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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 6, doc. 130
volume linkBern 1981
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2200.19-01#1000/1704#2* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2200.19-01(-)1000/1704 1 | |
Titre du dossier | Rapports politiques, sorties (1915–1915) | |
Référence archives | I.B |
dodis.ch/43405
Ich hatte gestern eine sehr lange Auseinandersetzung mit dem Grafen Manzoni über die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien, und ich habe bei diesem Anlasse kein Hehl gemacht aus der Enttäuschung, welche mir das Verhalten Italiens in den letzten Zeiten bereitet hat. Veranlasst war diese Aussprache, die ich selbstverständlich nur in meinem persönlichen Namen führen konnte, weil ich weder Auftrag noch Instruktionen hatte, durch folgende Tatsachen und Umstände:
In erster Linie durch die bedauerlichen Ausschreitungen in verschiedenen Städten Italiens gegen unsere Landsleute und durch den ganz ungenügenden Schutz, welchen die Lokalbehörden gegen solche Ausschreitungen gewähren. Aus den Berichten unserer Konsulate in Genua, Venedig und Mailand, von welchen ich Ihnen in der Hauptsache Kenntniss gegeben habe, geht ja hervor, dass erstens die Stimmung der Bevölkerung gegen die Schweizer deutscher Zunge nichts weniger als freundlich ist und dass von oben herab nichts getan worden ist, um die Irrtümer zu beseitigen, auf welchen diese Stimmung beruht. Zweitens konstatieren alle Konsuln übereinstimmend, dass die Schutzmannschaft vollständig versagt und sich dadurch zu Mitschuldigen der Plünderer macht. Und endlich wissen wir aus einem neuesten Berichte des Konsulates in Genua, dass die dortige Präfektur es rundweg abgelehnt hat, Entschädigungsansprüche eines Schweizers, dessen Birreria zerstört worden ist, entgegenzunehmen. Ich habe Herren Manzoni gesagt, dass wir diese Art der Bekundung der Freundschaft und «Dankbarkeit für alles, was die Schweiz getan habe» nicht annehmen können, und habe beigefügt, dass alle diese Vorgänge «avaient fait une impression pitoyable en Suisse». Herr Manzoni schien etwas betreten von der Entschiedenheit meiner Sprache und versicherte mich wiederholt, dass die Regierung die Vorgänge aufs tiefste beklage und alles tun werde, um deren Wiederholung zu vermeiden. Speziell für Venedig versicherte er mich sofortigen Einschreitens im Sinne unserer verschiedenen Verbalnoten. Ich unterliess nicht, darauf hinzuweisen, dass bisher alle Anordnungen der italienischen Regierung «après coup» gekommen seien und dass damit den Interessen unserer Landsleute nicht gedient werde.
In zweiter Linie hatte ich mich darüber zu beschweren, dass der Art. 3 des Abkommens vom 8. Mai2 nicht in dem Sinne gehandhabt werde, in welchem wir denselben verstanden hatten. Tatsächlich ist seit dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung nicht ein einziges Ausfuhrbegehren im Sinne jenes Art. 3 behandelt, geschweige denn bewilligt worden. Im Gegenteil ist mir gestern mitgeteilt worden, dass die Exportliste hinsichtlich der älteren Begehren, deren Zulassung Hand in Hand gehen sollte mit der Genehmigung des Abkommens, durch die Kommission abgelehnt worden sei. Ich habe geglaubt, diese Verhältnisse als Ausgangspunkt nehmen zu müssen für eine sehr energische Aussprache und für die Erklärung, dass eine Fortsetzung dieser Behandlungsweise die Schweiz zwingen würde, zu Gegenmassregeln zu greifen. Herr Manzoni suchte sich zunächst damit auszureden, dass das Abkommen eigentlich alles festlege, was ausgeführt werden könne und dass daher weitere Ausfuhrbewilligungen nur ganz ausnahmsweise erteilt werden sollen. Es fiel mir nicht