Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.2 ALLEMAGNE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 163
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#103* | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 20 (1919–1919) |
dodis.ch/44374
Ich habe Ihnen gestern telegraphiert, was mir Reichsminister Müller in einer längeren Aussprache gesagt hat, und will nachstehend diese Mitteilung kurz ergänzen.
Ich war zu Herrn Müller gegangen, um nähere Angaben zu erhalten über den Inhalt der Dokumente, welche sich auf die sog. Mission Sulzer2 beziehen. Der Minister versprach mir eine kurze schriftliche Aufzeichnung über alles Wesentliche3, was in diesen Dokumenten steht. Sobald ich diese Aufzeichnungen erhalten haben werde, will ich auf diese Frage zurückkommen.
Weiter erbat ich mir vom Minister Aufschluss über den dermaligen Stand der Verhandlungen in Versaillesund über die Aussichten für die Ratifikation des Friedens. Herr Müller bestätigte mir die Richtigkeit meiner früheren telegraphischen Meldung, dass die deutsche Delegation abgereist sei, weil die Vertreter der Entente sich rundweg geweigert hätten, über eine Änderung der Forderungen der Entente, laut deren Note vom 1. November, überhaupt zu unterhandeln. Inzwischen habe sich die Regierung endgültig dahin schlüssig gemacht, dass sie unter keinen Umständen ein Protokoll unterzeichnen werde, in welchem die Drohung der Entente über künftige militärische Executionsmassnahmen festgelegt wäre. Ebensowenig werde die deutsche Regierung die Forderung der Gegenleistungen für die Versenkung der deutschen Schiffe in englischen Häfen annehmen. Grundsätzlich stehe die Regierung auf dem Standpunkte, dass sie eine Entschädigung überhaupt nicht schulde, weil die englischen Behörden allein die Schuld treffe, dass die Schiffe versenkt werden konnten, und weil die deutschen Behörden in keiner Weise an dieser Versenkung beteiligt seien. Immerhin liess Herr Müller durchblicken, dass die Regierung an diesem grundsätzlich ablehnenden Standpunkt nicht unbedingt festhalten, wohl aber die Forderung der Abgabe von Docks und Baggermaschinen ablehnen werde, weil deren Erfüllung dazu führen müsste, dass der Wiederaufbau der Handelsflotte verunmöglicht und dass die sämtlichen Häfen Deutschlands versanden würden. Das sei für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands eine eigentliche Lebensfrage. Herr Müller hofft, dass die Entente sich schliesslich dieser Erkenntnis nicht verschliessen und es darob nicht zu einem Bruche kommen lassen werde, der unberechenbare Folgen haben müsste. Auf meine Frage, was denn Deutschland tun würde, wenn die Entente doch unnachgiebig bleiben sollte, antwortete der Minister ausweichend, dass über diese Frage ein Entscheid noch nicht getroffen sei.
Er meinte, die Entente werde um so eher Entgegenkommen zeigen, als ihre Lage betreffend Ausführung des Friedensvertrages durch die vorläufige Ablehnung Amerikas recht schwierig geworden sei. Deutschland könne nicht gezwungen werden, einer Änderung der Vertragsbestimmungen zuzustimmen, welche durch die Absage Amerikas unausweichlich geworden sei. Deutschland sei bereit, in diesem Punkte entgegenzukommen, aber nur unter der Bedingung, dass ihm anderseits in den oben besprochenen Punkten Konzessionen gemacht werden.
Unter allen Umständen wird die Ratifikation des Friedensvertrages durch diesen Zwischenfall eine weitere Verzögerung erleiden. Über die Möglichkeit eines Ausscheidens Amerikas aus der Gruppe der Kontrahenten im Versailler Vertrage sprach sich Herr Müller ganz in dem Sinne aus, wie ich Ihnen schon berichtet habe. Er hält dafür, dass Deutschland kein Interesse habe an diesem Ausscheiden, weil seine Stellung dadurch nicht nur nicht erleichtert, sondern im Gegenteil erschwert werde, wenn die Franzosen und Engländer in den verschiedenen Kommissionen ganz unter sich seien.
