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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 7-I, doc. 194
volume linkBern 1979
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#252* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 126 | |
Titre du dossier | Den Haag, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 2 (1919–1920) |
dodis.ch/43939
Es wird Sie gewiss interessieren, zu vernehmen, dass wir kürzlich hier in Bern eine längere Aussprache mit Hrn. Unterstaatssekretär Toepffer vom Auswärtigen Amt und verschiedenen Herren der hiesigen Gesandschaft gehabt haben, in welcher Unterredung von unserer Seite alle die gegenwärtig mit Deutschland pendenten Fragen ziemlich einlässlich erörtert worden sind. Wir beehren uns, Ihnen ein ganz kurzes Résumé dieser Besprechung bekannt zu geben:
1.) Deutsch-schweizerischer Handels- und Zollvertrag.
Wir machten nochmals mit aller Bestimmtheit darauf aufmerksam, dass unser Wunsch, den Vertrag zu kündigen, in keiner Weise auf irgendwelche unfreundliche Stimmung zurückzuführen ist, sondern dem begreiflichen Bestreben entspringt, möglichst gleichzeitig nach allen Seiten freie Hand zu bekommen. Wir sprachen die Bitte aus, spätestens auf ersten März über die Stellungnahme Deutschlands orientiert zu werden. Sollte bis dahin deutscherseits unserm Vorschlag, den Vertrag auf 20. September 1919 als aufgelöst zu betrachten, nicht beigestimmt werden können, so müsste zur sofortigen Kündigung auf ein Jahr geschritten werden.
2.) Kohlenpreisrabatt für Hausbrandbezüge.
Wir weisen darauf hin, dass die Summen, welche Deutschland zu diesem Zwecke an uns zu bezahlen hat, an die Kantone und Gemeinden weitergegeben werden müssen und dass wir seit langer Zeit von diesen Stellen aus täglich mit Anfragen bestürmt werden. Es liegt auf der Hand, dass eine ablehnende Antwort auf unsern, Ihnen bekannten Vorschlag, nicht nur bei den Bundesstellen, sondern auch bei allen Kantonen und Gemeinden, die auf diese Beiträge rechnen, ausserordentlich ungünstigen Eindruck machen müssten. Wir ersuchten deshalb nachdrücklich um umgehende Mitteilung, dass man sich unserm Vorschläge, der von den Herren Löwengard und Ludwig Schwarz gebilligt worden war, anschliesse und mit der Auszahlung der bereits seit Mitte November 1918 ausstehenden Beträge nicht länger zurückhalte.
3.) Kohlenpreis.
Wir stellten zunächst die allgemeine Lage unserer Kohlenversorgung dar: Aus dem Saar gebiet erhalten wir monatlich ca. 60’000 Tonnen zu Fr. 110.- bis 120.-, zahlbar an Frankreich. Weiter sind uns zugesagt 15.000 Tonnen Braunkohlenbriketts aus der Köln ergegend, zahlbar an die deutschen Zechen. Ferner ist uns von Belgien die Lieferung von 60.000 Tonnen zugesagt worden, und zwar zu einem Preise, der keinesfalls den Preis der Saar kohle überschreiten soll. Es ist Aussicht vorhanden, dass die Preise für diese belgischen Kohlen, sogar wesentlich unter dem Saar kohlenpreise bleiben. Ferner haben wir Angebote für englische und amerikanische Kohlen, ohne bis jetzt den Preis zu kennen, und endlich stehen wir in Unterhandlung über den Bezug von monatlich 60 bis 75’000 Tonnen bömischer Braunkohle, die zu einem Preise von 70 bis 100 Fr. offeriert werden.
Selbstverständlich ist mit diesen Angeboten, deren Realisierung erhebliche Transportschwierigkeiten entgegenstehen, unsere Kohlenversorgung nicht gesichert. Überall muss die Schweiz zur Abholung der Kohle ganz oder teilweise eigenés Transportmaterial zur Verfügung stellen. Es ist selbstverständlich, dass dieses Material in erster Linie dahin geschickt wird, wo die besten Bedingungen gestellt werden. Geht somit Deutschland mit seinen ausserordentlich übersetzten Preisen nicht erheblich zurück, so besteht die Gefahr, dass wir dann schliesslich für die Ruhr kohle kein Transportmaterial mehr zur Verfügung haben und Deutschland als Kohlenlieferant der Schweiz zu unserm Bedauern, aber auch gewiss zu seinem Nachteil, wenigstens vorläufig, ausscheiden müsste. Es scheint uns, dass diese Überlegungen auf die deutschen Herren nicht ohne Eindruck geblieben sind.
4.) Wirtschaftsabkommen.
