Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.3 Autriche
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 126
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1245* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 521 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 34 (1919–1919) |
dodis.ch/44337
Nachdem der neue Staatssekretär für Finanzen Dr. Reisch sein Finanzexposé, das ich Ihnen in der Wiedergabe der Neuen Freien Presse zusandte, der Nationalversammlung vor getragen hatte, hielt ich es für angezeigt, dem Staatskanzler und Vorsteher des Staatsamtes für Äusseres, Dr. Renner, die Gravamina der Schweiz in verschiedenen wirtschaftlichen Fragen in Erinnerung zu rufen und bei ihm auf Abhilfe zu dringen.
Ich hatte nun heute morgen eine längere Unterredung mit Renner, wobei ich ihm Memoranden über folgende Angelegenheiten übergab:
1. Steuerfluchtgesetz.
2. Vermögensabgabe und sichernde Massnahmen.
3. Guthaben in ungestempelten Noten.
4. In der Schweiz erliegende ungestempelte Noten und Schuldverschreibungen der Monarchie.
5. Kriegsschäden.2
Im allgemeinen verwies Dr. Renner natürlich zunächst auf die beinahe unüberwindlichen finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich das Land befinde und die absolute Notwendigkeit, soviel Geld einzutreiben als nur möglich. Eine Hauptschuld daran, dass auch die Neutralen in Mitleidenschaft gezogen sind, gibt er dem Frieden von St. Germain; er anerkennt aber, dass in Sachen der Sperren und ähnlicher Massregeln vielleicht des Guten zuviel geschehen sei; wie der Staatssekretär der Finanzen angedeutet habe, werde aber demnächst mit dem Abbau dieser Massregeln, welche eine Neubelebung des Geschäftslebens hemmen, begonnen werden. Sie haben andererseits lesen können, dass Dr. Reisch eine subjektive und eine objektive Vermögensabgabe in Aussicht genommen hat; die eine belastet den einzelnen Steuerpflichtigen, die andere das Steuerobjekt wie z. B. Immobilien, Aktien etc. Wie ich Ihnen nun schon telegraphisch mitteilte3, sagte mir Renner, aber vertraulich, dass die Befreiung der Ausländer von der Zahlung der subjektiven Vermögensabgabe beabsichtigt sei. Ich betrachte dies als ein ganz erhebliches Ergebnis unserer Proteste; ich sage absichtlich «unserer», denn in allen diesen finanziellen und wirtschaftlichen Diskussionen und Reklamationen ist die Schweiz stets als Vorkämpfer in erster Linie gestanden; dies ist übrigens auch ganz natürlich, nachdem die Schweiz wohl der interessierteste unter den Neutralen ist. Bei der Frage der Guthabensperre machte ich den Staatskanzler auch speziell auf die Ungerechtigkeit aufmerksam, welche darin bestehe, jemanden zu verhindern, über sein Guthaben zu verfügen, zu einer Zeit, wo die Krone vielleicht noch 25 oder 30% wert war und es dann erst freizugeben, wenn die Krone nur mehr 5% gelte; es könne da die Frage entstehen, ob der Staat nicht schadenersatzpflichtig gemacht werden könnte. In Beziehung auf das Steuerfluchtgesetz insistierte ich auf die Ungerechtigkeit und Vertragswidrigkeit einer Massregel, welche im Hinblick auf eine noch nicht bestehende Steuer einen Schweizer verpflichte, bei seinem Wegzuge aus dem Lande einen Teil seines Vermögens zurückzulassen. Der Staatskanzler gab die Härte der Massregel zu und suchte sie, inbezug auf Billigkeit, nicht zu verteidigen; er meinte aber, wenn schweizerische Vermögen in Österreich zurückgehalten würden, so seien dafür soviele österreichische Vermögen in die Schweiz geflüchtet, dass diese als ganzes kaum der verlierende Teil sein könne; er wäre gerne bereit, auf Unterhandlungen wegen einer günstigeren Behandlung unserer Landsleute in fiskalischer Beziehung einzutreten, wenn die Schweiz geneigt wäre, ihm ihre Beihilfe zu gewähren, bei der Erfassung der zu uns, meist auf Schleichwegen, umgezogenen österreichischen Steuerzahler und Vermögen. Ich entgegnete, dass wir in der Tat an manchen dieser Steuerzahler gar keine Freude hätten und sie mit dem grössten Vergnügen ihrem Vaterlande zurückerstatten würden, dass aber vielfach die rechtlichen Grundlagen zu solchen Massregeln fehlen würden; was aber die Vermögen dieser Leute betreffe, so wäre es, wenn wir auch wollten, sehr schwer, dieselben zu ergreifen, da bei uns das Bankgeheimnis ein streng gehandhabtes Prinzip sei.
