Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 156
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#103* | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 20 (1919–1919) |
dodis.ch/43901
l.J
Hier wird behauptet, Marschall Foch hätte sich dahin geäussert, er glaube, bis im Monat März werde Frieden herrschen.
Hiesige politisch-diplomatische Kreise glauben jedoch, Foch spreche zu sehr nur als Militär und zu wenig als Politiker und daher mit Bezug auf den Zeitpunkt des Friedensschlusses zu optimistisch.
Ausserdem hörte ich hier behaupten, Marschall Foch ärgere sich darüber, dass der Krieg durch einen Waffenstillstand statt durch einen Sieg und Einmarsch in Deutschland beendigt worden sei. Dadurch sei ihm der rechte Ruhm versagt worden. Dies sei ein Grund, warum er teilweise etwas zu schroff bei den Verhandlungen aufgetreten sei.
Nachträglich meinen hier manche Kreise, es wäre besser gewesen, Generalfeldmarschall von Hindenburg als Chef der deutschen Delegation zur Waffenstillstandskommission zu bezeichnen; Hindenburg wäre bei den Verhandlungen von Foch mehr respektiert worden als der Zivilist Erzberger.
Wie ich heute höre, soll der frühere Reichstagsabgeordnete Stresemann, Führer der deutschen Volkspartei, vor vierzehn Tagen in einer Wahlversammlung, in der er referierte, von Spartakisten derart verprügelt worden sein, dass er noch heute krank darniederliegt. - Auch ein Bild für die gegenwärtige Situation und Höhe der Kultur!
Professor Stein, der demnächst bei Ihnen in Bern vorsprechen wird, der häufig sehr gut orientiert ist, dessen Behauptungen man jedoch immer mit einer gewissen Vorsicht aufnehmen muss, erzählte mir heute, der Ullstein-Presse-Konzern (Vossische Zeitung, B.Z. am Mittag, Morgenpost etc.) bemühe sich, eine Verständigung mit Frankreich auf wirtschaftlich-politischem Boden anzustreben (gegenseitige Aushilfe mit den wichtigsten Produkten Kali, Kohle, Erze etc.)
Eine solche Verständigung sei namentlich auch gegen die heute nicht angängige Sozialisierung gerichtet. Statt die schädliche Sozialisierung der deutschen und der französischen grossen Betriebe erleiden zu müssen, scheine es zweckmässiger, sich freundschaftlich - insbesondere auch betreffend die linksrheinische Kohle - zu verständigen.
Hiezu habe ich beizufügen, dass Professor Stein sowohl mit dem in der Schweiz wohlbekannten Kohlenmagnaten Stinnes als auch mit dem Kohlenmagnaten Stumm befreundet ist, so dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass er von diesen spezielle Aufträge erhalten hat.
Als Gesamtresumee der gegenwärtigen Zustände in Deutschland ist zu melden, dass sich die Situation anscheinend beständig verschlechtert und verschärft. Überhandnehmen spartakistisch-bolschewistischer Usancen und Gewalttaten, zunehmender Kohlen- und Lebensmittelmangel, wieder zunehmende Mutlosigkeit der bürgerlichen Kreise, dazu die immer näher rückende Gefahr des Einrückens bolschewistischer Streitkräfte in Deutschland, denen das schwer geprüfte Land anscheinend keine entsprechenden Truppen entgegen stellen könnte.
Eine Hauptgefahr dürfte in Bälde daraus entstehen, dass die Arbeiter- und Soldatenräte auch nach Zusammentritt der Nationalversammlung und nach Einsetzung oder Bestätigung einer richtigen Regierung durch die Nationalversammlung sich weigern dürften, von ihren verderblichen und schädlichen Funktionen zurückzutreten.
Die Reichsregierung scheint allmählich den Spartakisten auch ausserhalb Berlins ernstlich zu Leibe rücken zu wollen. So soll der «Generalissimus» Noske Straf- resp. Entsetzungsexpeditionen nach Hamburg und Braunschweig schicken. Für Braunschweig soll eine Division Regierungstruppen bereitstehen.
Die für die Entsetzung Bremens bestimmte Division Gerstenberg ist vor der Stadt eingetroffen und hat die spartakistische Bremer Regierung sowie die dortigen Arbeiter- und Soldatenräte zur Übergabe aufgefordert. Das ganze neunte Korps soll sich für die Bremer Regierung erklärt haben. Verschiedene Ortschaften um Bremen herum sind von den Kommunisten besetzt. Zur Zeit finden noch zwischen der Division Gerstenberg und der Bremerregierung Verhandlungen betreffend Entwaffnung der Arbeiter statt. Noske ist gewillt, falls eine friedliche Einigung nicht möglich, die Entwaffnung gewaltsam durchführen zu lassen.
Wie ich vernehme, verfolgt die Bremer Expedition in erster Linie den Zweck, Wilhelmshafen von den Spartaciden zu befreien, um die Ausfahrt der Lebensmittelschiffe zu ermöglichen. Gleichzeitig soll angeblich eine Rückbeförderung amerikanischer Truppen zur Demobilmachung via Wilhelmshafen in Aussicht genommen sein (?).
Für die Schweiz ist die Geschichte der Arbeiter- und Soldatenräte in Russland und Deutschland ein deutlicher Fingerzeig dafür, dass wir den ersten Bestrebungen zur Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten oder ähnlicher Instanzen unter anderem Namen von Anfang an mit äusserster Schärfe entgegentreten müssen, wenn unsere demokratischen Institutionen bestehen bleiben sollen.
Wie ich von politisch meist gut orientierter Seite vernehme, soll die Rede, die Herr Bundespräsident Ador in Paris gehalten hat, in Berlin sehr sympathisch berührt haben und als sehr taktvoll und der Situation angemessen bezeichnet werden.
- 1
- E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 20/1.↩