Deutschland hat sich durch seine Haltung anlässlich des Abkommens von Mai 1918 in der Schweiz ausserordentlich geschadet. Die Meinung ist deshalb hier weit verbreitet, es sollte mit diesem Lande ein Wirtschafts-Abkommen überhaupt nicht mehr geschlossen werden. Wir teilen diese Auffassung nicht, haben aber darauf hingewiesen, dass ein neues Abkommen nur dann in Betracht gezogen werden könnte, wenn Deutschland die Lieferung erheblicher Mengen von Kohle, Eisen und Stahl zu wesentlich tiefern Preisen in Aussicht stellt. Wir begreifen, dass dies heute unmöglich ist. Sobald sich die Verhältnisse so weit konsolidiert haben, dass deutscherseits die Lieferung dieser für uns wichtigsten Artikel wieder bestimmt versprochen werden kann, ist über ein neues Abkommen zu diskutieren. Vorläufig ist nur ein ganz formloses Kompensationsgeschäft in Aussicht genommen, wobei deutscherseits die Lieferung von Kunstdünger (Kalisalz und namentlich Thomasmehl) in Frage steht, die Schweiz ihrerseits Fleischkonserven, Marmelade, sog. kartenfreie Mehle und in sehr beschränktem Umfang kondensierte Milch liefern könnte. Die Sache kann erst näher bearbeitet und zum Abschluss gebracht werden, sobald Hr. Ludwig Schwarz, der wieder nach Berlin verreist ist, über die deutschen Lieferungen bestimmte Vorschläge macht.
5.) Durchfuhrverbote.
Während des Krieges hat Deutschland seine Durchfuhrverbote bekanntlich ausserordentlich rigoros gehandhabt, um die Schweizerkonkurrenz in den nordischen Staaten möglichst fern zu halten und genau zu kontrollieren. Seit Abschluss des Waffenstillstandes hat man uns immer wieder erklärt, diese engherzige Konkurrenzpolitik solle verschwinden. Man stellte sofortige weitgehende Erleichterungen in der Handhabung der Durchfuhrverbote in Aussicht - sie sind auch, wenigstens teilweise, eingetreten - und versprach die Aufhebung der Durchfuhrverbote überhaupt «sobald gewisse Verhältnisse abgeklärt seien». Seither sind mehr als 2 Monate verflossen und die Durchfuhrverbote bestehen immer noch. Diese bilden für unsere ohnedies ganz ausserordentlich notleidende Exportindustrie eine schwere und dadurch begründete Beeinträchtigung.
Unter Hinweis auf diese Momente haben wir dringend ersucht, man möge die Durchfuhrverbote nun endlich aufheben. Es ist uns dies auch in Aussicht gestellt worden. Hr. Töpfer fügte aber bei, es wäre wünschenswert, dass auch die Schweiz freien Transit zwischen Frankreich und Italien einerseits und Deutschland anderseits gestatte. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Schweiz Durchfuhrverbote überhaupt nie erlassen hat, und dass sie bei Handhabung der Ausfuhrverbote jegliche Konkurrenzrücksichten beiseite lasse. Dem Transit durch die Schweiz stehe deshalb nichts entgegen. Selbstverständlich könnten wir nicht zusehen, dass beispielsweise Eisen aus Deutschland über die Schweiz nach Italien rollt, ohne dass unsere eigene Eisenversorgung einigermassen sicher gestellt sei. Die Berechtigung dieses Vorbehalts haben die deutschen Herren ohne weiteres anerkannt.
6.) Deutsche Einfuhrverbote.
Unter Hinweis auf die Notlage unserer Exportindustrie haben wir ersucht, die deutschen Einfuhrverbote soweit als möglich aufzuheben oder in ihrer Handhabung doch eine bedeutend largere Praxis eintreten zu lassen.
7.) Verkauf des deutschen Besitzes in der Schweiz.2
Wir hätten vor allem aus Interesse, die in der Schweiz liegende deutsche Rohbaumwolle zu kaufen. Die hiesige Gesandtschaft hat uns bekanntlich den Verkauf von 3000 Ballen, eventuell sogar 7000 Ballen fest zugesichert, macht nun aber nachträglich Schwierigkeiten unter Hinweis darauf, sie habe ohne Ermächtigung aus Berlin gehandelt. Zudem ist mit Rücksicht auf die Waffenstillstandsbestimmungen die Zustimmung der Entente notwendig, die wir bereits vor langer Zeit nachgesucht haben. Frankreich ist einverstanden, dagegen scheint man in Amerika merkwürdigerweise Schwierigkeiten zu machen. Eine definitive Antwort ist noch nicht eingelangt. Jedenfalls sollte deutscherseits alles soweit vorbereitet werden, dass nach Eingang dieser Ermächtigung das Geschäft sofort abgeschlossen werden kann und zwar in möglichst hohen Quantitäten. Wir haben ein Interesse, unsere Spinner zu beschäftigen, und Deutschland kann sich auf diese Weise Devisen verschaffen.
8.) Preispolitik.
