Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 147
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1173* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 493 | |
Dossier title | Washington, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Sozialberichte, Band 32 (1915–1915) | |
File reference archive | 186 |
dodis.ch/43422
Wie ich es in meinem letzten politischen Berichte vom 30. August2 vorausgesagt habe, ist Deutschland auf alle Forderungen der Vereinigten Staaten eingetreten (Beilage: Text der Erklärung Bernstorffs d.d.2. September)3.
In meinen früheren Berichten über die Verhandlungen, welche Graf Bernstorff hier mit Präsident Wilson gepflogen hat, habe ich hervorgehoben, dass Bernstorffs Bemühungen darauf hinausgingen, den Tauchbootkrieg zu modifizieren, hatte ihm doch Präsident Wilson in der Privatunterredung vom 2. Juni 1915 Hoffnungen gemacht, von England Konzessionen erlangen zu wollen (mein Privatbericht vom 3/4. Juni)4.
In Berlin wurden Bernstorffs Empfehlungen und wohl auch Wilsons versteckte Versprechungen nicht voll bewertet. In meinem politischen Berichte No. 155 hatte ich der Meinung Ausdruck gegeben, dass Deutschland aus der versöhnlich gehaltenen amerikanischen Note vom 21. Juli «mit Geschick und gutem Willen alles herauslösen kann, was es braucht und was zum Ausbau und zur Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen nötig ist».
Das ist nicht geschehen, im Gegenteil, Bernstorff musste Lansing erklären, dass Deutschland diese letzte «Lusitania»-Note nicht eher beantworten werde, als bis die seitens der Vereinigten Staaten versprochene scharfe Note wegen der Handelsstörungen an England endlich abgesandt worden sei. Offenbar traute man in Berlin den immer sehr allgemein gehaltenen Zusagen Wilsons nicht.
Diese gefährlich ausschauende Situation hätte wohl noch längere Zeit unverändert angedauert, wenn nicht plötzlich der «Arabic»-Fall aufgesprungen wäre.
Zwar soll tatsächlich, wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahre, die deutsche Admiralität schon vor der Versenkung der «Arabie» Ordres gegeben haben, dass in Zukunft keine Passagierdampfer ohne vorherige Warnung versenkt werden dürfen. Diese Verordnung ist aber amtlich den Vereinigten Staaten niemals mitgeteilt worden. Bernstorff hatte in seinen Berichten ausgeführt, dass man in Berlin darüber entscheiden müsse, ob es für Deutschland von grösserem Werte sei, den Tauchbootkrieg Deutschland gegen England unverändert weiterzuführen, oder ob man sich die Freundschaft der Vereinigten Staaten erhalten solle. In letzterem Falle könne Wilson wohl dazu veranlasst werden, in energischer Haltung gegen England von diesem Konzessionen zu erhalten, welche schliesslich in Friedensvorschläge übergehen dürften. Dass es Herrn Wilson sehr darum zu tun ist, als der grosse Friedens Vermittler aufzutreten, habe ich schon öfters hervorgehoben, würden doch dadurch seine Chancen, im nächsten Jahre als Präsident wiedergewählt zu werden, enorm verbessert.
Die Versenkung der «Arabie» trieb die Sache auf die Spitze. Geschah deutscherseits nichts Definitives, dann erhielt die Phrase des Präsidenten in der letzten «Lusitania»-Note betreffend «vorsätzlich unfreundlicher Haltung» (conf. pol. Bericht N. 15) nunmehr volle Geltung.
Diese Erwägung hat die deutsche Regierung offenbar veranlasst, nunmehr formell mit der Erklärung ihrer neuen Tauchbootpolitik hervorzutreten.
Die gestern durch Bernstorff abgegebene Erklärung (Text als Beilage)6 welche hier bereits als ein Teil der zu erwartenden «Lusitania»-Note angesehen wird, hat mit einem Schlage die Stimmung im Weissen Hause, in den ganzen Vereinigten Staaten geändert. Man ist voll Zuversicht, dass die Tauchboot-Kontroverse in zufriedenstellender Weise durch eine «Lusitania»-und «Arabic»-Note geregelt werde.
Über die «Arabic»-Versenkung stehen bis heute sozusagen nur Aussagen englischer Staatsangehöriger zur Verfügung. Deutschland wirft ein, zur Stunde noch nicht zu wissen, ob wirklich und unter welchen Umständen eines seiner Tauchboote die Täterin gewesen sei. «Wenn» ihm dies nachgewiesen werde, dann sei es zu allem Schadenersatz an amerikanische Bürger bereit; auch wäre es damit einverstanden, den Fall vor das Haager Schiedsgericht zu bringen. Was die Vereinigten Staaten von dieser mit etwas Misstrauen entgegengenommenen hypothetischen Äusserung und von dem Schiedsgerichtsvorschlag halten, dürfte vielleicht noch heute bekannt werden.
Lange diplomatische Verhandlungen wären Deutschland wohl aus dem Grunde unerwünscht, weil es hofft, dass der Präsident nun seine in zwei «Lusitania»-Noten gegebenen Versprechungen halten und in energischer, praktischer Weise gegen England auftreten werde, um es dazu zu bringen, die Londoner Deklaration als in Kraft stehend anzuerkennen.
Deutschland hat Entgegenkommen bewiesen, es hat den ersten Schritt getan, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen. Es vertraut auf Präsident Wilson. Für Bernstorff steht alles auf dem Spiele. Ich vernahm, dass letzterem von einer dem Präsidenten nahestehenden Persönlichkeit zugeflüstert worden sei: «Sie werden sehen, dass Präsident WilsonDeutschlands warmer Freund ist.»
Heute, den 3. September, hat Herr Wilson den Besuch des Kardinals Gibbons erhalten, welcher ein Privatschreiben des Papstes überreichte. Der Kardinal suchte nachher auch den Staatssekretär auf; er erklärte später, dass es ihm vorderhand noch nicht erlaubt sei, die übermittelte Botschaft der Öffentlichkeit zu übergeben. Die alliierte Presse legt den Besuch als einen von Berlin im Vatikan inspirierten Schachzug aus, zu welchem der Papst sich auf das Versprechen hin hergegeben habe, dass Polen zu einem unabhängigen Königreich mit katholischer Staatsreligion erhoben werde.
Die hier versuchte englische 500-Millionen-Anleihe (cf. pol. Bericht no. 19)7 ist unmöglich gewesen, das Publikum verhielt sich vollständig ablehnend. Der einzige Ausweg dürfte sein, noch weiter amerikanische Wertpapiere im Betrag von Hunderten von Millionen aus London herüberzuwerfen. Noch übler steht es mit den anderen Alliierten, denen ein solcher Ausweg nicht offensteht.
Die in der hiesigen Presse in den letzten Tagen immer positiver auftretende Versicherung, dass Japan seine Armee nun doch auf den europäischen Kriegsschauplatz sende, halte ich für ganz unglaubwürdig. Wo sollten die Japaner das Geld dazu hernehmen. Selbst haben sie keines, die Alliierten sind jetzt nicht im Fall, es ihnen zu geben, und in den Vereinigten Staaten fände das Mikadoreich nur verschlossene Taschen.
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United States of America (USA) (General)