Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 6, Dok. 311
volume linkBern 1981
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#893* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 394 | |
Dossiertitel | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 17 (1917–1917) | |
Aktenzeichen Archiv | 147 |
dodis.ch/43586
Die beiliegende Stefani-Nachricht über eine Konferenz, welche in Washington stattgefunden hätte, um das «razionamento» der Schweiz und anderer neutraler Staaten durch Nordamerika zu besprechen, gab mir den willkommenen Anlass, Baron Sonnino zu fragen, wie sich die italienische Regierung zu diesen Tendenzen der Vereinigten Staaten verhalte. Der Minister versicherte mich, dass er offiziell überhaupt nichts von diesen Absichten wisse und dass die Regierungen der Entente diese Schritte weder veranlasst noch gefördert hätten. Nach Ansicht Sonninos zielen die erörterten Massnahmen, die er als Drohungen bezeichnete, nicht sowohl gegen die Schweiz als gegen die Nordstaaten. Es liege ja durchaus kein Grund vor, der Schweiz gegenüber eine Beschränkung der Zufuhr eintreten zu lassen, nachdem das bestehende Abkommen über die S.S.S. de facto alle mögliche Gewähr dafür biete, dass auch die aus Amerika einzuführenden Waren nicht nach den Zentralmächten weitergegeben werden können. Anderseits könne die Schweiz vernünftigerweise nicht daran gehindert werden, eigene Produkte in einem Masse auszuführen, welches geboten sei durch das unabweisliche Bedürfnis für Gegenleistungen. Das Ganze sei «une question de mesure», über welche man sich jeweilen verständigen werde.
Als ich darauf hinwies, dass in der Depesche aus New York auch die Notwendigkeit der Einsparung von Schiffsraum als Grund angeführt sei, um dessentwillen eine Einschränkung der Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten nach den neutralen Ländern veranlasst werden müsse, meinte der Minister, diese Erwägung könne doch nicht ausschlaggebend sein, jedenfalls nicht gegenüber der Schweiz, deren Bedarf verhältnismässig klein und deren Lage besonders schwierig sei, weil sie gar nicht über eigenen Schiffsraum verfüge.
Ich bat den Minister, im Sinne seiner Erklärungen in Washington zu wirken, was er mir ohne Bedenken zusagte, mit der Bemerkung: «Vous connaissez mes sentiments à l’égard de la Suisse.» Ich muss immerhin wiederholt betonen, dass Sonnino der ganzen Angelegenheit keinerlei Bedeutung beizumessen schien und wiederholt hervorhob, dass es sich offenbar mehr um eine Warnung handle als um eine ernsthafte Absicht, die man in die Tat umsetzen wolle.
Wichtig war mir bei dieser Erklärung namentlich die ganz positive Versicherung, dass es sich nicht um einen Schritt handle, der durch die Entente veranlasst worden wäre. Diese Ansicht deckt sich übrigens mit den analogen Erklärungen, die Sie aus Paris und London erhalten haben.
Wir besprachen in zweiter Linie die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Italien, wobei ich zu erfahren suchte, welches eigentlich die Absichten seien, die Italien bei der Kündigung der Handelsverträge verfolgt habe. Sonnino wiederholte seine frühere Erklärung, dass er über diese Frage nicht unterrichtet sei, und wies mich neuerdings an den Handelsminister de Nava. Immerhin konnte er mich versichern, dass die Gesichtspunkte, nach welchen bei dem Abschluss neuer Verträge verfahren werden soll, noch keineswegs festgestellt seien, indem die hiefür eingesetzte Kommission selbst noch keine grundlegenden Beschlüsse gefasst, geschweige denn dem Ministerium bezügliche Anträge gestellt habe. Die Kündigung sei erfolgt um nach aussen und innen zu zeigen, dass man vollständig freie Hand haben wolle. Sonnino war im übrigen ganz der Ansicht, dass es keinen Sinn hätte, über neue Verträge zu unterhandeln, solange man nicht wisse, welche Grundlagen durch den Frieden geschaffen werden.
