interessierten Länder ihrerseits endgültig ratifiziert haben werden. (In diesem Sinne hatte seinerzeit der Bundesrat auch beschlossen, den eidgenössischen Räten den Beitritt zur Konvention von St. Germain vom 10. September 1919 zu empfehlen.) Wenn nun der Bundesrat beschliesst, die neue Konvention innerhalb der im «Protocole de signature» vorgesehenen Frist namens der Schweiz unterzeichnen zu lassen, kann er - ohne einen Vorbehalt ausdrücklich zu formulieren - mit dem Antrag an das Parlament betreffend Genehmigung des Abkommens zuwarten, bis faktisch die definitive Zustimmung der in Betracht kommenden Staaten vorliegt. Nach Ablauf der bis zum 30. September 1926 sich erstreckenden Frist dagegen wäre das Beitritts verfahr en u. U. noch in Bewegung zu setzen, bevor alle wichtigen an der Produktion von Kriegsgerät beteiligten Länder dem Konventionssystem angeschlossen sind. Das Adhäsionsverfahren ermöglicht keine Trennung von Unterzeichnung und Ratifikation; der Beitritt erfolgt endgültig und das Parlament würde aus allgemeinen Rücksichten eventuell zur definitiven Genehmigung eingeladen werden, bevor sämtliche Erfordernisse gegeben sind, deren Vorhandensein dem Bundesrate im Hinblick auf das Inkraftsetzen des Konventionssystems angezeigt erscheinen könnte.
Noch mehr würde sich nach dem 30. September 1926 das Verfahren komplizieren, wenn - was allerdings nicht erforderlich ist - ausdrückliche Vorbehalte seitens der Schweiz zu formulieren wären. Den allgemeinen Gepflogenheiten entsprechend könnten wohl bei der Unterzeichnung ausdrückliche Reserven angebracht werden; es würde sich dann bis zu der Ratifikation zeigen, ob diese Vorbehalte seitens der anderen Staaten widerspruchslos akzeptiert würden. Dagegen könnte eine verwickelte Situation entstehen, wenn gewisse Vorbehalte in die Adhäsionserklärung auf Grund eines vom Parlament bereits gefassten Beschlusses aufgenommen würden.
2. Zu dem angeführten Argument tritt die Erwägung, dass eine verhältnismässig grosse Zahl von Staaten schon bis heute die Waffenhandelskonvention unterzeichnet haben: Deutschland, die Vereinigten Staaten von Amerika, Österreich, Brasilien, Grossbritannien, Chile, Spanien, Estland, Äthiopien, Finnland, Frankreich, Ungarn, Indien, Italien, Japan, Lettland, Luxemburg, Polen, Rumänien, Salvador, das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen und die Tschechoslowakei. Erfahrungsgemäss ist damit zu rechnen, dass kurz vor der am 30. September 1926 ablaufenden Unterzeichnungsfrist noch weitere Staaten in nicht unbeträchtlicher Zahl ihre Unterschrift unter die Konvention setzen werden, so dass die Völker bunds Versammlung möglicherweise schon 1926 an die noch fehlenden Länder nachdrückliche Empfehlungen zum Beitritt ergehen lassen wird. Man kann sich auch nicht verhehlen, dass es nicht leicht sein würde, verständlich zu machen, warum die Schweiz, die seinerzeit ihre grundsätzliche Bereitwilligkeit ausgedrückt hat, der Konvention von St.Germain von 1919 beizutreten, der neuen, nach mehreren Richtungen hin viel weniger weit gehenden Abmachung fernbleiben sollte.
