Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 6, Dok. 177
volume linkBern 1981
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E5330-01#1000/894#3778* | |
Dossiertitel | Egli Karl 1865, Von Wattenwyl Moritz 1867, Verbotener Nachrichtendienst (Oberstenaffäre) (1916–1916) | |
Aktenzeichen Archiv | 98/1916/133 |
dodis.ch/43452
GR [Grossrichter E. Kirchhof er]: Die Sitzung des Divisionsgerichtes 5 a ist wieder aufgenommen, und es wird fortgefahren in den Verhandlungen in der Militärsache der Obersten im Generalstab Egli und v. Wattenwyl. Es folgt die Einvernahme des Herrn Oberstkorpskommandanten v. Sprecher als Zeuge. Herr Oberstkorpskommandant, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Herr Oberstkorpskommandant, Sie werden als Zeuge einvernommen in der Militärstrafsache der Obersten im Generalstab Egli und v. Wattenwyl. Es ist meine gesetzliche Pflicht, Sie auf die Pflicht des Zeugen zu wahrheitsgemässen Angaben und auf die gesetzlichen Folgen des falschen Zeugnisses aufmerksam zu machen. Ich bitte Sie zuerst, Herr Oberstkorpskommandant, uns Ihre Personalien anzugeben.
Einvernahme des Zeugen
von Sprecher, Theophil Andreas Luzius, geb. 1850, heimatberechtigt in Mayenfeld, Küblis, Chur und Davos, wohnhaft in Bern, Generalstabschef der Schweizerischen Armee.
GR: Ich möchte Sie bitten, Herr Oberstkorpskommandant, uns zunächst einige Angaben zu machen über den Nachrichtendienst im Generalstab und über die Organisation. Über die Organisation im allgemeinen sind wir bereits unterrichtet. Es würde sich aber namentlich auch darum handeln, Ihre Auffassung kennenzulernen über die Eigenart und die Bedeutung, die Wichtigkeit des Nachrichtendienstes.
[v. Sprecher]: Herr Grossrichter, der Nachrichtendienst war verteilt zwischen die Herren Obersten Egli und v. Wattenwyl nach Fronten. Ich denke, es ist bereits angegeben, wie die Verteilung getroffen worden ist. Die Herren bearbeiteten die Nachrichten von diesen Fronten nach eigenem Ermessen, selbständig, sowohl in bezug auf die Wahl der Mittel, der Personen, die sie dazu verwendeten, als auch in bezug auf die Ausdehnung, die der Nachrichtendienst haben sollte.
Es ist klar, dass der Nachrichtendienst uns orientieren musste über die Lage auf den Kriegsschauplätzen im allgemeinen, weil die Gesamtlage jeweilen rück wirken konnte auf die Lage an unseren Fronten. Es war den Herren in der Hinsicht gar keine Beschränkung auferlegt. Sie betrieben diese Arbeit auf eigene Verantwortung. Ich habe mich in das Einzelne dieses von ihnen betriebenen Dienstes niemals eingemischt. Der Nachrichtendienst erfordert persönliches Vertrauen zwischen den Agenten und den Sammelstellen des Nachrichtendienstes. Es müssen die Namen derjenigen - denn wir haben es ja nur mit Menschen zu tun beim Nachrichtendienst -, die dabei mitwirken, unbedingt geheimgehalten werden. Das erfordert, dass diese Namen möglichst wenig Leuten bekannt werden.
