Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
XI. NEUTRALITÄT UND GUTE DIENSTE
2. Inspektion in Marokko
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 167
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#9846* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 15.02.-16.02.1907 (1907–1907) |
dodis.ch/43022 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 15. Februar 19071 758. Übertragung der Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten betreffend die Staatsbank von Marokko an das Bundesgericht
Die am 31. Dezember 1906 in Kraft getretene Konferenzakte von Algesiras sieht die Errichtung einer Staatsbank von Marokko in Form einer Aktiengesellschaft vor (Art. 44). Über die Ausübung der Gerichtsbarkeit bei Streitigkeiten zwischen der Bank einerseits und Privatpersonen oder der marokkanischen Regierung andererseits enthalten die Artikel 45 und 46 folgende Bestimmungen:
a) Streitigkeiten zwischen der Bank als Klägerin und einer Privatperson als Beklagten sind, wenn der Beklagte Ausländer ist, von dem Konsulargericht des Staates abzuurteilen, dem der Rekurs angehört. Ist der Beklagte Marokkaner, so ist der marokkanische Richter zuständig;
b) Streitigkeiten zwischen Privaten als Kläger und der Bank als Beklagten gehören vor einen besondern Gerichtshof, der aus drei Konsularbeamten und zwei Beisitzern zusammengesetzt ist. Dieser Gerichtshof wird alle Jahre von dem diplomatischen Korps in Tanger gebildet.
Gegen die Urteile dieses Gerichtshofes kann Berufung an das Bundesgericht in Lausanne eingelegt werden, das in letzter Instanz entscheidet.
c) Streitigkeiten zwischen der marokkanischen Regierung und der Bank werden vom Bundesgericht in erster und letzter Instanz entschieden. Ebenso
d) Streitigkeiten zwischen der Bank und den Aktionären betreffend die Ausführung der Statuten oder die Angelegenheiten der Gesellschaft.
Die spanische Regierung hat den Bundesrat in ihrer Note vom 2. Januar 1907 im Namen der an der Akte von Algesiras beteiligten Mächte angefragt, ob er diese Gerichtsbarkeit zuhanden des Bundesgerichtes annehmen wolle.
Der Bundesrat hat sich also darüber schlüssig zu machen, ob und in welcher Weise der Antrag der Mächte angenommen werden soll.
Nach Einsicht der Gutachten der Mehrheit und Minderheit des Bundesgerichtes und der Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und des politischen Departements wird beschlossen:
I. Der spanischen Gesandtschaft ist vom Bundesrat zuhanden ihrer Regierung und der bei der Algesiras Akte beteiligten Mächte die Zustimmung zur Übertragung der in Art. 45 und 46 der Algesiras Akte erwähnten Entscheidungskompetenzen an das Bundesgericht unter dem Vorbehalt zu erklären,
1) dass die verfassungsgemässe Genehmigung erfolge;
2) dass das Bundesgericht befugt sei, das Verfahren vor dem Bundesgericht und alle anderen Fragen der Ausführung in einem Regiemente von sich aus zu ordnen2.
- 1
- E 1004 1/227.↩
- 2
- Botschaft vom 15. März 1907 an das Parlament in: BBl 1907, II, S. 112ff. BG vom 15. Juni 1907 in: AS 1907, NF 23, S. 310 ff. A us den Verhandlungen des Nationalrates vom 19. Juni 1907: Die Kommission (Berichterstatter HH. Künzli und Gobat) hält dafür, dass der Bundesrat gut getan habe, die in Frage stehenden Artikel unter den von ihm gemachten Vorbehalten anzunehmen, und beantragt daher, dem Ständerate beizupflichten. Dagegen motiviert Herr Dürrenmatt seine abweichende Ansicht. Es sei einer demokratischen Republik nicht würdig, einen ihrer höchsten und tüchtigsten Offiziere monarchischen, teilweise absolut regierten Staaten als «Oberlandjäger» zur Verfügung zu stellen, ganz abgesehen davon, dass dadurch noch unser Wehrwesen geschädigt werde, denn wir haben tüchtiger Offiziere nicht zuviel. Das Bundesgericht hinwider leide unter einer derartigen, die Kräfte seiner Mitglieder rasch konsumierenden Arbeitslast, dass es in höchstem Grade unzweckmässig erscheine, ihm noch die Verpflichtung der Erledigung solcher internationaler Prozesse aufzubürden. Darunter müsse selbstverständlich auch die pflichtgemässe Abwicklung der ordentlichen Geschäfte leiden. Auch die formale Behandlung müsse Bedenken erwecken. Die Minderheit des Bundesgerichts selber sei der Ansicht, dass zur Ordnung dieser Fragen der Erlass eines Gesetzes nötig gewesen wäre. Andere kleine Staaten hätten sich für die schliesslich der Schweiz zugemutete Aufgabe bedankt. - Diese hätte besser getan, sich der altschweizerischen Maxime zu erinnern und sich der Einmischung in fremde Händel zu enthalten. Von bundesrätlicher Seite wird dagegen ausgeführt, dass es sich weniger um Bütteldienste als um die Erfüllung einer zivilisatorischen Mission handle. Es könne nicht die Aufgabe der Schweiz sein, sich bei ihren sonstigen vielfachen Beziehungen mit der ganzen Welt politisch zu isolieren und allem sorgfältig aus dem Wege zu gehen, was einige Opfer und ein wenig Mühe und Arbeit koste. Übrigens sei der Bundesrat vor ein fait accompli gestellt worden. Und wo es sich darum gehandelt, zur Erhaltung des Weltfriedens sein Scherflein beizutragen, habe, trotz einzelner Bedenken, die Wahl dessen, was zu tun sei, nicht zweifelhaft sein können. Eine Überlastung des Bundesgerichts sei nicht zu befürchten; die Prozesse, die es zu entscheiden haben werde, seien voraussichtlich wenig zahlreich. Die Frage, ob Bundesgesetz oder Bundesbeschluss, sei sehr sorgfältig erwogen worden. Die das Bundesgericht beschlagenden organisatorischen Bestimmungen haben nur für interne Fragen Geltung; in Fragen, wie die Vorliegende, habe man freie Hand. Es genüge daher die bei Staatsverträgen übliche Form (Bundespräsident Müller). Der Antrag der Kommission wird mit grosser Mehrheit angenommen. Es herrscht Übereinstimmung (E 1001 (C) d 1/154).↩
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