dodis.ch/45116
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8. Oktober 1925
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Unterhandlungen mit Deutschland zur Regelung der Handelsbeziehungen
Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements erinnert daran, dass gegenwärtig mit einer deutschen Abordnung Verhandlungen geführt werden, die wegen der Inkraftsetzung des neuen deutschen Zolltarifs auf 1. Oktober 1925 nötig geworden sind und bezwecken, mit Deutschland zu einer vorläufigen Regelung der Handelsbeziehungen zu gelangen für die Zeit bis zum Abschluss eines eigentlichen Handelsvertrages. Die schweizerischen Unterhändler haben die Aufgabe, bei einigen Positionen des neuen deutschen Tarifs Herabsetzung der Ansätze zu erlangen gegen Bindung einiger Ansätze des schweizerischen Gebrauchstarifs. Die Begehren der Deutschen gehen aber viel weiter, denn es wird von der Schweiz Herabsetzung der Ansätze auf einer Reihe von Positionen des Gebrauchstarifs verlangt, was nicht zugestanden werden kann. Es zeigt sich bei diesen Verhandlungen neuerdings, welch’ schweren Stand die Schweiz hat, weil sie keinen Generaltarif besitzt, der als Kampftarif verwendbar wäre.
Das Volkswirtschaftsdepartement hat einen solchen Tarif vorbereitet, der in nächster Zeit noch von einer Sachverständigenkommission durchberaten und sodann dem Bundesrate unterbreitet werden soll. Der Bundesrat wird bei der Genehmigung des Tarifs auch zu prüfen haben, wie und wann er in Kraft gesetzt werden soll. Hiefür sind verschiedene Wege denkbar und es wird derjenige zu wählen sein, der den schweizerischen Bedürfnissen am besten entspricht und es vermeidet, die Handelsbeziehungen zu ändern Staaten ohne Not zu beeinträchtigen. Das Volkswirtschaftsdepartement neigt zur Auffassung, dieses Ziel werde sich am ehesten durch eine teilweise Inkraftsetzung des neuen Generaltarifes erreichen lassen. Doch wird hierüber später des nähern zu berichten und dann ein Entscheid zu fällen sein2.
Heute handelt es sich darum, die Verhandlungen mit Deutschland soweit möglich mit dem Hinweis auf den nahe bevorstehenden Erlass eines schweizerischen Generalzolltarifs zu beeinflussen. Die schweizerische Abordnung hat hierauf schon hingewiesen; allein die deutschen Unterhändler erklärten, dieser Hinweis genüge nicht, um auf die deutsche Regierung Eindruck zu machen, da jeder Anhaltspunkt für die Gestaltung des neuen Generaltarifs fehle3.
Unter diesen Umständen schlägt die schweizerische Abordnung vor, den deutschen Unterhändlern den vom Volkswirtschaftsdepartement ausgearbeiteten Tarifentwurf vertraulich bekanntzugeben und zwar in der Form, dass in eine Ausgabe des Gebrauchstarifs die im genannten Entwurf vorgesehenen Ansätze eingetragen würden. Dabei würde sie erklären, dass, wenn ein modus vivendi nicht zu Stande kommen sollte, die Schweiz den neuen Generalzolltarif auf einen bestimmten Zeitpunkt ganz oder teilweise in Kraft setzen werde.
Dieses Vorgehen ist allerdings aussergewöhnlich, aber immerhin auch schon mit Erfolg angewendet worden. Es ist zur Zeit das einzige Mittel, um bei den Verhandlungen mit Deutschland zu einem annehmbaren Ergebnis zu gelangen. Der Bundesrat behielte dabei noch völlig Freiheit in der Gestaltung des Generaltarifs.
Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes stellt den Antrag:
Der Bundesrat wolle ihn zu dem eben geschilderten Vorgehen ermächtigen.
Der Rat erhebt diesen Antrag zum Beschluss.