Die Wichtigkeit des Nachrichtendienstes für uns mag namentlich daraus erhellen: Die Schweiz ist zur ewigen Neutralität verfassungsmässig und nach den Verträgen von 1815 entschlossen und verpflichtet. Sie hat das auch erklärt durch die Bundesversammlung und den Bundesrat bei Beginn des Krieges. Diese allgemeine permanente Neutralität hat, ich muss etwas weiter ausgreifen, in der Hinsicht ihre Vorteile, aber auch militärisch ihre grossen Nachteile. Sie hat den Vorteil, dass man bei Ausbruch eines Krieges sich in der Schweiz nicht den Kopf zu zerbrechen braucht, wie man sich zu verhalten habe. Sie hat den Vorteil, dass jedermann weiss, was die Schweiz in dem Kriege, während des Krieges bezwecken will, dass sie keine Eroberungen machen will, dass sie aber auch nichts von ihren Rechten in ihrem Gebiete preisgeben will. Wenn diese Auffassung das ganze Volk durchdringt, so kann sie die Entschlussfähigkeit und die Kraft der Schweiz erheblich stärken. Es weiss auch vom ersten Offizier bis zum letzten Trainsoldaten bei uns jedermann, dass wir mit der Armee keinen ändern Zweck verfolgen als den ersten, der unser Gebiet verletzt, als unsern Feind anzusehen. Das gibt uns Einheit im Entschluss und Kraft für die Durchführung.
Die Neutralität hat aber bedeutende Nachteile in militärischer Hinsicht. Wir sind durch diese Neutralität auf die strategische Defensive angewiesen, und jeder Militär weiss, was das für Nachteile für die Operationen bringt. Wir können nicht einen Entschluss fassen, jetzt den oder jenen unserer Nachbarn anzugreifen. Sondern er hat die Vorhand. Wir sind in unseren Handlungen abhängig von dem, was der Nachbar unternimmt. Das bringt es mit sich, dass es für den Neutralen viel mehr als für einen, der strategisch offensiv sein kann, wichtig ist, über das, was jenseits unserer Grenzen vorgeht und überhaupt auf dem ganzen Kriegsschauplatz, weil es zurückwirkt, genau, möglichst genau orientiert zu sein. Das erfordert also einen möglichst eingehenden Nachrichtendienst. Ein Staat, der selbständig Krieg führt, nach eigenem Entschluss einen Gegner angreift, braucht bei weitem nicht in diesem Masse orientiert zu sein. Er wird vormarschieren nach dem wichtigsten Teil des Landes, nach dem strategischen Ziel, das er sich gesetzt hat, und wird den Gegner finden. Wir aber müssen warten, bis der allfällige Gegner uns irgendwie auffällig bedroht oder bis er etwas tatsächlich Erkennbares gegen uns unternimmt. Das nun zu erkennen, ist die Pflicht des Nachrichtendienstes.
Der Nachrichtendienst leistet dem Vaterland einen grossen Dienst. Er arbeitet vollständig zum Vorteil des Landes, wenn er in dieser Hinsicht uns möglichst vollständig und rasch Klarheit zu verschaffen sucht. Wir müssen uns also auf den Nachrichtendienst verlassen können, dass wir rechtzeitig orientiert werden. Sonst ist der Nachteil, der aus diesem Zurückgedrängtsein in die strategische Defensive uns erwächst, für uns noch viel grösser, als er ohnedies wäre.
Die Schwierigkeit des Nachrichtendienstes beruht bei uns auch darauf, dass wir im Frieden sozusagen keinen Nachrichtendienst haben. Es fehlen uns die materiellen Mittel dazu. Es ist bekannt, dass ein Nachrichtendienst ohne sehr erhebliche materielle Mittel nicht ausgeführt werden kann. Nun sind uns in der Hinsicht gewisse Schranken auferlegt, die uns dann anderseits dazu veranlassen, Nachrichten auf Wegen zu sammeln, die eben wenig pekuniäre Mittel erfordern.
Das ist, was ich in bezug auf die Wichtigkeit des Nachrichtendienstes, auf die Wichtigkeit namentlich, die er für uns, die wir uns strategisch defensiv verhalten müssen, besitzt, zu sagen habe.