3. Was sodann die Lage der schweizerischen Industrie anbetrifft, die an der Fabrikation und dem Export von Waffen, Munition und Kriegsmaterial interessiert ist, so könnte geltend gemacht werden, dass der Wegfall der Möglichkeit, an andere Abnehmer als an Regierungen zu liefern, den Geschäftsgang dieser Fabrikation unter Umständen nachteilig beeinflussen könnte. Demgegenüber ist indessen darauf hinzuweisen, dass es gerade einer der hauptsächlichsten Zwecke der Konvention ist, die unkontrollierbaren Waffenlieferungen an auswärtige Private, welche Unruheherde schüren können, zu unterbinden oder doch wenigstens nach Möglichkeit einzuschränken. Zudem würde zum mindesten in den von der Konvention umschriebenen Zonen verschärfter Kontrolle die Lieferung von Kriegsmaterial an Private oder nicht anerkannte Kriegsführende nach dem System des Abkommens praktisch verhindert werden, unabhängig davon, ob das Ursprungsland der Konvention angeschlossen ist oder nicht. Sendungen nach diesen Gebieten erfolgen also auf das Risiko der Exporteure. Was sodann beispielsweise China anbetrifft, das nicht in die Zonen verschärfter Kontrolle einbezogen worden ist, so ist daran zu erinnern, dass praktisch von den an der Abrüstungskonferenz von Washington von 1921/22 vertretenen Mächten ein Überwachungssystem eingeführt, bzw. ins Auge gefasst worden ist, das ebenfalls auf die Dauer die Belieferung Privater verunmöglichen dürfte.
Es ist ferner, wie im Berichte der schweizerischen Delegation angeführt ist, die von der Industrie vor der Waffenhandelskonferenz befürchtete Kontrolle auf ein Minimum reduziert worden, indem von der Schaffung eines Überwachungsorganes gänzlich abgesehen wurde. Die Kontrolle liegt im wesentlichen in der Publizität, und es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, dass die Kontrahenten der Konvention, in Anwendung von Artikel 11 des Abkommens, in ihrem eigenen Interesse nach Möglichkeit die Ausfuhren aus Nicht-Kontrahenten zu erfahren und zu publizieren suchen werden. Der effektive Beitritt zur Konvention wäre einer solchen Sachlage offensichtlich vorzuziehen.
In letzter Linie ist darauf besonders aufmerksam zu machen, dass die Ausfuhr nach den der Konvention nicht angeschlossenen Staaten im System des Abkommens durchaus nicht etwa untersagt ist; die Lieferung nach diesen Staaten untersteht bloss den gleichen Bedingungen wie der Export nach Konventionsstaaten, d. h. es sollen die Sendungen prinzipiell an die Regierungen, bzw. an die ermächtigten Organe derselben gerichtet und statistisch erfasst werden.
Das Interesse der schweizerischen Industrie dürfte somit hinlänglich gewahrt werden, wenn, wie oben ausgeführt, mit der Ratifizierung der Konvention zugewartet würde, bis die anderen industriellen Länder die Ratifikation vollzogen, bzw. Anstalten hiezu getroffen haben werden.
Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen wird antragsgemäss beschlossen:
Das politische Departement wird ermächtigt, die erforderlichen Massnahmen zur Unterzeichnung der folgenden am 17. Juni 1925 in Genf zur Unterschrift aufgelegten Instrumente zu treffen:
1. Konvention betreffend die Kontrolle des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial;
2. Erklärung betreffend das Gebiet von Ifni;
3. Schlussakte der Konferenz für die Kontrolle des internationalen Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial.
Der Beschluss auf Unterzeichnung des ersten dieser Instrumente (Waffenhandelskonvention) erfolgt in der Meinung, dass die Ratifikation jenes Abkommens erst dann vorgenommen werden soll, wenn die wichtigeren an der Produktion von Waffen, Munition und Kriegsmaterial beteiligten Staaten ihrerseits die Konvention endgültig annehmen6.
- 2
- Text des gesamten Vertragspakets in: SdN, Journal Officiel, 1925, Nr. 8, S. 1117fT.↩
- 3
- Vgl. Nr. 57, Annex.↩
- 4
- Vgl. Nr. 59.↩
- 5
- Vgl. SdN, Journal Officiel, Suppl. spéc. Nr. 33, S. 117ff.↩
- 6
- Die Unterzeichnung unter diesem Vorbehalt erfolgte am 29.6.1926. Die Konvention trat nie in Kraft, weil die erforderliche Anzahl von 14 Ratifikationen nicht erreicht wurde.↩