Sie haben vielleicht der Presse entnommen, dass sich in vielen Branchen unserer Industrie und unseres Gewerbes die Verhältnisse infolge der deutschen billigen Konkurrenz immer unerträglicher gestalten. Überall macht sich der schlechte Stand der deutschen Valuta zu unserem Nachteil geltend. Dazu kommt bei allen denjenigen Fabrikanten, welche auf den Bezug deutscher Kohle und deutschen Eisens angewiesen sind, die grosse Differenz zwischen den deutschen Inlandspreisen und den Exportpreisen. Es werden deshalb von allen Seiten Einfuhrverbote gegen deutsche Halb- und Fertigfabrikate verlangt. Das Volkswirtschaftsdepartement hat eine aus den kompetentesten Vertretern der Schweiz. Volkswirtschaft zusammengesetzte Expertenkommission mit der Begutachtung dieser Fragen beauftragt. Diese Kommission ist zum Schlüsse gekommen, dass mit allen Mitteln auf die Behebung dieser Preisdifferenz dieser Rohstoffe hingearbeitet werden muss und dass, sollte Deutschland nicht innert kürzester Frist den Schweizer-Fabrikanten den Bezug deutscher Kohle, deutschen Eisens und deutschen Stahls zum gleichen Preise in Mark ermöglichen wie ihn der deutsche Fabrikant zu bezahlen hat, dem Bundesrat der Erlass von Einfuhrverboten gegen Deutschland vorgeschlagen werden müsse. Hinsichtlich derjenigen Fälle, wo nicht die deutsche Preispolitik, sondern nur der Stand der Valuta für die Schweiz. Fabrikation gefährlich ist, kam die Kommission noch nicht zu einer abschliessenden Meinung. Wir möchten noch darauf hinweisen, dass aus der Mitte einer Versammlung von Industrie, Handel und Gewerbe, die auf unsere Einladung am 18. & 19. ds. die Übergangswirtschaft besprochen hat, sehr scharfe Worte gegen diese deutsche Preispolitik gefallen sind und die Stimmung der Versammlung - es waren über 250 Delegierte anwesend - in der überwiegenden Mehrheit für Erlass von Einfuhrverboten war.
Aus Ihrem Bericht vom 15. d. Mts., den wir Ihnen sehr verdanken, geht übrigens hervor, dass die natürliche Entwicklung der Dinge auf einen Ausgleich dieser fatalen Preisdifferenz hinwirkt. Immerhin bitten wir Sie, mit allem Nachdruck neuerdings vorstellig zu werden und darauf hinzuweisen, dass diese Frage gegenwärtig zu den brennendsten Problemen unserer Volkswirtschaft gehört.
9.) Rückzahlung fälliger Kredite.
Am 31. März nächsthin wird bekanntlich der Kredit von 18 Millionen Franken, der von der Schweizerindustrie im Frühling 1917 an Deutschland gewährt und seither mehrfach verlängert wurde, fällig. Unsere Industrie und auch die öffentliche Meinung erwarten bestimmt die pünktliche Rückzahlung dieser Gelder, die angesichts unserer gespannten Finanzlage dringend benötigt werden.
10.) Aus Mitteilungen, welche Herr Geheimrat Knipping mündlich gemacht hat, geht hervor, dass Deutschland in irgend einer Form von der Schweiz einen Kredit für die Devisen verlangt, die ihm dadurch entgangen sind, dass die Saar kohlen nicht an Deutschland sondern an Frankreich bezahlt werden müssen. Leider besteht keine Aussicht dafür, dass diesem Wunsche entsprochen werden kann. Unsere Finanzlage ist, wie angeführt, ausserordentlich gespannt, weshalb der Entente gegenüber weitere Kreditbegehren vom Bundesrate abgelehnt worden sind.
Sodann scheint in Berlin die Tendenz vorhanden zu sein, entgegen der bisher immer beidseitig vertretenen Auffassung, dass die Lieferung deutscher Kohle und deutschen Eisens nicht als Kompensation für schweizerische Milchprodukte etc. aufzufassen ist, als Gegenleistung für künftige Kohlenlieferungen von der Schweiz Vieh und Milchprodukte zu verlangen. Wir müssen dieser Tendenz mit allem Nachdruck entgegentreten, indem es uns schlechterdings vollkommen unmöglich ist, an diesen Waren noch irgendwie in Betracht fallende Mengen zu liefern. Zudem muss doch daran erinnert werden, dass die Entente, welche die Schweiz mit Lebensmitteln und wichtigen Rohstoffen versorgt, niemals diesen Kompensationsstandpunkt eingenommen hat.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Mitteilungen eine ungefähre Orientierung über die gegenwärtig schwebenden Fragen gegeben zu haben und möchten zum Schlüsse in Beantwortung Ihrer Anfrage vom 15. ds. nur noch bemerken, dass wir selbstverständlich durch andere [! gegenwärtig in Paris arbeitende Delegation das Möglichste tun, aus linksrheinischen Gebieten Eisen und Stahl zu erhalten. Die Aussichten hierfür sind nicht ungünstig. Genaueres können wir Ihnen zur Zeit noch nicht sagen.
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Énergie et matières premières Charbon