Die neueste Note Clemenceau’s, durch welche die Freigabe der Kriegsgefangenen in so schroffer und beleidigender Weise zurückgewiesen wird, hat hier ganz ausserordentlich erbittert. Die dadurch erzeugte Stimmung treibt den Wind in die Segel der Alldeutschen und lässt ernste Konflikte voraussehen. [...]Am Schlüsse unserer Besprechung brachte der Minister die Vorarlberg erfrage zur Sprache. Er hätte den offiziellen Wortlaut der Antwort des Herrn Bundesrat Calonder auf die Interpellation Winiger4 noch nicht gesehen und urteilte daher auf Grund der Mitteilung in deutschen Zeitungen, die übrigens, wie ich konstatieren konnte, nicht wesentlich von dem offiziellen Wortlaut abweichen. Herr Müller schien sehr betroffen von dem Tone dieser Erklärung, die, wie er sagte, in den Regierungskreisen «unangenehm berührt habe». Die deutsche Regierung sei sich bewusst, in dieser ganzen Frage so korrekt als möglich gehandelt und alles vermieden zu haben, was der Schweiz irgendwie Anlass zu Einwendungen geben könnte. Trotz vielfacher Zumutungen habe die Reichsregierung es konsequent abgelehnt, irgendwelche Massnahmen zu treffen oder zu unterstützen, welche im Sinne des Anschlusses Vorarlbergs an Deutschland hätten wirken können. Die Regierung stehe auf dem Standpunkt, dass zur Zeit jede Möglichkeit ausgeschlossen sei, den Anschluss an Deutschland irgendwie in Betracht zu ziehen, weil man ganz genau wisse, dass die Entente einen solchen Anschluss nimmermehr zulassen würde. Abgesehen davon hätte dieser Anschluss für Deutschland kein so grosses Interesse, um die Regierung der Gefahr auszusetzen, durch eine Politik im Sinne des Anschlusses die Schweiz zu verstimmen und der Entente Anlass zu Gegenmassregeln zu geben. Die deutsche Regierung stehe auf dem Standpunkt, dass es sich hier zunächst um eine rein österreichische Frage handle und dass gegen den Willen von Österreich von einem Anschluss des Vorarlberg es an Deutschland von vornherein nicht die Rede sein könne. Diese Zustimmung Österreichs sei aber nicht zu erwarten und damit verliere die Frage für Deutschland jedes aktuelle Interesse.
Herr Müller sprach weiter die Ansicht aus, dass Deutschland keine Ursache hätte, sich gegen den Anschluss an die Schweiz zu wehren, wenn dies der Wille des Vorarlberg es und Österreichs sei. Lieber würde man es natürlich sehen, wenn Vorarlberg bei Österreich bleiben würde.
Am meisten schien der Minister zu bedauern, dass die Erklärungen des Bundesrates die deutsche Regierung in den Augen der Entente dem Verdachte aussetze, als verfolge sie schon wieder annexionistische Tendenzen, während ihr doch alles ferner liege als das.
Ich habe natürlich darauf hingewiesen, dass die Ausführungen des Bundesrates ihre Spitze in gar keiner Weise gegen die deutsche Regierung richten, sondern dass nur die Folgen hervorgehoben worden seien, welche sich unausweichlich aus den Tatsachen ergeben würden. Herr Müller wollte nicht anerkennen, dass die geschilderten Folgen eintreten würden und meinte: «Deutschland liegt so sehr am Boden und hat so sehr mit sich selbst zu schaffen, dass es wahrlich nicht daran denken kann, die wirtschaftliche und politische Infiltration nach dem Muster der Kaiserzeit zu betreiben.»
Ich übergebe Ihnen beiliegend noch zwei Ausschnitte aus dem «Hamburger Echo» vom 23. November und aus der «Täglichen Rundschau» vom 24. gl.Mts., welche sich mit obiger Frage befassen.
Aus einer Besprechung mit dem hiesigen Vertreter der «Neuen Zürcher Zeitung» notiere ich die Mitteilung, dass die Berichte aus Russland mehr und mehr dahin lauten, dass an einen baldigen Sturz der Sovietregierung nicht zu denken sei. Vielmehr ergebe sich aus Mitteilungen, die Herr Herold von einem Russen hat, der soeben aus Russland zurückgekehrt ist, dass die ganze bäuerliche Bevölkerung sich mit dem bestehenden Zustande mehr und mehr abfinde und gegen jede Reaktion sei, weil sie befürchte, dann wieder um den Landbesitz zu kommen, den ihr die Revolution gebracht habe. Es sei daher vorauszusehen, dass sich eine Consolidierung in dem Sinne vollziehen werde, dass die Sovietregierung auf dem Boden des jetzt Bestehenden eine konservativere Politik verfolgen und sich so mit der Landbevölkerung einigen werde.
