Persönlich. Streng vertraulich
Berlin, 20. Oktober 1919
Im Nachgange zu meinem Berichte vom 18. laufenden Monats2 über eine Unterredung mit dem Minister des Auswärtigen, Müller, betreffend die Angelegenheit einer angeblichen Vereinbarung zwischen den beidseitigen Generalstäben erlaube ich mir mitzuteilen, dass gestern mein Gewährsmann, der unabhängige Sozialist Dr. Cohn neuerdings bei mir war, und dass ich den Anlass benutzt habe, um ihn zu fragen, ob anzunehmen sei, dass noch andere Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses Kenntnis haben von dem bewussten Aktenstück und ob mit der Möglichkeit gerechnet werden müsse, dass der Inhalt jener Notiz an Parteigenossen der Unabhängigen in der Schweiz bekanntgegeben worden sei.
Herr Dr. Cohn versicherte mich, dass er durch den Abgeordneten Kautsky, dem bekanntlich die Sichtung des Materials auf dem Auswärtigen Amt übertragen war, Kenntnis erhalten habe von jenem Aktenstück und dass Kautsky ihn versichert habe, er werde den Inhalt dieses Aktes streng geheim halten, nachdem er wisse, dass der Schweiz eine Veröffentlichung unerwünscht wäre.
Auf meine positive Anfrage, ob anzunehmen sei, dass Parteigenossen der Herren Kautsky und Cohn in der Schweiz Kenntnis erhalten haben oder werden von jenem Aktenstück, erklärte mir Dr. Cohn in sehr bestimmter Weise, dass er diese Möglichkeit für jetzt und für die Zukunft ausschliesse. Er fügte ungefähr wörtlich bei: «Dabei setze ich allerdings voraus, dass der Schweizerische Bundesrat, wenn die Untersuchung ergeben sollte, dass Übergriffe der Militärs in die Kompetenzen der politischen Behörden stattgefunden haben, die nötigen Anordnungen treffen werde, um solche Handlungsweise zu missbilligen und eine Wiederholung für die Zukunft unmöglich zu machen.»
Ich habe darauf geantwortet, dass ich selbstverständlich keine Zusicherung nach dieser Richtung geben könne, aber durchaus überzeugt sei, dass der Bundesrat von sich aus im Sinne des geäusserten Wunsches handeln werde, weil ein solches Handeln in den Richtlinien der allgemeinen schweizerischen Politik liege.
Herr Dr. Cohn erklärte mir neuerdings, dass für ihn eine Veröffentlichung dieses Dokumentes nicht mehr in Frage komme und dass er sie überhaupt nur in Aussicht genommen hatte, um dadurch eine Waffe gegen den Übergriff des Militarismus in die Hand zu bekommen.
Damit betrachte ich nun diese Angelegenheit vorläufig als erledigt und zwar halte ich die Art der Erledigung für so befriedigend als möglich.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir seinerzeit mitteilen wollten, welches Ergebnis die Untersuchung des Vorstehers des Militärdepartementes gehabt hat und benütze gern auch diesen Anlass, um Sie, Herr Bundesrat, meiner ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.