schwer, ihm anhand des Abkommens selbst und unseres Notenwechsels nachzuweisen, dass dieser Standpunkt in direktem Widerspruch stehe zu dem Buchstaben der Vereinbarung und zu dem Geiste, von welchem dieselbe eingegeben war. Er gab mir dann zu verstehen, dass im gegenwärtigen Augenblicke die militärischen Behörden noch mehr als früher das entscheidende Wort führen und dass diese Behörden rundweg jede Ausfuhr von Waren ablehnen, welche irgendwie für die Ernährung der Bevölkerung mit Einschluss des Heeres oder für die Kriegsbereitschaft in Betracht fallen können. Ich erfuhr dadurch natürlich nichts Neues und musste anerkennen, dass in solchen Zeiten die politischen Behörden mehr oder weniger machtlos sind gegenüber dem Militär, aber ich machte Herren Manzoni darauf aufmerksam, dass nach meiner Auffassung auch die militärischen Behörden den internationalen Beziehungen Rechnung tragen müssen und dass eine Fortsetzung des bisherigen Verhaltens gegenüber der Schweiz notwendig zu einer Entfremdung führen müsse, über deren Folgen man sich auch im Kriegsministerium keiner Täuschung hingeben sollte. Ich wies auch daraufhin, dass man mir immer wieder versichert habe, die Schweiz solle nicht nur gut, sondern ausnahmsweise gut behandelt werden. Wenn das wirklich der ernste Wille der Regierung sei, dann werden sich auch die militärischen Behörden nicht schlechthin gegen die Ausfuhr von Waren stemmen können, deren Quantitäten für die Zwecke der Kriegführung gar nicht ernstlich in Betracht fallen. Herr Manzoni versprach mir darauf, die Frage in ihrer Gesamtheit nochmals mit dem Minister zu besprechen, und ich erklärte ihm, dass ich meinerseits ein Festhalten der Kommission an ihrem Standpunkte als Ausgangspunkt benützen würde zu einer Erklärung an den Minister selbst, die dahin lauten würde, dass ich meiner Regierung vorschlagen würde, energische Gegenmassregeln zu treffen. Ich habe auch durchblicken lassen, dass uns dieser engherzige Standpunkt der Kommission um so mehr befremde, als ja die Schweiz im Begriffe sei, grosse Lasten und Opfer zu übernehmen, um Italien gegenüber einen Akt besonderer Freundlichkeit zu begehen (Vertretung der Interessen Italiens in Deutschland).
In dritter Linie brachte ich die künftige Regelung des Transitverkehres zur Sprache. Sie wissen aus einem früheren Berichte3, dass Sonnino mir von einer gemischten Kommission gesprochen hat, welche diese Frage behandeln sollte. Gestern sagte mir Manzoni, dass diese Kommission in Paris beraten werde und dass seines Wissens die schweizerische Regierung darüber unterhandle mit London und Paris. Da ich niemals irgend welche Andeutungen von Vorgängen dieser Art erhalten habe, konnte ich mich darüber nicht aussprechen, aber ich hielt es doch für meine Pflicht, persönlich entschiedene Einsprache zu erheben gegen die Tendenzen, welche zu der Einsetzung einer solchen Kommission geführt haben und von welchen offenbar die verbündeten Regierungen zur Zeit beseelt sind. Ich habe bisher immer angenommen, die Bemerkungen Sonninos betreffend Gewährung aller Zufuhr innert dem Rahmen des wirklichen Bedürfnisses der Schweiz beziehen sich nur auf die Ausfuhr aus Italien. Nun muss ich mich aber überzeugen, dass die Absicht besteht, auch die Zufuhr durch Transit auf den eigenen nachweisbaren Bedarf der Schweiz zu beschränken. Herr Manzoni gab mir zu verstehen, dass die italienische Regierung die Voraussetzungen des Art. 2, erstes Alinea des Handelsvertrages vom Jahre 1904 als gegeben erachte, nach welchen es den beidseitigen Regierungen gestattet sei, im Kriegsfälle den Handel und Verkehr einzuschränken «pour les approvisionnements de guerre». Diese Bestimmung soll Italien das Recht geben, den Transit