Ich sprach dem Minister alsdann von einigen Eindrücken, die ich anlässlich meines Besuches in der Schweiz erhalten und die mich in der Befürchtung bestärkt hätten, dass es nicht möglich sein werde, im Laufe dieses Sommers eine militärische Entscheidung des Krieges herbeizuführen, und dass anderseits die Annahme mir nicht berechtigt erscheine, dass eine der beiden Mächtegruppen in absehbarer Zeit infolge wirtschaftlicher Erschöpfung gezwungen sein werde, um Frieden zu bitten. Als ich an diese Mitteilung die Frage knüpfte, ob der Minister nicht der Meinung sei, dass die Aussicht auf eine uferlose Fortsetzung des Kriegselendes die verantwortlichen Stellen veranlassen sollte, wenigstens zu einem Versuche in der Form vertraulicher Aussprache Hand zu bieten, antwortete mir Sonnino: «Je ne pense pas que le moment soit venu d’arrêter la guerre, il faudra encore la continuer.»
Über die allgemeine militärische Lage sprach er sich nur wenig aus, anerkannte immerhin die unbefriedigenden Erfolge der grossen Offensiven, die er ausschliesslich auf den Ausfall der gleichzeitigen russischen Offensive zurückführte. Aber er schien anzunehmen, dass die Verhältnisse in Russland sich doch allmählich wieder konsolidieren werden, so dass die Deutschen und Österreicher in Bälde nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Truppen von der russischen Front zurückzuziehen, um sie im Westen und Süden zu verwenden. Weiter meinte er, der heutige Krieg sei eigentlich mehr ein Krieg der Abnützung als ein solcher des durchschlagenden militärischen Erfolges, und dieser Zweck der Abnützung werde durch die fortgesetzten Kämpfe im Westen und an der italienischen Front sicherlich erfüllt. Im übrigen hänge der Ausgang des Krieges nicht nur von den militärischen Erfolgen ab, sondern ganz wesentlich auch von den Ernten. In dieser Richtung liege aber für die Entente, trotz des verschärften Unterseebootkrieges, kein Grund zu ernstlicher Befürchtung vor. Italien stehe unmittelbar vor einer Ernte, die gute Aussichten eröffne, und auch die Ernten in Frankreich und England, in welchen beiden Ländern jeder disponible Streifen Boden angepflanzt worden sei, versprechen einen Ertrag, welcher der Not auf viele Monate steuern werde. Unter diesen Umständen bestehe für die nächsten Monate keine Gefahr mehr, und bis zum Winter werde man sich überall so eingerichtet haben, dass man mit den Vorräten und den Zufuhren wieder bis zu einer nächsten Ernte durchkommen könne. In dieser Hinsicht sei eben der Eintritt Nordamerikas in den Krieg von unschätzbarem Werte. Sonnino bezeichnete die Folgen des Unterseebootkrieges als «un mal dont tout le monde souffre», aber er glaubt noch immer nicht, dass dieses Kampfmittel die Entscheidung bringen werde. Die Deutschen unterschätzen die Fähigkeit ihrer Feinde, sich ebenfalls auf die Knappheit einzurichten, «durchzuhalten». Als ich auf die Gefahr eines vierten Kriegswinters und auf die Kriegsmüdigkeit, die sich doch allerorts zeige, hinwies, meinte der Minister: Gewiss wollen alle den Frieden, aber ich habe noch keine massgebende Stimme gehört, welche einen Frieden wollte, der für alle annehmbar wäre: «On veut bien sa paix, mais pas la paix.» Es sei nicht vorauszusehen, dass von der einen oder ändern Seite Vorschläge gemacht werden, die als Ausgangspunkt für ernsthafte Unterhandlungen dienen könnten, und so müsse wohl oder übel mit der Fortsetzung des Krieges bis zu dem Zeitpunkt gerechnet werden, an welchem der eine oder andre Teil nicht mehr fortfahren könne; dieser Zeitpunkt sei aber noch nicht gekommen, vielleicht nicht einmal nahe.