Über eine Unterredung, welche Herr Dr. Zetter letzter Tage mit dem deutschnationalen Führer Stresemannhatte, berichtete er im wesentlichen was folgt:
Alle national gesinnten Deutschen begrüssen es, wenn Amerika dem Völkerbund nicht beitritt. Das Schlimmste, was Deutschland widerfahren kann, ist ein Völkerbund, der von einer anglo-amerikanischen Alliance beherrscht wird. Kommt der Völkerbund, so wie er geplant ist, zustande, so werden das Britische Reich und Amerika zusammen immer in der Lage sein, die anderen Völkerbundsmitglieder zu überstimmen. Über das Schicksal Deutschlands unter einer englisch-amerikanischen Völkerbundsherrschaft ist man sich in Deutschland vollständig klar.
Wirtschaftliche Lage. Die deutsche Grossindustrie schaue zuversichtlich in die Zukunft. Sie hat zur Zeit so viel Aufträge, dass sie mit der ihr zur Verfügung stehenden Anzahl von Arbeitern höchstens 1/3 dieser Bestellungen auszuführen vermag. Man rechne mit einer Ausfuhr von 40 Milliarden im ersten Friedensjahre. Trotz des verlorenen Krieges und trotz der prekären Situation, in der sich Deutschland derzeit befindet, sei seine wirtschaftliche Lage eine bessere als diejenige Frankreich s; denn Deutschland habe mehr Arbeiter und Fabriken als Frankreich. Es werde in Deutschland nun ziemlich überall wieder gearbeitet; die Arbeitslust setzt langsam, aber stetig wachsend ein. Auch die Kohlennot wäre ziemlich behoben, wenn man über mehr rollendes Material verfügen könnte. In Oberschlesien liegen über 100 Millionen Tonnen geförderte Kohle.
Politische Lage. Deutschland werde über kurz oder lang zur monarchischen Staatsform zurückkehren. Die sechshundertjährige monarchische Tradition lässt sich nicht von heute auf morgen ausmerzen. Der Deutsche will einen Führer, der ihm imponiert. Die jetzige Regierung habe keine Autorität, und es seien gerade die zu den untersten Volksmassen gehörenden Deutschen, die sich in erster Linie und andauernd über die jetzige Regierung lustig machen.
Der Zug nach rechts sei bei den meisten Parteien feststellbar. Sogar von der Deutschnationalen Partei seien viele Mitglieder zur Deutschen Volkspartei übergetreten. Ob diese politischen Verschiebungen auf eine Diktatur Ludendorff oder Noske hinsteuern oder ob sie zunächst die Form einer Änderung im Kurse unter der jetzigen Staatsform annehmen werden, sei zur Zeit noch nicht vorauszusehen, als sicher kann aber angenommen werden, dass sie eine Regierungsänderung bewirken werde.
Das Rätegesetz dürfte wohl mit einigen unbedeutenden Konzessionen an das Zentrum angenommen werden. Mehr in Frage gestellt ist das Notstandsopfergesetz, weil man voraussieht, dass eine Durchführung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen wird.
Äussere Politik. Eine Verständigung zwischen Deutschland und Russland wird trotz der Gewaltpolitik der Entente, im besonderen der Franzosen, Zustandekommen.
Deutschland und Russland sind nach der jetzigen Entwicklung der Weltlage naturgemäss aufeinander angewiesen und dazu bestimmt, in gewisser Hinsicht gemeinsame Sache zu machen. Wenn auch, was nicht ausgeschlossen ist und womit hier ernstlich gerechnet wird, die Franzosen noch das Ruhr revier besetzen sollten, so dürfte doch die Franzosenherrlichkeit auf deutschem Boden von nicht allzu langer Dauer sein.
Sobald Deutschland und Russland sich auf einer beiden Teilen gemeinsamen politischen Richtschnur gefunden haben, wird wohl Polen ein Ultimatum zur Herausgabe des abgetretenen deutschen Gebiets gestellt werden. Dass dann aber die Franzosen nicht mehr länger auf deutschem Boden geduldet werden, ist von vornherein klar. – So Herr Stresemann!
Ich glaubte, Ihnen diese Darstellung nicht vorenthalten zu sollen, obwohl sie sehr wesentlich von demjenigen abweicht, was ich aus dem Lager der regierenden Partei gemeldet habe. Die Wahrheit wird auch da in der Mitte liegen und die Frage sich einfach dahin zuspitzen, ob die zweifellos bestehende Richtung nach rechts und nach der Monarchie stark genug sein wird, um eine Änderung in der Regierungsform herbeizuführen oder ob sie nur zu einer wesentlichen Stärkung der konservativen Opposition gegen die jetzige Regierungsmehrheit führen wird.