von Ware auf das Mass unseres Bedarfes zu beschränken! Ich habe natürlich mit aller Entschiedenheit gegen diese Auslegung protestiert und Herrn Manzoni gesagt, dass diese Auffassung nicht einer Auslegung, sondern einer «violation flagrante» des Vertragstextes und des Sinnes dieser ganzen Bestimmung entspreche. Es scheint mir in der Tat ganz klar, dass eine Einschränkung des Transites nach dieser Vertragsbestimmung nur dann und nur insoweit zulässig ist, als Italien die transitierenden Waren für die eigenen Kriegsbedürfnisse in Anspruch nehmen muss. Niemals aber kann diese Bestimmung den Italienern z.B. das Recht geben, unsern Transit an Baumwolle zu kontrollieren oder gar einzuschränken. Ich habe Herren Manzoni erklärt, dass ich in diesem Vorhaben der verbündeten Regierungen ein Attentat gegen unsere Souveränität und damit auch gegen unsere Neutralität erblicke und dass ich persönlich einer solchen Regelung des Verhältnisses niemals zustimmen würde. Dass ein solches Vorgehen ausserdem einer Verletzung nicht nur unseres Vertrages, sondern auch der Erklärung gleichkommt, welche uns Italien im Februar4 gegeben hat, habe ich Herren Manzoni ebenfalls mit aller Deutlichkeit erklärt.
Er frug mich dann: «Mais comment entendez-vous faire pour sauvegarder nos intérêts d’Etat qui se trouve en guerre?» Ich antwortete ihm darauf, dass meines Wissens Italien zur Zeit noch nicht im Kriegszustände mit der Schweiz sich befinde und dass für die Beurteilung und Anwendung unserer staatsrechtlichen Beziehungen nur das Verhältnis zur Schweiz in Betracht falle. Wir werden niemals zugeben, dass man uns zu nahe trete und vertragliche Verpflichtungen uns gegenüber verletze, um Dritte zu treffen, mit denen wir im Verhältniss eines neutralen Staates stehen. Ich erklärte Herren Manzoni, dass die Schweiz, nach meinem Dafürhalten einerseits das freie Recht der Zufuhr der Transitware beanspruchen müsse und dass sie sich unmöglich einer offiziellen Kontrolle durch angeblich befreundete Mächte unterstellen könne hinsichtlich der Art und Weise der Verwendung ihrer eigenen Produkte und der Ware, die sie aus neutralen Staaten beziehe. Anderseits sei die Neutralität in der Schweiz immer so verstanden worden, dass sie die Möglichkeit ausschliesse, einen kriegführenden Staat dadurch zu unterstützen, dass ihm die Mittel zur Fortsetzung des Krieges geliefert werden. Meines Erachtens, so sagte ich Herrn Manzoni, würde der Wunsch der verbündeten Regierungen materiell ohne weiteres Berücksichtigung finden - vorbehältlich immerhin eines Austausches von Waren mit Deutschland und Österreich, dessen wir für die eigene Lebenshaltung bedürfen -, dagegen halte ich es für ausgeschlossen, dass wir formell unter diesem Gesslerhut hindurchziehen werden.
Herr Manzoni schien gar nicht abgeneigt, auf eine solche Lösung einzugehen, und versprach mir, mit dem Minister darüber zu reden. Ich mache mir aber gar keine Illusionen über das Endergebnis, denn es ist ja ganz klar, dass Italien nunmehr mit Leib und Seele der Entente verschrieben und noch mehr von ihr abhängig ist als ehedem. England wird Italien schon sagen, was es zu tun hat.
Sie werden vielleicht finden, ich hätte mich etwas weit eingelassen und eine Sprache geführt, welche durch die folgenden Handlungen nicht unbedingt gedeckt werden könnte. Ich verkenne dies keineswegs, aber ich habe einerseits ausdrücklich nur mich persönlich engagiert und bin ja vollständig frei, gegebenen Falles persönlich die Konsequenzen zu ziehen, die sich aus einer Verschärfung des Gegensatzes ergeben sollten. Anderseits habe ich die Überzeugung gewonnen, dass jetzt eine entschiedene Sprache notwendig ist, wenn überhaupt etwas erreicht werden soll.