Im übrigen machte ich den Staatskanzler noch darauf aufmerksam, dass es eigentümlich berühren müsse, wenn allen unsern Reklamationen gegenüber so wenig Entgegenkommen gezeigt werde, indessen alle paar Tage die Schweiz um ihre finanzielle Hilfe in dieser oder jener Form angegangen werde. Ich erwähnte dabei die Frage unserer Beteiligung an der Gründung einer Notenbank, ein Projekt über ein Valutaanleihen gegen Einsetzung der Staatsmonopole (worüber ich Ihnen separat berichten werde) und die bei mir gemachten Schritte wegen Belehnung der Kunstschätze mit 50 Millionen Franken.
Dr. Renner versprach mir, dafür sorgen zu wollen, dass uns endlich einmal auf unsere verschiedenen Reklamationen geantwortet werde und stellte auch eine neuerliche wohlwollende Prüfung derselben in Aussicht.
Was die Kriegsschäden im eigentlichen Sinne anbetrifft, so interpretiert der Staatskanzler den Vertrag von St. Germain in dem Sinne, dass alle eigentlichen Kriegsschäden z. B. Zerstörung eines Hauses durch Geschützfeuer, zunächst bei demjenigen Staate geltend zu machen sind, auf dessen Boden z. B. das beschädigte Objekt liegt, und dieser Staat wird dann den Schaden in die Rechnung gegen Österreich einstellen. Unsere Landsleute also, die in den italienisch gewordenen Gebieten Kriegsschäden erlitten hätten, müssten sich an die italienische Regierung um Ersatz wenden. Anders verhält es sich mit den Forderungen, welche auf Requisitionen und ähnliche Kriegsleistungen oder auf Plünderungen und ähnliche widerrechtliche Taten beruhen. Diese seien bis jetzt dem liquidierenden ehemaligen K. und K. Kriegsministerium, bezw. der bei demselben amtierenden Liquidationskommission, unterbreitet worden. Diese Kommission bestehe nun aus je einem Vertreter der verschiedenen Successionsstaaten (Österreich habe auch nur einen), und da geschehe es immer wieder, dass die übrigen Successionsstaaten einen Block für ihre eigenen Reklamationen bilden und diese in erster Linie, dann die österreichischen und die neutralen erst recht in letzter Linie berücksichtigt werden. Nach dem Frieden von St. Germain wisse man nun, dass in Zukunft Österreich allein für diese Schulden werde aufkommen müssen, und da werde es auch für die hiesige Regierung möglich werden, wohlbegründete Begehren neutraler Geschädigter zur Geltung zu bringen. An eine volle Auszahlung sei indessen nicht von vorneherein zu denken, aber Anzahlungen wenigstens dürften dann bald erhältlich sein.
Was das Zuckerabkommen anbetrifft, scheint der Staatskanzler auch auf dem Standpunkte zu stehen, dass die österreichische Republik nicht dafür aufzukommen habe. Da ich noch nähere Instruktionen über den von mir einzunehmenden Standpunkt erwarte, glaubte ich, auf diesen speziellen Punkt nicht stärker insistieren zu sollen als dass ich ihn in der Zahl unserer wirtschaftlichen Beschwerden namhaft machte.
Ich war auf dem Punkte, mich zu verabschieden, als Dr. Renner bemerkte: «Und jetzt noch Vorarlberg. Ich begreife ganz wohl, dass in einem demokratischen Staate mit Rede- und Pressefreiheit das Anschlussanerbieten eines Nachbarlandes nicht mit Stillschweigen übergangen werden kann; ich muss aber doch bemerken, dass ich nicht dulden kann und nicht dulden werde, dass die Vorarlberger in der Schweiz oder anderswo für die Lostrennung Vorarlbergs agitieren, noch, dass Ausländer im Vorarlberg sich im gleichen Sinne betätigen. Eine solche Tätigkeit müsste geradezu als Landesverrat angesehen werden, und wenn ich sie als Staatskanzler zulassen sollte, würde ich mich des gleichen Verbrechens schuldig machen. Seit der Friede von St. Germain geschlossen ist, stehen die Grenzen der Republik Österreich fest und ist nicht mehr daran zu rütteln. Eine Konzession will ich machen, dass nämlich die Vorarlberger, wenn sie dann noch gleichen Sinnes sind, ihre Trennungsbestrebungen beim Völkerbunde anhängig machen dürfen und zwar durch unsere Vermittlung, wobei wir uns Vorbehalten müssen, unsere Gegenargumente geltend zu machen; aber weiter können wir nicht gehen, und ich betrachte dies schon als eine grosse Konzession. Glauben Sie, Frankreich z. B. würde gestatten, dass etwa Strassburg beim Völkerbunde ein Begehren nach Anschluss an Deutschland vorbringe? Ich anerkenne gerne das absolute korrekte Verhalten der Eidgenossenschaft, der Bundesregierung als solcher, aber ich glaube doch, vorgehende Bemerkungen mir erlauben zu dürfen.»
