Persönlich. Streng vertraulich
Berlin, 18. Oktober 1919
Zu Folge Ihres Briefes vom 14. 1. Mts.2 betreffend die angebliche Vereinbarung zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Generalstab war ich heute beim Aussenminister Müller, um ihm persönlich den dringenden Wunsch auszusprechen, dass von einer Veröffentlichung der fraglichen Notiz des deutschen Generalstabes Umgang genommen werde.
Herr Müller war über die Sache genau unterrichtet und erklärte mir sofort, dass die Regierung eine solche Publikation unter keinen Umständen zulassen werde. Die Gefahr einer Indiskretion durch Private sei freilich nicht unbedingt ausgeschlossen, weil der bekannte Unabhängige Kautsky, dem die Sichtung des Aktenmateriales seiner Zeit übertragen worden sei, Kenntnis habe von bewusstem Aktenstück. Der Minister habe sich aus eigenem Antriebe mit Kautsky ins Einvernehmen gesetzt und von diesem die ganz bestimmte Erklärung erlangt, dass auch er unbedingt gegen die Veröffentlichung sei. Unter diesen Umständen könne wohl die Zusicherung in aller Form gegeben werden, dass in der amtlich bewilligten Veröffentlichung von jenem Aktenstück gar nicht die Rede sein werde. Inzwischen sei aber festgestellt worden, dass ein angehender Privatdozent im Begriffe stehe, privatim Aktenstücke zu veröffentlichen, welche auf bisher unaufgeklärtem Wege zu seiner Kenntnis gelangt seien. Der Minister habe sich die bezüglichen Druckbogen vorlegen lassen und festgestellt, dass jene Notiz darin nicht enthalten sei.
Trotz dieser Sachlage könne natürlich nicht mit absoluter Gewissheit versichert werden, dass nicht durch eine andere private Indiskretion das Dokument gelegentlich in die Öffentlichkeit gelange, denn es müsse leider mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass Freunde von Kautsky Kenntnis erhalten haben von solchen Akten. Unter diesen Umständen bestehe natürlich die Möglichkeit, dass einer dieser Herren gelegentlich einem seiner Freunde in der Schweiz (der Minister nannte die Namen Grimm, Platten, Nobs), Kenntnis gebe oder gegeben habe von dem fraglichen Aktenstück. Der Minister versicherte mich, dass er vor der Hand keinerlei Anhaltspunkte habe für eine solche Annahme, er halte sich aber für verpflichtet, mich auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen. Selbstverständlich werde die Regierung auch nach dieser Richtung tun, was ihr irgend möglich sei, um eine Indiskretion zu vermeiden, denn es sei ihr daran gelegen, um jeden Preis eine Aktion zu verunmöglichen, welche der Schweiz Verlegenheiten bereiten könnte.
Ich werde morgen Gelegenheit haben, die Sache mit dem Unabhängigen Dr. Cohn zu besprechen und werde mich neuerdings persönlich dafür einsetzen, dass er jeder möglichen Indiskretion in den Weg trete. Natürlich muss ich dabei sehr vorsichtig zu Wege gehen, denn es steht zu befürchten, dass zu grosse Insistenz den gegenteiligen Effekt haben würde. Es sind eben Unabhängige!
Anlässlich unserer Besprechung kam Herr Müller auch auf die sog. Mission Sulzer zu sprechen und versicherte mich, dass auch über diesen Punkt, der ja an sich ganz unverfänglich sei, jede amtliche Publikation unterbleiben werde.