Die Lage in Russland scheine sich doch zu bessern; die neue Regierung scheine entschlossen, die Armee wieder in kriegsfähigen Zustand zu bringen, und in diesem Bestreben seien nunmehr alle Parteien einig, da auch die eigentlichen Revolutionäre sehr wohl einsehen, dass ein Triumph der Zentralmächte ihre politischen Ziele aufs schwerste gefährden würde. Da jedoch nicht an eine sofortige Wiederaufnahme einer Offensive zu denken sei, müsse damit gerechnet werden, dass die entscheidende Kriegshandlung, welche für 1917 geplant gewesen sei, auf das folgende Jahr verschoben werde. Diese Perspektive sei ja nichts weniger als erfreulich, aber sie habe doch viel von ihrem Schrecken verloren durch den Eintritt Nordamerikas in den Krieg und durch die daraus resultierende Wahrscheinlichkeit des Enderfolges.
Auch in Rumänien und Griechenland scheine sich die Lage allmählich zu bessern. Den Blocus gegen Griechenland bezeichnete Sonnino neuerdings als eine ganz unnötige und schikanöse Massnahme, mit welcher er nie einverstanden gewesen sei.
Ich habe Ihnen diese Äusserungen des Ministers in allen Einzelheiten wiedergegeben, obwohl sie nichts Neues sagen, weil ich es für wichtig hielt, Ihnen die Möglichkeit zu geben, Ihre Schlüsse daraus selbst zu ziehen. Auf mich hat diese Aussprache den Eindruck gemacht, dass eine gewisse Entmutigung bestehe, die nur ungenügend maskiert werden konnte durch die Proklamierung des Widerstandes usque ad finem: Man hatte eben bestimmt darauf gerechnet, dass die allgemeine Offensive den Wagen der Zentralmächte militärisch aus dem Geleise werfen werde, und hatte gleichzeitig als sicher angenommen, dass die wirtschaftliche Erschöpfung den Feind zwingen werde, Frieden zu schliessen. Diese beiden Voraussetzungen sind nicht zugetroffen, und so sieht man sich genötigt, mit der Fortsetzung des Krieges zu rechnen, weil man sich nicht entschliessen kann, Wasser in den eigenen Wein zu giessen.
Ob Sonnino wirklich selbst so denkt, wie er gesprochen hat, oder ob in seinen Worten nicht eher der Gedanke zum Ausdruck gelangt, der ihm durch seine Verbündeten suggeriert wird, wage ich nicht zu beurteilen. Tatsache ist leider, dass diese Erklärungen weit hinter denjenigen zurückstehen, die mir Sonnino früher gemacht hatte und die mich hoffen Hessen, dass Italien gegebenen Falles mit einer gewissen Energie «den Frieden» verlangen werde, um das Land vor völliger Erschöpfung zu bewahren. Freilich äusserte Sonnino im Laufe des Gespräches wiederholt: Es lässt sich in diesem Kriege gar nichts prophezeien, es ist sehr wohl möglich, dass ganz unerwartete Ereignisse eintreten, welche das Bild ganz anders gestalten können; warten wir nun zunächst die Ernten ab!
Über die militärische Lage an der italienisch-österreichischen Front sprach der Minister natürlich mit Zurückhaltung: Wir haben zwei wichtige Punkte (Kuk und Vodice) genommen und gehalten und kämpfen um den dritten - ob mit Erfolg oder nicht, wird die Zukunft lehren. Der Kampf ist sehr hart und der Widerstand ausserordentlich gross. Mit einer Offensive der Österreicher aus dem Trentino wird immer noch gerechnet, aber nur für den Fall, dass es den Österreichern möglich sein sollte, grosse Truppenmassen von der russischen Front zu detachieren.