Herr Manzoni versuchte mich zu überzeugen, dass Italien uns bisher ganz ausnahmsweise entgegengekommen sei, mehr als irgendeiner ändern Nation, aber ich musste ihm darauf antworten, dass ich zwar nicht an dem guten Willen des Entgegenkommens zweifle, dass aber im Effekt Italien uns immer nur so viel gewährt habe, als es gewähren musste, um seinen eigenen Interessen zu befriedigen.
Da ich nicht weiss, ob jetzt schon Unterhandlungen zwischen Ihnen und den ändern Ententemächten im Gange sind wegen der künftigen Regelung des Transitverkehrs, liegt mir sehr daran, dass Sie diesen Bericht so rasch als möglich erhalten. Aus diesem Grunde habe ich Ihnen gestern abend telegraphiert, dass heute mein Kurier nach Chiasso abgehen werde. Es liegt mir natürlich auch sehr daran, baldmöglichst zu erfahren, wie Sie sich zu dieser neuesten Wendung in der Transitfrage stellen und ob Sie mir bestimmte Instruktionen zu erteilen haben.
Herr Manzoni sprach mir von verschiedenen Vorschlägen, die er Ihnen durch Herrn Paulucci habe machen lassen betreffend Bezug von Waren, welche militärischen Zwecken dienen. Er bat mich, diese Vorschläge Ihnen zur Annahme zu empfehlen, ich musste ihm aber antworten, dass ich mich nicht ungefragt in diese Dinge mischen wollte und dass es mir überhaupt nicht nützlich erscheine, wenn konnexe Frage bald auf dem einen, bald auf dem ändern Wege behandelt werden. Ich enthalte mich deshalb einer Stellungnahme zu dieser Anregung, deren Tragweite ich überdies nicht ganz übersehen kann.
Die gestrige Rede des Ministerpräsidenten Salandra auf dem Kapitol scheint hier sehr zu gefallen. Ich muss bekennen, dass sie mich enttäuscht hat, weil sie um den brennenden Punkt herumgeht und mehr den Eindruck eines geschickt angelegten Advokatenplädoyers macht als denjenigen einer gross angelegten staatsmännischen Kundgebung. Ganz sonderbar ist das augenblickliche Verhältniss zu Deutschland. Einerseits scheint Deutschland zu zögern mit dem Eingreifen und anderseits werfen sich die leitenden Staatsmänner Liebenswürdigkeiten an den Kopf, die an sich schon zum Bruche führen müssten. Noch gestern sagte mir Manzoni während unserer Besprechung: «la situation est encore tout à fait indécise».
Sehr unangenehm war es mir, Ihrem gestrigen Telegramm entnehmen zu müssen, dass mein wichtiger Bericht No.555 über meine letzte Besprechung mit dem Fürsten Bülow und meinen Besuch bei Sonnino, der am 26. Mai eingeschrieben und als Expressbrief hier abgegangen ist, Ihnen nicht zugekommen ist. Wir haben sofort auf der Post reklamiert und die Antwort erhalten, dass man nicht vor Ablauf von 14 Tagen reklamieren könne. Ich wende mich nun heute noch an das Ministerium.
- 1
- Rapport politique (Copie): E 2200 Rom 4,1.B.↩
- 2
- Cet article stipulait: Les demandes en autorisation d’exportation relatives à des quantités excédant les limites ci-dessus énoncées ainsi qu’à des marchandises ne figurant pas sur les listes, seront examinées par les deux Gouvernements avec la plus grande bienveillance. Cf. EVD KW Zentrale 1914-1918, 11 + 12.↩
- 3
- Cf. no128.↩
- 4
- Non retrouvé. Il s’agit très probablement de la déclaration dont il est question dans le no 92.↩
- 5
- Cf. no 128.↩
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