Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 204
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1174* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 494 | |
Dossier title | Washington, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Sozialberichte, Band 33 (1916–1916) | |
File reference archive | 186 |
dodis.ch/43479
Die Verhältnisse haben es mit sich gebracht, dass meine Berichterstattung in letzter Zeit unzusammenhängend geworden ist. Meine Kabelnachrichten über die mexikanischen Wirren, die Friedensfrage, Beschlagnahme der neutralen Post, die schwarze Liste etc. haben die schriftlichen Rapporte stets überholt. Ich beehre mich daher, Ihnen heute eine kurze Zusammenfassung zu geben.
Die Lage in den Vereinigten Staaten hat sich seit Eintritt der Präsidentschaftskampagne merklich verändert. Fragen, welche bisher, mehr oder weniger absichtlich, unentschieden gelassen worden, Stimmungen, die latent geblieben waren, haben sich in den letzten zwei Monaten deutlicher formuliert und an die Oberfläche gedrängt. Dieser Umschlag ist zum Teil aus den Bedürfnissen des Wahlfeldzuges, zum Teil aber auch aus dem Verhalten der alliierten Mächte gegenüber den Vereinigten Staaten zu erklären.
Soweit das persönliche Interesse des Präsidenten als Faktor in Frage kommt, so weise ich neuerdings daraufhin, dass während des ersten Kriegsjahres und bis in dieses Frühjahr hinein die Meinung Wilsons dahin gegangen ist, dass seine Wiederwahl nur dann aussichtsreich sei, wenn er kriegerische Verwicklungen an der Hand habe. Wie das Land darüber dachte, war erst dann klar zu erkennen, als vor einigen Monaten der Kongress gezwungen wurde, sich mit den beiden Resolutionen des Abgeordneten McLemore und des Senators Gore zu beschäftigen. Dabei stellte sich zur allgemeinen Überraschung heraus, dass das Volk durchaus nicht so kriegslüstern war, wie man annahm, und es musste der Kongress dieser Stimmung Rechnung tragen, indem er sich entschieden gegen kriegerische Verwicklungen in Europa aussprach.
Die Haltung des Kongresses war bestimmend für die Haltung des Präsidenten. Aus einem Kriegbegehrenden wurde ein Friedensbefürworter. Er hatte klar gesehen, dass er mit dem Preparedness Program seine Wahlhoffnungen nicht zu fördern vermochte, und so versuchte er unter dem Schlagwort «Peace and Prosperity» den Feldzug anzutreten.
Das Volk ging sehr gerne auf diesen veränderten Kurs ein und klammerte sich sofort krampfhaft an das Stichwort «Peace and Prosperity». Wenn die Wahlaussichten Wilsons vor einem halben Jahr noch weit unter pari standen, so stehen sie heute - und darüber braucht man sich keinen Täuschungen hinzugeben - so gut wie pari. Obwohl eigentlich kein Feind die Vereinigten Staaten je bedroht hat, so spricht doch heute einer dem ändern es hochaufatmend nach: «he kept us out of the war».
Die Republikaner haben es unter diesen Umständen schwer, eine zugkräftige Wahlparole zu finden. Sie sind ebenfalls von der allgemeinen Friedensstimmung der Bevölkerung abhängig und können deswegen eine der Wilsonschen Friedenspolitik entgegengesetzte internationale Politik nicht gut einschlagen, ohne sich das - jeglichen militärischen Geistes bare - grosse Volk hoffnungslos zu entfremden. Der Schwerpunkt ihrer Argumente liegt daher fast ausschliesslich in der mexikanischen Situation, die ja allerdings so schwächlichen Charakters ist, dass selbst die Demokraten ihrem Führer nicht mehr zu folgen vermögen. Als Beilage finden Sie die Programmrede des republikanischen Kandidaten Hughes, vom 31. Juli, in welcher er insbesondere die Mexiko politik Wilsons und die schlechte diplomatische Auslandvertretung der Vereinigten Staaten geisselt.
Noch ausschlaggebender aber als die durch wahlpolitische Rücksichten beeinflusste Haltung Wilsons ist die Haltung Englands den Neutralen im allgemeinen und Amerika im besonderen gegenüber.
Die Beschlagnahme der neutralen Post nimmt trotz aller amerikanischen Proteste ihren Fortgang. Diese andauernden Verletzungen gehen auch den hiesigen Britenfreunden nachgerade stark auf die Nerven. Es stellt sich immer deutlicher heraus, dass England nicht nur kriegerische Endziele damit verfolgt, sondern auch ökonomische Zwecke anstrebt, die das amerikanische Geschäftsleben und dasjenige der übrigen Nationen empfindlich berühren, und dass die Tätigkeit des englischen Zensors auch dazu führt, amerikanische Geschäftsgeheimnisse an die englische Konkurrenz zu verraten. Nichts nimmt der Amerika ner so übel wie einen Angriff auf seinen Geldbeutel!
