Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 118
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.19-01#1000/1704#2* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.19-01(-)1000/1704 1 | |
Dossier title | Rapports politiques, sorties (1915–1915) | |
File reference archive | I.B |
dodis.ch/43393
Der gestrige Empfangstag des Barons Sonnino hat mir Gelegenheit geboten zu einer kurzen Aussprache über die allgemeine Lage und über die uns speziell berührenden Fragen.
Herr Sonnino hat sich naturgemäss nicht geäussert über den Stand der Verhandlungen mit Österreich und über die grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines Eintretens Italiens in den Krieg. Dagegen hat er auf meine Frage, ob nicht der Eintritt des Krieges die Verkehrsverhältnisse mit der Schweiz ungünstig beeinflussen würde, und ob es nicht möglich wäre, zum voraus Anordnungen zu treffen, welche diesen Einfluss paralysieren könnten, wiederholt erklärt: «J’espère bien que nous n’aurons pas la guerre, mais si nous devions l’avoir vous pouvez être sûr que nous ferons tout notre possible pour vous faciliter la situation. Vous pouvez dire à votre gouvernement que le gouvernement italien a les meilleures intentions à l’égard de la Suisse.» Bestimmteres war nicht zu erhalten und übrigens in diesem Augenblicke auch nicht zu erwarten. Ich lege einen gewissen Wert auf die wiederholt ausgesprochene Hoffnung, dass der Krieg doch vermieden werden könne. Freilich verhehle ich mir nicht, dass auch diesen Worten nur die Absicht unterliegen kann, Misstrauen zu beseitigen.
In anderem Zusammenhange, nämlich bei Besprechung der Transitverhältnisse in Genua, worüber ich besonders berichte an die Abteilung Handel, Hess er die Bemerkung fallen, diese Schwierigkeiten würden vielleicht im Kriegsfälle abnehmen, denn «l’Angleterre nous embêterait peut-être moins».
Im Anschluss an diese Berichterstattung über die Besprechung mit Herrn Sonnino möchte ich noch mitteilen, dass wir gestern den Besuch eines Herrn der hiesigen Schweizerkolonie hatten, der in einem Chemikaliengeschäft tätig ist. Derselbe sprach sich sehr pessimistisch aus und konnte mitteilen, dass die Regierung die äussersten Massnahmen für die Kriegsvorbereitung getroffen habe und mit grösster Energie darauf hinarbeite, dass die Produkte der chemischen Industrie, die dem Kriegsbedarfe dienen, fabriziert werden. Und von anderer Seite ist uns gesagt worden, dass sogar die Spitalschiffe schon fertig angerüstet und zur Abfahrt bereitgemacht worden seien.
Ein etwas beunruhigendes Symptom erblicke ich in der Tatsache, dass der König die Einladung zur Teilnahme an der Eröffnung bzw. Einweihung des Denkmals der 1000 Garibaldiner nach Genua angenommen hat. Bedenkt man, dass Gabriele d’Annunzio die offizielle Rede bei diesem Anlasse halten wird, so kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der König durch seine Gegenwart die Zweifel an seiner «nationalen Gesinnung» beseitigen wolle. Unter allen Umständen bedeutet diese Tatsache eine starke Enttäuschung für diejenigen, welche in dem Souverän den «rocher de bronze» erblickten, an welchem alle Versuche scheitern werden, Italien in den Krieg zu verwickeln. Es bleibt nun natürlich abzuwarten, ob nicht die Gegenwart des Königs an die Bedingung geknüpft ist, dass die Kundgebung ganz im Rahmen der offiziellen Neutralität bleibe.
Ich habe anlässlich des Empfanges bei Sonnino auch Gelegenheit gehabt, mit verschiedenen Kollegen über die Lage zu sprechen, und konnte mich überzeugen, dass dieselben ganz ebenso im unklaren sind über die Begebenheiten und über die schliesslichen Absichten der hiesigen Regierung. Ein Detail, das eine gewisse symptomatische Bedeutung hat, liegt vielleicht in der Tatsache, dass am gestrigen Empfange sämtliche Botschafter teilgenommen haben, und dass der Besuch des Fürsten Bülow und des Barons von Macchio (österreichischer Botschafter) vorausgegangen ist und ziemlich lange gedauert hat, während die Herren Barrère und Rodd nur ganz kurz beim Minister waren.
- 1
- Rapport politique (Copie): E 2200 Rom 4,1.B.↩
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