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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 7-I, Dok. 202
volume linkBern 1979
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7350#1000/1104#144* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7350(-)1000/1104 51 | |
Dossiertitel | Allgemeines über die Kohlenversorgung der Schweiz (1914–1918) | |
Aktenzeichen Archiv | 5.3.05 |
dodis.ch/43947
Les Délégués du Conseil fédéral pour les Questions économiques et industrielles, H. Heer et H. Grobet-Roussy, au Chef du Département de l’Econonomie publique, E. Schulthess1
ENGLISCH-FRANZÖSISCHER ZWISCHENFALL BETR. KOHLE
Wir konnten erst heute auf Ihre Depesche No .43 antworten (Brief v. 22. trifft soeben ein!),2 weil wir am Samstag keine Gelegenheit mehr fanden, weitere Schritte zu tun. Wir haben jedoch heute Vormittag verschiedene Massnahmen zur Aufklärung der Situation getroffen, deren Resultat wir soeben per Depesche an Sie gemeldet haben3. Wir möchten uns erlauben, nachstehend diese Meldung zu ergänzen.
1.) Mitteilung der deutschen Note an Frankreich. Wir begreifen sehr wohl, dass die bundesrätliche Delegation bezüglich der Wirkung dieser Mitteilung ängstlich war. Eigentümlicherweise waren wir, obwohl in der überhitzten Atmosphäre von Paris lebend, ohne Sorgen nach dieser Richtung, hatten wir doch schon diesbezüglich konstatieren können, anlässlich unserer ersten Besprechung mit den französischen Delegierten, dass man ganz ruhig über die Frage der Zahlung der zu liefernden Kohlen und der Stellung Deutschlands dazu mit ihnen sprechen konnte. Wir legen unserm heutigen Berichte das inzwischen eingetroffene offizielle Protokoll vom 5. Febr. bei,4 worin Sie Seite 11 bemerken werden, dass wir die Zahlungsfrage schon einmal besprochen hatten, allerdings ohne damals ausdrücklich auf die deutsche Note zu verweisen.
Die Wiederverwendung dieser Frage als Vorwand für den Unterbruch unserer Verhandlungen erschien uns daher durchaus nicht gefährlich.
Wir haben nun zur Beruhigung der bundesrätlichen Delegation unter der Hand uns noch bei einer einwandfreien Stelle darüber erkundigt, ob Herr Seydoux durch die Verwendung der deutschen Note froissiert worden sei, und wir freuen uns mitteilen zu können, dass der Unterbruch unserer Verhandlungen keinesfalls auf diesen Grund zurückzuführen ist.
Wir glauben daher nicht, dass in dieser Sache es nötig sein wird, einen Schritt nach rückwärts zu tun. Wir würden dadurch bloss die Unterhändler der Gegenpartei auf etwas stossen, woran sie selbst nicht gedacht zu haben scheinen.
2.) Verheimlichung des Umstandes, dass England zum Abbruch der Verhandlungen zwang. Wie wir bereits mitgeteilt haben, sagte uns Herr Waterloo bei der ersten Besprechung, dass er im Aufträge der englischen Regierung handle. In diesem Sinne mussten wir auch seine Ablehnung, uns dieses Argument benutzen zu lassen, auffassen. Wir fürchten, dass ein Schritt des Herrn Dunant beim englischen Botschafter nichts genützt hätte, weil erfahrungsgemäss derselbe seinen Untergebenen nicht blossgestellt hätte. Wir haben selbstverständlich Waterloo deutlich erklärt, dass wir die Verhandlungen mit Frankreich nicht abbrechen könnten, worauf er uns auf die Gefahren, deren Detail wir Ihnen weiter unten mitteilen, aufmerksam machte. Obwohl er damals nicht so präzis sich ausdrückte, wurden wir uns der Gefahr durchaus bewusst. Wir haben aber auch nichts unterlassen, um Waterloo Gelegenheit zu geben, von seinem Verbot, das Argument der Intervention Englands zu verwenden, zurückzutreten. Deswegen allein haben wir ihn 24 Stunden später noch einmal aufgesucht und zwar auch deswegen, um den klaren und geraden Weg Frankreich gegenüber einhalten zu können. Er blieb aber dabei, obwohl er 24 Stunden Zeit gehabt hatte, unsere Gegengründe sich eingehend zu überlegen.
Wie stark der Eindruck seiner Weigerung auf uns war, mögen Sie daraus schliessen, dass wir nicht den Versuch wagten, Herrn Dunant zu veranlassen, den Botschafter dennoch aufzusuchen.
Soviel möchten wir noch zur weitern Illustration unserer Überlegungen nachträglich beifügen.
Wir haben nun über den Sonntag versucht, sowohl den Wünschen Ihrer Depesche Rechnung zu tragen als auch unserm Wunsche, mit Herrn Seydoux wieder in Konversation zu kommen, Gehör zu verschaffen. Dafür schien uns eine neue Kontaktnahme mit Waterloo das geeignetste Mittel. Wir haben ihn daher heute Vormittag aufgesucht, und erhielten von ihm folgende Mitteilungen:
Er bedaure ausserordentlich, dass er uns diese unangenehme Geschichte eingebracht habe. Wir sollten aber unserer Regierung mitteilen, dass nur dadurch, dass wir sofort gehandelt hätten, der Schweiz eine sehr ernste Lage erspart bleiben werde. Die englische Regierung hätte nämlich beabsichtigt, im Weigerungsfälle sowohl seitens Frankreich als seitens der Schweiz, die Kohlenversorgung der Schweiz überhaupt in Frage zu stellen. Nicht nur wäre die Ausfuhr englischer Kohle nach Frankreich in demselben Masse reduziert worden als Frankreich der Schweiz Kohlen zusicherte, sondern England hätte auch die bereits der Schweiz versprochenen Kohlen nicht ausführen lassen. Auf Belgien übergehend, teilte uns Waterloo mit, dass England auch diesem Lande Kohlen liefere und daher nicht gestatten könne, dass Belgien uns Lieferungen mache, ohne sich mit der britischen Regierung verständigt zu haben. Waterloo hat also in gewisser Beziehung recht, wenn er sagte, dass durch ein Embargo auf englischer Kohle die gesamte gegenwärtig mögliche Belieferung der Schweiz in Frage gestellt worden wäre.