Die stetig ausweichenden und oftmals als verletzend empfundenen britischen Antworten auf amerikanische Noten haben die schwächliche Haltung der amerikanischen immer deutlicher in das öffentliche Bewusstsein treten lassen. Eine erheblich Verstärkung der Verstimmung erzielte England indes durch seine schwarze Liste, mit welcher das ganze britische System des Boykotts des neutralen Handels auch den Amerika nern vor Augen geführt worden ist. Es wurde ihnen klar, dass derart der gesamte neutrale Handel lahmgelegt werden kann, teils durch ein direktes Verbot, mit den Firmen auf der schwarzen Liste zu handeln, teils aber und vielleicht in noch grösserem Umfange durch die Einschüchterung neutraler Firmen, welche aus Furcht, ebenfalls auf die schwarze Liste zu kommen, freiwillig ihre Beziehungen mit den boykottierten, oder auch mit nur verdächtigen Firmen abbrechen (Fall Hermann C. Küpper, schweizerische Firma in New York, mit der gegenwärtig alle amerikanischen Banken die Beziehungen abgebrochen haben). Die schwarze Liste hat bereits eine förmliche Revolution im hiesigen Wirtschaftsleben hervorgerufen, und wenn die Zeitungen es wagen würden, der wahren Volksstimmung Ausdruck zu geben, dann müsste die Situation bald einen bedrohlichen Charakter annehmen. England hat zwar durch das Memorandum vom 29. Juli bereits beruhigende Erklärungen abgeben lassen und sich auch auf Präzedenzfälle berufen, die aus der Zeit des Bürgerkrieges herrühren, ohne jedoch die Bestürzung beschwichtigen zu können, welche durch diese wankelmütige Politik nur noch verschärft worden ist.
Äusserungen aus den verschiedensten amerikanischen Kreisen lassen darauf schliessen, dass man allmählich von dem Präsidenten eine bestimmte Abwehrhaltung gegenüber England erwartet, und es fehlt nicht an Stimmen, welche sagen, es wäre hohe Zeit, dass die sämtlichen Neutralen sich zu einer Art Neutralitätsliga zusammentun, um vereint den gegen alle gerichteten Übergriffen der Alliierten zu begegnen.
Die Führung dieser Liga würde natürlich von den Vereinigten Staaten, als dem stärksten der Neutralen, in Anspruch genommen. Aber daneben verlautet auch die Meinung, dass die übrigen Neutralen, unabhängig von Amerika, vorgehen sollten, falls Wilson weiterhin in seiner Untätigkeit verharren möchte. Seine doktrinäre Auffassung, dass jeder einzelne Staat individuell vorzugehen habe, und dass der Präsident noch nicht geneigt ist, mit den übrigen Neutralen Hand in Hand zu gehen, wurde mir vom Staatsdepartemente am 31. Juli (Postbeschwerden) neuerdings bestätigt. Dass dieses Beiseitestehen des mächtigsten Neutralen lähmend, nicht allein auf die kleinern Neutralen, wirken muss, sondern auch der gesamten Abwehrbewegung die Stosskraft nimmt, ist leider eine Tatsache.
Man ist sich hier freilich nicht ganz klar darüber, ob die europäischen Neutralen es jemals unernehmen werden, allein, d. h. ohne Amerika, vorzugehen, aber man ist ebenso fest überzeugt, dass Wilson gezwungen werden könnte, Anschluss zu suchen, wenn er nicht in den Verdacht kommen will, dass er britischen Interessen zuliebe die neutralen Interessen und damit auch die amerikanischen zu opfern gedenkt. Diese Erkenntnis müsste seinen Wahlaussichten ein Ende machen, denn wie schon gesagt, geht der Amerika ner in der Britenliebe nicht so weit, dass er sich wegen ihr seinen Geschäftsverdienst geschmälert sehen möchte.
Die Berater Wilsons lassen ihn über die Volksstimmung nicht im unklaren, und vielerorts hört man die Prophezeiung, dass der Präsident demnächst endlich einen ersten Schritt zugunsten des europäischen Friedens tun werde.
Übrigens hat Herr Wilson in der letzten Zeit leicht die Überzeugung erlangen können, dass auch England und die Alliierten ihm im allgemeinen wenig Dank wissen, und diese unerfreuliche Kritik von drüben mag vielleicht bei dem überaus empfindlichen Präsidenten ein Echo auslösen, das einen weiteren Stimmungsumschwung zuungunsten der Alliierten zur Folge haben kann.
Es scheint beinahe, als ob jetzt der psychologische Moment gekommen wäre, wo eine Anregung aus den ändern neutralen Ländern, oder aber ein vereinzeltes oder gemeinsames Vorgehen derselben, Wilson bereit finden würde, mitzutun.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Washington, Archiv-Nr. 33.↩
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