Die Ansichten des Herrn Stresemann über die Folgen des amerikanischen Senatsbeschlusses decken sich meines Erachtens nicht mit derjenigen der überwiegenden Mehrheit der deutschen Politiker. Der beste Beweis gegen die Richtigkeit dieser Auffassung liegt wohl in der Tatsache, dass selbst ganz rechts stehende Elemente, wie Professor Hoetzsch, sich für den Beitritt zum Völkerbund in der jetzigen Gestalt ausgesprochen haben.
Die Äusserungen Stresemanns über die internationale Lage und die mögliche Verbindung von Deutschland mit Russland entsprechen durchaus dem extremen alldeutschen Standpunkt und verraten eine vollständige Verkennung der Wirklichkeiten und der Möglichkeiten. Ich muss demgegenüber feststellen, dass nach meinen Betrachtungen die grosse Mehrzahl der massgebenden politischen Persönlichkeiten und die besonnenen Elemente aller Parteien die völlige Unmöglichkeit für Deutschland einsehen, in absehbarer Zeit aktive internationale Politik zu treiben. An diesem Zustande der politischen Impotenz kann ein Zusammengehen mit dem schachmatten Russland nichts ändern. Die Hoffnung der ruhig abwägenden Elemente ruht auf der Möglichkeit eines Zerfalles der dermaligen Mächtekoalition, welche zu ganz veränderten internationalen Kombinationen führen könnte. Allein diese Möglichkeit setzt die innere Erstarkung Deutschlands voraus, welches auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr als militärischer Machtfaktor in Betracht fallen kann. So denken, nach meiner Beobachtung, die ernsthaften Leute von links und rechts.
Ich lege hier noch eine Äusserung des Reichswehrministers Noske über die politische und wirtschaftliche Lage bei.
Ganz im Gegensatz zu den optimistischen Ansichten des Herrn Stresemann erfuhr ich gestern abend aus Kreisen der demokratischen Partei, dass man ausserordentlich besorgt sei wegen der internationalen Lage und in dieser Richtung sehr schwarz sehe. In der Tat schlägt die deutsche Regierung in der heute veröffentlichten Antwort auf die Note des Herrn Clemenceau wegen der Kriegsgefangenen einen Ton an, an den man hier nicht mehr gewöhnt war, der aber durchaus dem allgemeinen Empfinden entspricht. Ich lege die Wiedergabe dieser Note in einem Ausschnitt aus dem Berlin er Tageblatt bei. Es wird sich zeigen, was Frankreich antwortet. Der Gewährsmann aus der demokratischen Partei, welcher der Regierung nahesteht, ist überzeugt, dass Frankreich auf einen Konflikt zutreibe, der ihm die Möglichkeit, oder besser gesagt den Vorwand bieten soll, um das ganze Ruhr gebiet zu besetzen und dadurch Deutschland von aller Kohlenzufuhr abzuschneiden. Dieses Vorgehen würde Deutschland in der Tat am Lebensnerv treffen, denn ohne Saar- und Ruhr kohle kann das deutsche Wirtschaftsleben nicht wieder aufkommen. Sollte diese Gefahr sich verwirklichen, dann wird es, das ist auch meine Überzeugung, in Deutschland zu sehr ernsten Ereignissen kommen, die entweder zum Bürgerkrieg oder zur Diktatur mit einer levée en masse führen können.
Ob die Voraussetzung, von welcher mein Gewährsmann ausgeht, zutreffend ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber es ist doch nicht zu übersehen, dass die schroffe Note Frankreichs den ersten Akt internationaler Politik darstellt, den Clemenceau nach seinem eklatanten Wahlsieg unternommen hat. Wenn es in dieser Tendenz weitergeht, dann kann die Lage nicht ernst genug betrachtet werden. Nach allem ist leider nicht zu erwarten, dass die französische Regierung rechtzeitig einsehen werde, dass der Untergang Deutschland s, den sie ja freilich in der Hand hat, wohl auch zum Schaden Frankreichs ausfallen würde. Herr Haguenin, der französische Delegierte in Berlin, der eben von Paris zurückgekehrt ist, sieht dies sehr wohl ein und beklagt die Haltung seiner Regierung, aber auch er ist machtlos.
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