Es wird vielfach davon gesprochen, dass die Schweiz ja nur einen Defensivkrieg führen müsse, dass sie deshalb nicht ihre eigenen Vorbereitungen zu treffen habe, wie Staaten, die grosse Offensivkriege führen. Das ist vollständig verkehrt. Der Krieg, wie wir ihn zu führen hätten, wenn er uns aufgedrungen wird, ist ganz derselbe. Er erfordert dieselben Massregeln, er führt sie nach denselben Gesetzen wie irgendein Krieg. Wir müssen deshalb auch die ganz gleichen Vorbereitungen treffen und können uns in der Hinsicht gar nichts ersparen. Es legt uns also diese Neutralität in bezug auf den Nachrichtendienst eine Last auf, die relativ grösser ist, als sie auf den Grossstaaten liegt. f.J
Ich glaube, dass der Nachrichtendienst mit den Anforderungen der Neutralität leicht in Konflikt geraten kann. In dieser Hinsicht möchte ich doch betonen: Der Begriff Neutralität ist im allgemeinen ein schwankender, und in diesem Kriege hat er nun so viel Abbruch erlitten, dass man eigentlich gar nicht mehr weiss, welche Ausdehnung er hat. Ich brauche gar nicht an Griechenland zu erinnern. Wir wissen, was man dort mit der Neutralität für vereinbar erachtet von gewissen Seiten. Wir müssen nur an unsere eigenen Verhältnisse denken. Die Neutralität hat nicht nur Pflichten für den Neutralen, sondern sie hat auch Rechte für den Neutralen. Nun, wie wird mit diesen Rechten umgesprungen? Ich will nur ein oder zwei Beispiele anführen.
Wir haben das Recht des brieflichen Postverkehrs mit den ändern Neutralen wenigstens, den ändern neutralen Staaten. Dieser Brief- und Postverkehr ist von denjenigen, die die See beherrschen, vollständig unter Kontrolle gestellt worden. Briefsendungen, Geldsendungen sind mit Beschlag belegt worden. Professor Burckhardt sagt selbst in seiner Abhandlung darüber, dass diese Mächte zwar die Macht dazu haben, dass sie aber kein Recht dazu haben. Das ist eine Einschränkung unserer Neutralität.
Wir haben als Neutrale das Recht, Handel zu treiben mit Neutralen und Kriegführenden. Dieses Recht ist auf das allerschwerste beeinträchtigt worden. Wir müssen uns also gefallen lassen, dass man uns vorschreibt: Die Neutralitätspflichten müsst ihr unbedingt erfüllen, eure Rechte aber, die schränken wir nach Belieben ein. Ich will auch darauf aufmerksam machen, dass bei uns selbst dieser Begriff von Neutralitätspflicht ausserordentlich in Fluss geraten ist, während des Krieges.
Wir haben da eine Verordnung über die Handhabung der Neutralität, die an die Truppenkommandanten ausgegeben worden ist. In dieser Verordnung steht, dass es verboten sei, Munition, Waffen und Kriegsmaterial überhaupt an die Kriegführenden zu liefern. Ja, meine Herren, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass für Millionen und Abermillionen Kriegsmaterial resp. Munition namentlich in grosser Überzahl an die eine Seite der kriegführenden Mächte, allerdings auch an die andere geliefert worden ist. Das ist also eine Seite der Neutralitätspflicht, die vollständig in Abgang gekommen ist. Und so glaube ich, wenn wir einerseits dulden müssen, dass unsere Neutralitätsrechte ganz nach Belieben, wie es den Kriegführenden konveniert, beeinträchtigt und eingeschränkt werden, wir auch nicht so sklavisch und peinlich uns an die Neutralitätspflichten zu halten haben.[...]2
- 1
- E 5330 1/468.↩
- 2
- Par sentence du Tribunal militaire les colonels Egli et de Wattenwyl ont été renvoyés devant leurs supérieurs pour décision disciplinaire. Le Général a infligé aux deux officiers vingt jours d’arrêts de rigueur et les a mis en outre à disposition. Par décision du CF du 1er mars 1916, les deux officiers sont suspendus de leurs fonctions de chefs de section à l'Etat-Major Général. Cf. E 1004 1/261, no 480.↩
Tags