Um Ihnen zu zeigen, wie man den bisherigen Verlauf der Offensive in der Presse darstellt, übergebe ich Ihnen beiliegend einen Ausschnitt aus der heutigen Nummer des Popolo Romano. Sie wollen beachten, dass man immer wieder auf die grossen und eigentlich unerwarteten Schwierigkeiten hinweist, denen man begegnet, und dass man den langsamen Fortschritt der Offensive durch die Tatsache zu erklären sucht, dass die Österreicher in der Lage gewesen seien, grosse Mengen Truppen und namentlich schwere Artillerie von der russischen nach der italienischen Front zu verlegen. Im Privatgespräch gelangt der gleiche Gedanke natürlich viel ungeschminkter zum Ausdruck: Man ist sichtlich enttäuscht über den bisherigen geringen Erfolg der gewaltigen Anstrengung, man ist entsetzt über die sehr grossen Verluste, die erlitten worden sind, und man hat die Hoffnung auf eine baldige Einnahme von Triest wesentlich herabgestimmt, wenn nicht ganz fallenlassen. Ein Offizier, der letzter Tage von der Front zurückkehrte, berichtete einem meiner Mitarbeiter, dass die Verluste der Italiener wirklich ungeheure gewesen seien und dass die Aussicht immer kleiner werde, die uneinnehmbaren Positionen der Österreicher zu bezwingen. Der gleiche Offizier teilte mit, dass man bei diesen Kämpfen Mitrailleusenabteilungen verwendet hätte, die aus Kavalleriesoldaten gebildet seien und die man vorausschicke, um die gegnerischen Positionen unmittelbar sturmfrei zu machen. Diese Abteilungen hätten ganz unsinnige Verluste erlitten; so z.B.seien von der Abteilung, welcher jener Offizier - der Sohn eines angesehenen Politikers und Senators - angehörte und die einen Bestand von 400-500 Mann hatte, im ganzen 30 Mann am Leben geblieben, und von diesen 30 seien 16 mehr oder weniger schwer verwundet.
Der Eindruck scheint sich zu befestigen, dass auch diese zehnte Isonzoschlacht nicht zum Ziele führen werde, welches man schon im Jahre 1915 mit Sicherheit zu erreichen hoffte. Welche Konsequenzen daraus für die innerpolitische Lage in Italien entstehen werden, bleibt abzuwarten.
Über die Verhandlungen und Ergebnisse der interalliierten Handelskonferenz in Rom habe ich Ihnen bisher nicht berichtet, weil alles, was ich erfahren konnte, in den Zeitungen mitgeteilt war. Ich hoffe, in den nächsten Tage einen etwas einlässlicheren Bericht zu erhalten, und beschränke mich für heute auf die Mitteilung, dass man allgemein das Resultat sehr niedrig einschätzt. Baron Sonnino sprach mir gestern mit eigentlichem Hohn von diesen Konferenzen, die ja niemals positive Resultate zeitigen können und die weit besser unterbleiben würden. Aufgefallen scheint zu sein, dass die englischen Parlamentarier sich mit grosser Reserve ausgesprochen haben über die künftige Ordnung der Dinge.
Auch der Handelsminister de Nava sprach mir heute mit wenig Enthusiasmus von dem Ergebnisse dieser Konferenz, die rein dekorativen und demonstrativen Charakter gehabt habe. Derlei Aussprachen hätten so lange keinen praktischen Wert, als man noch ganz im ungewissen sei über die künftigen Grundlagen der internationalen Beziehungen.
De Nava frug mich auch nach den Eindrücken, die ich in der Schweiz erhalten hätte, und zeigte sich sehr besorgt wegen der Möglichkeit, dass dieser Krieg ins Unendliche fortgesetzt werden wolle. Ich hatte bei dieser Besprechung sehr den Eindruck, dass selbst im Ministerium die Richtung vertreten ist, welche eine Aussprache über den Frieden begrüssen würde.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Rom, Archiv-Nr. 17.↩