Er sagte ferner, dass nun die Verhandlungen zwischen England und Frankreich in vollem Gange seien und voraussichtlich diese Woche zu Ende gehen werden, worauf wir dann zur Diskussion des anglo-französisch-schweizerischen Kohlenabkommens zugezogen würden. (Ganz ähnlich lauten die Berichte, welche wir unter der Hand privatim vom Blocus erhalten haben, wonach wir erst wieder zur Besprechung eingeladen würden, wenn sämtliche Fragen mit den Alliierten, bzw. mit England, bereinigt sind.)
Das anglo-französisch-schweizerische Kohlenabkommen wird nicht mehr nur unsere bisherigen Abmachungen mit Frankreich enthalten, sondern ebenfalls die Kohlenlieferung Englands. Wir glauben, dass diese Kombination zu begrüssen ist, weil dadurch eine grössere Bindung auch Englands hinsichtlich der Kohlenlieferungen eintritt.Betreffend die Zahlungen wird wahrscheinlich auch ein neuer Modus eingeschlagen werden, indem England verlangt, dass Frankreich ihm einen Teil der aus der Lieferung der Saarkohlen sich ergebenden Disponibilitäten in Schweizerfranken abtritt. Daraus ergeben sich natürlich wieder allerlei unerfreuliche Ausblicke, weil Frankreich suchen wird, sich bei uns zu erholen. Wir werden daher uns bemühen müssen, auch diese Frage noch in Gegenwart der Alliierten endgültig zu erledigen, damit nicht in den Separatverhandlungen wir die allein Geschädigten sind.
Aus diesen paar Details geht folgendes hervor:
1. dass wir uns nicht darüber Sorge zu machen brauchen, dass Frankreich die Verhandlungen mit uns etwa nicht wieder aufnehmen will,
2. dass unsere Aufgabe in hier durch die Intervention Englands wenigstens hinsichtlich der Kohlenversorgung nicht gerade erleichtert ist,
3. dass wir mit Belgien eine klare Situation noch schaffen müssen, um spätere Schwierigkeiten mit England sowohl Belgien als uns zu ersparen.
Wir benutzten nun die Gelegenheit, Waterloo aufzufordern, uns nun nachträglich zu autorisieren, Frankreich Mitteilung über das Gehörte zu machen. Waterloo willigte ein, dass wir Seydoux mitteilen, wir seien von englischer Seite benachrichtigt worden, dass Verhandlungen zwischen England und Frankreich bezüglich der Kohlenlieferungen an die Schweiz gegenwärtig stattfinden und dass diese Grund seien der Verzögerung in der Wiederaufnahme der schweizerisch-französischen Unterhandlungen. Wir möchten nun vorschlagen, unterdessen wenigstens die Besprechungen hinsichtlich der sich aus Art. 9 & 10 des Washingtoner Abkommens ergebenden Fragen wieder aufzunehmen. Herr Dunant würde mit Herrn Seydoux mündlich diese Frage besprechen und gegebenenfalls beifügen, dass unser Vorgehen vom letzten Dienstag, wie sich seither ergeben habe, auf zum Teil irrtümlichen Annahmen beruhe. In dieser oder einer ähnlichen Form würde damit den Wünschen Ihrer Depesche und Ihrem Brief vom 22. Febr. Rechnung getragen, und wir glauben hoffen zu dürfen, dadurch die Sache wieder ins Geleise zu bringen. Sollte dies nicht genügen, so würde Herr Dunant versuchen, von Herrn Seydoux den Vorschlag einer geeigneten Formel zu provozieren, welche wir dann schriftlich bestätigen werden.
Obwohl die vorstehenden Aufklärungen schon sehr lang geworden sind, haben wir trotzdem das Gefühl, dass es nicht möglich ist, auf schriftlichem Wege alle Gründe zu würdigen, welche wir täglich unserer Tätigkeit zu Grunde legen, und es ist daher für Ihre Delegation eine grosse Beruhigung, konstatieren zu dürfen, dass sie trotz der konstatierten Meinungsverschiedenheit das Vertrauen des Bundesrates weiter geniessen darf. Die Delegation war sich vollständig der Tragweite ihres Handelns bewusst als sie glaubte, ihr Vorgehen durch Instruktionen seitens des Bundesrates erklären zu müssen; und wenn sie glaubte, für einmal in dieser Weise vorgehen zu müssen, so darf sie jetzt ruhig die Versicherung abgeben, dass sie kein zweites Mal zu diesem Mittel greifen wird, komme was da wolle.
Wir glaubten diese Zusicherung an dieser Stelle auf alle Fälle noch geben zu müssen, möchten aber bitten, das Ungewöhnliche unseres Vorgehens mit den sehr ernsten Zuständen in hier erklären zu wollen.
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Wirtschafts- und Finanzverhandlungen mit den Alliierten (Erster Weltkrieg)