Dieser ziemlich scharfe, von mir in keiner Weise provozierte Ausfall des Staatskanzlers ist wohl durch die in jüngster Zeit in verschiedenen Schweizerblättern (z. B. Bund und Neue Zürcher Zeitung) erschienenen, ein energisches Vorgehen verlangenden Artikel provoziert worden. Ich erwiderte, ich sei weder beauftragt noch ermächtigt, die Vorarlberger Frage mit der hiesigen Regierung zu besprechen, meine Bemerkungen dürften daher nur als rein persönliche Ansichten betrachtet werden. Ich möchte mich auf die Frage überhaupt nicht einlassen, sondern nur die Vermutung aussprechen, dass schweizerischerseits möchte erwartet worden sein, es würde den Vorarlbergern in St. Germain Gelegenheit gegeben werden, ihre Wünsche beim Obersten Rat anzubringen. Dann seien Stimmen laut geworden, das Verhalten Österreichs Vorarlberg gegenüber stimme nicht zu dem von ihm nach anderer Richtung hin geltend gemachten Selbstbestimmungsrecht der Völker. Endlich sei in jüngster Zeit wieder mehr, wenn auch nicht von autoritativer Seite, vom Anschlüsse Österreichs an Deutschland die Rede gewesen, und da sei doch nicht einzusehen, warum Deutschland ein besseres Recht, sich das Vorarlberg einzuverleiben, haben sollte, als dass die Schweiz dasselbe in ihren Bund aufnähme. Das seien nur so einige Gesichtspunkte die von seiten unserer Anschlussfreunde geltend gemacht werden könnten.
Am unangenehmsten war Renner durch meine Anspielung auf die Vorgänge in St. Germain berührt. «Die Vorarlberger hatten einen Vertreter in St. Germain», sagte er, «aber ich allein war berufen und berechtigt, Mitteilungen an den Obersten Rat (und zwar nur schriftlich) gelangen zu lassen, und Mitteilungen des Vorarlberger Landeshauptmannes wären vom Rat gar nicht entgegengenommen worden; die Vorarlberger Frage ist übrigens, und zwar auch auf Betreiben von schweizerischer Seite, behandelt worden; sie ist aber in ganz bestimmter Weise im Sinne des Verbleibens bei Österreich entschieden worden; alle Staaten waren dafür, mit Ausnahme Frankreichs, welches an eine Angliederung an die Schweiz dachte. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker», fuhr Renner fort, «hat nicht den Sinn, dass sich irgend ein Teil eines Volkes von seinem Stamme ohne weiteres trennen dürfe, wenn es ihm beliebe; das Recht sei nur für diejenigen Volksteile proklamiert worden, welche, von ihrem Nationalstamme losgetrennt, mehr oder weniger unter einer fremden Herrschaft stehen wie z.B. bis vor kurzem die Italiener des Trentin und jetzt die Deutsch-Böhmen (das war der Sinn der Rede; die Deutsch-Böhmen wurden nicht ausdrücklich genannt).» Auf die neuesten Bestrebungen für den Anschluss Österreichs an Deutschland liess sich der Staatskanzler nicht ein und, da ich keinen Wunsch haben konnte, das Vorarlbergerthema weiter auszuspinnen, insistierte ich auch nicht meinerseits.
Ausser den oben behandelten Fragen berührte der Staatskanzler noch die der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung; er schreibt das Verdienst am bisherigen relativ ruhigen Gang der Ereignisse natürlich einzig und allein den Sozialisten zu; in seine Partei hätten die Proletarier Vertrauen und darum hätten sie sich trotz all ihrer Leiden bisher ruhig verhalten etc. Man merkt dem Vorsteher des Staatsamtes für Äusseres noch öfters an, dass ihm die Phrasen des Volksredners bis jetzt geläufiger waren als diplomatische Konversationen, doch merkt er bald, wenn Tiraden, die für die Tribüne geschaffen sind, nicht «ziehen» und ist dann ein ganz gewandter Konversationsmensch. Sein äusseres Auftreten ist ganz bürgerlich.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Wien, Archiv-Nr. 34. Paraphe: TS.↩
- 2
- En raison de leur extrême technicité et du nombre élevé de documents qu’il aurait fallu publier pour en permettre la compréhension, il n 'a pas été possible de documenter dans le présent volume les différends relatifs aux questions fiscales ou touchant au droit de propriété qui opposaient la Suisseàses voisins, en particulier à l’Autriche, l’Allemagne et l’Italie, autant que l’importance des intérêts en jeu l’aurait requis. Pour un aperçu de ces questions, cf. Rapport du Conseil fédéral à l’Assemblée fédérale sur sa gestion en 1919, pp. 43–48; voir aussi no 251.↩
- 3
- Cf. E 2200 Wien 10/3.↩
Tags
The Vorarlberg question (1919)